Magazin Wirtschaft

Tatort gibt es nicht nur im TV

Diebstahl, sexuelle Übergriffe, ­Unterschlagung, Sabotage, Bedrohung, Spionage, Arbeitszeitbetrug, Untreue – Unternehmen können von vielen kriminellen Zwischenfällen betroffen sein. Täter sind zu fünf bis zehn Prozent eigene Mitarbeiter. Bei Wirtschaftskrimi­nalität sind es sogar ­57 Prozent, die Dreiviertel aller Schäden verur­sachen. Täter können aber auch Dienstleister, Partner, (auslän­dische) Behörden oder ganz gewöhnliche Kriminelle sein.

Plausibler Verdacht oder Zufall?

Stellen Sie Verdächtiges fest oder wird es Ihnen gemeldet, sollten Sie zuerst prüfen, ob die Anhaltspunkte plausibel sind. Vielleicht handelt es sich um einen Zufall?
In offensichtlichen Fällen, also wenn die Tat klar belegt ist, empfiehlt es sich, den Beschuldigten ­direkt anzusprechen. Das gilt bei Ermittlungen als mildestes Mittel. Wenn sich der Fall jedoch als komplexer erweist, sollten Sie der Sache erst einmal auf den Grund gehen. Tun Sie das aber zunächst möglichst unauffällig: Sichten Sie Unterlagen, schauen Sie sich Abläufe genau an und überprüfen Sie die Personen diskret, die involviert sein könnten.

Drei Punkte klären die Verhältnismäßigkeit

Ganz wichtig: Egal, welche Maßnahme Sie ergreifen, prüfen Sie zuerst, ob Sie verhältnismäßig ist. Drei Prüfpunkte helfen dabei:
  1. Legitimer Zweck: Liegt ein legitimer Grund für Ermittlungshandlungen vor, wurde also ein Gesetz oder eine andere Norm, zum Beispiel eine interne Sicherheitsregel, verletzt ?
  2. Geeignetheit: Kann die gewählte Methode (z.B. Videoüberwachung) Erkenntnisse liefern ?
  3. Angemessenheit: Die mildeste Methode ist zu wählen. Die Maßnahmen  sollten immer im Verhältnis zum vermuteten Schaden stehen. Wenn „Gefahr in Verzug“ ist und größere Schäden drohen, ­können aber auch schon zu Beginn umfangreichere Ermittlungsmethoden angewandt werden.
Dazu gehören alle Methoden, die die Allgemeinen Persönlichkeitsrechte (APR) der Beschäftigten tangieren wie der Einsatz technischer Mittel. Bei Observationen ist die Grenze zum Privaten, also zum Beispiel Privatgrund­stücke, zu wahren.

Als Beweis gilt nur, was im öffent­lichen Raum mit bloßem Auge ­erkennbar ist

Als Beweis gilt nur, was im öffent­lichen Raum mit bloßem Auge ­erkennbar ist. Zoomen mit der ­Kamera in private Räume oder Ver­- größerungen von Bildausschnitten werden vor Gericht als Beweis nicht zugelassen. Interne Ermittler ­dürfen jedoch Privaträumen durchsuchen, wenn der Beschuldigte dem zustimmt. Versuchen Sie, Täter mit ­Taschenkontrollen zu überführen, so sollten alle Mitarbeiter einer ­Gruppe kontrolliert werden, sonst verstoßen Sie gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz AGG.

Erhärtet sich der Verdacht, kann offen ermittelt werden

Erhärtet sich der anfängliche Verdacht, kann auch offen im Unternehmen ermittelt werden. Dabei werden unter anderem Interviews mit Zeugen und Beschuldigten geführt und die Ergebnisse dokumentiert. Das „Kräfteverhältnis“ muss ausgewogen sein. Konkret heißt das, wenn Juristen des Unternehmens beim Interview anwesend sind, sollte dem Beschuldigten ebenfalls ermöglicht werden, einen Anwalt hinzuzuziehen. Ein Recht auf Begleitung durch Anwalt oder Betriebsrat besteht jedoch nicht grundsätzlich.

Gute Vorbereitung ist das A und O

Das ist aber nur einer der ­Fallstricke, die bei den Ermittlungen lauern. So passiert es häufig, dass die Interviews nicht gut genug vorbereitet sind und die Möglichkeiten der verdeckten (Vor-)Ermittlung nicht ausgeschöpft wurden. Außerdem fehlt es oft an einer Kosten-Nutzen-Rechnung und an einer Strategie. Außerdem können die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten schnell verletzt sein, was ihm wiederum Klagemöglichkeiten eröffnet.

So erkennen Sie Lügen

Ein Interview kann der Tatverdächtige nicht verweigern. Ob er aber die Wahrheit sagt? Achten Sie auf markante Anzeichen für Lügen: Verdächtig ist es zum Beispiel, wenn die Abläufe um die Tatzeit herum kurz geschildert werden, der Rest umso ausführlicher, oder wenn sich die Aussagen verschiedener Zeugen zu sehr gleichen. Gut zu wissen: ­Lügen kosten geistige Kapazität. Die meisten Menschen gestikulieren darum weniger, während sie lügen
Bezüglich der Gesprächsführung kann es taktisch nützlich sein, die Beweise und Indizien erst nach und nach gegenüber dem Beschuldigten zu konkretisieren, sodass er nicht beurteilen kann, was Sie alles gegen ihn in der Hand haben. Äußert sich der Beschuldigte, lassen Sie ihn das Gesagte später in umgekehrter Reihenfolge wiederholen. Dies kann ohne Abweichungen meist nur, wer die Wahrheit sagt.

Vor Gericht trägt der Arbeitgeber die Beweislast

Dokumentieren Sie alles sorgfältig, denn vor dem Arbeitsgericht trägt der Arbeitgeber die Beweislast. Das Gericht selbst führt keine weiteren Ermittlungen durch. Deshalb sollten Sie mindestens folgendes schriftlich festhalten:
  • Anhaltspunkt der zur Einleitung der Ermittlungen geführt hat
  • Hinweisbewertung, Abwägungen und Entscheidungen
  • Maßnahmen samt Rechtfertigung
  • Interview-­Protokolle
  • Beweise (durchnummeriert) mit Datum, Quelle und ab­geleiteter Erkenntnis
  • Entlastende Beweise
  • Beobachtungen
  • Urkunden (Auszüge Personalakte, Zeugenaus­sagen)

Hinweisgeberschutzgesetz und AGG beachten

Das Hinweisgeberschutzgesetz verlangt, dass Sie eingegangenen Hinweisen systematisch nachgehen. Das AGG verpflichtet Arbeitgeber Ungleichheiten unter Beschäftigten aktiv zu unterbinden. Um beidem nachzukommen, sind interne Ermittlungen die richtige Wahl. Doch das ist alles sehr aufwändig. Deshalb lohnt es sich häufig, externe Ermittler einzuschalten oder sich von ihnen beraten zu lassen.

Externe oder interne Ermittlung oder gar die Polizei?

Externe Berater haben neben der Kenntnis der Rechtslage auch den Vorteil, dass sie neutral auftreten und durch sie keine Informationen an die Öffentlichkeit gelangen. Außerdem verfügen sie über Erfahrung und ein Netzwerk an Spezialisten. Dies ist insbesondere relevant, wenn Führungskräften in den Fall verwickelt sind. Zusätzlich lassen sich Aufwand, Kosten und Risiken im Vorfeld klar kalkulieren.
Für die Beschäftigung eigener interne ­Ermittler spricht, dass sie Betriebsabläufe und Prozessschwachstellen besser kennen.
Und die Polizei? Arbeitgeber sind nur in sehr wenigen Fällen zur Anzeige verpflichtet. Wenn interne Ermittler mit ­ihren Befugnissen an Grenzen stoßen oder eine Strafverfolgung erfolgen soll, kann es aber sinnvoll sein, die Polizei einzuschalten. In diesem Fall gibt man jedoch die Kontrolle über die Ermittlungsabläufe und -dauer weitestgehend ab.

Verschiedene Reaktionsmöglichkeiten nach einem Geständnis

Und was tun, wenn der Beschuldigte überführt wird oder gesteht? Bevor arbeitsrechtliche Schritte ergriffen werden, ist auch eine Ermahnung denkbar. Liegt ein Normenverstoß vor, ist eine Abmahnung und in größeren Firmen eine Versetzung denkbar. Ordentliche oder außer­ordentliche Kündigungen sind neben Aufhebungsverträgen weitere Möglichkeiten sich von Mitarbeitern zu trennen.  
Wie auch immer Sie entscheiden: Lassen Sie sich auf keinen Fall von Ärger oder Enttäuschung leiten, sondern schauen Sie, was angemessen ist und was im Falle eines Falles vor Gericht standhält.

Evaluieren Sie den gesamten Prozess

Und natürlich sollten Sie Konsequenzen aus dem Fall ziehen, indem Sie Sicherheitslücken schließen und Schwachstellen auf­decken, die die Tat begünstigt oder möglich gemacht haben. Evaluieren Sie auch den ganzen Aufklärungsprozess, um sich nachhaltig zu verbessern.
Franziska Englert, Corsecon  Agentur für Sicherheitsmanagement, Esslingen, für Magazin Wirtschaft, Rubrik Rat&Tat