"Die Innenstadt ist besser und vielfältiger als ihr Ruf"

Stuttgart diskutiert über Leerstände, Verkehr und konsumfreie Zonen. Einzelhändler Dietrich Knoll, Inhaber des Regionalgeschäfts Kesselgut, hält dagegen: Die City habe enormes Potenzial – wenn Politik und Institutionen endlich die richtigen Prioritäten setzen.
Herr Knoll, viele reden schlecht über die Stuttgarter Innenstadt. Sie auch?
Nein. Ich betone lieber das Positive. Stuttgart hat viel zu bieten – kulturell, gastronomisch und auch im Einzelhandel. Natürlich sieht man auf der Königstraße die Ketten, aber das ist nicht das ganze Bild. Es gibt spannende Entwicklungen, zum Beispiel entstehen neue Uhren- und Schmuckboutiquen von Dorotheen-Quartier bis Stiftstrasse. Und es gibt immer noch individuelle Geschäfte.
Sie betreiben selbst eines davon – Kesselgut in der Breiten Straße. Wie läuft es?
Wir bieten Mode, Accessoires, Upcycling, Illustration und Genuss - vorzugsweise von regionalen Labels. Die Lage ist nicht einfach. Durch die Kaufhof-Schließung und andere Leerstände hat die Straße gelitten. Als ich Ende 2020, mitten in der Corona-Krise, eröffnet habe, hätte ich nie gedacht, dass wir hier, hundert Meter von der Königstraße entfernt, einmal als Randlage gelten würden. Aber wir kommen klar. Die Breite Straße ist großzügig angelegt, wir sind mit dem ÖPNV gut erreichbar. Und es eröffnen langsam wieder interessante Läden.
Was erwarten Ihre Kunden von der Innenstadt?
Sie kommen nicht nur, um etwas zu kaufen, sondern auch, weil sie sich hier wohlfühlen wollen. Darum ist die Aufenthaltsqualität wichtig. Aber man darf sich nicht in Illusionen verlieren. Wenn man beispielsweise mehr konsumfreie Räume schaffen will, braucht man auch hierfür tragfähige Konzepte.
In Stuttgart wird sehr kontrovers über den Verkehr diskutiert. Welche Rolle spielt er für Sie?
Eine zentrale. Der Handel lebt davon, dass Menschen bequem in die Stadt kommen – mit der Bahn, mit dem Fahrrad und auch mit dem Auto. Straßensperrungen durch Baustellen oder wie bei der Fußball-EM 2024 spüren wir sofort. Es kommen sofort weniger Kunden. Parkgebühren sind ein Riesenthema. Wenn es den Menschen zu schwer gemacht wird, bleiben sie weg – und bestellen noch mehr Pakete bei Amazon, fahren ins Einkaufszentrum außerhalb oder ins Outlet-Center.
Stuttgart versteht sich traditionell eher als Industriestandort denn als Handelsstadt. Spüren Sie das?
Absolut. Der Handel hatte hier nie das Gewicht wie die Industrie. Aber was mich wirklich stört, ist der mangelnde Dialog. Bei wichtigen Projekten, wie dem Kaufhof-Areal direkt neben uns, werden wir Händler nicht einmal informiert. Ich würde mir mehr „Runde Tische Innenstadt“ wünschen.
Was erwarten Sie von Stadt und Institutionen wie der IHK?
Wir brauchen jemanden, der ein kraftvolles Bild vermittelt: Die Innenstadt ist toll und sie hat Zukunft - allerdings nur gemeinsam. Das muss man den Menschen sagen und vorangehen. Die IHK könnte da ruhig lauter werden.
Sie klingen trotz aller Kritik zuversichtlich.
Ja, weil ich an das Potenzial glaube. Stuttgart hat eine starke Region, kaufkräftige Kunden und eine attraktive Innenstadt. Aber die Prioritäten müssen stimmen: weniger ideologische Verkehrspolitik, mehr Pragmatismus. Wir Händler wollen, dass die Menschen gerne kommen – und dass sie nicht nur zu Weindorf oder Weihnachtsmarkt in die Stadt gehen, sondern regelmäßig.
Das Interview führte Walter Beck für Magazin Wirtschaft.