Wie ältere Beschäftigte den Fachkräftemangel abfedern

Der demografische Wandel ist längst kein Zukunftsszenario mehr, sondern Realität. Die deutsche Wirtschaft steht vor einer ihrer größten Herausforderungen: dem Mangel an qualifizierten Fachkräften. Eine bislang unterschätzte Ressource rückt dabei zunehmend in den Fokus – ältere Beschäftigte.
Throsten Pilgrim
IHK-Vizepräsident Dr. Thorsten Pilgrim im Gespräch mit der Moderatorin © IHK Region Stuttgart
Beim IHK-Fachkräfte-Summit am 4. Juli in Stuttgart wurde deutlich: Wer den Arbeitskräftemangel ernsthaft mildern will, kommt an den Silver Workern nicht vorbei. „Flexible Arbeitszeitmodelle, eine wertschätzende Unternehmenskultur und gezielte Weiterbildungsangebote sind entscheidend, um ältere Mitarbeitende länger im Beruf zu halten“, betonte Thorsten Pilgrim, Vizepräsident der IHK Region Stuttgart, in seiner Eröffnungsrede.
Würden in der Region Stuttgart nur fünf Prozent mehr Menschen im Alter zwischen 65 und 74 Jahren erwerbstätig sein, könnten laut IHK-Fachkräftemonitor bis 2035 rund 12.600 zusätzliche Stellen besetzt werden. Statt prognostizierten 107.668 unbesetzten Stellen wären es dann „nur“ noch rund 95.000 offene Stellen.

Konsens zwischen Wirtschaft und Politik

Andreas Schwarz, Susanne Herre und Moderatorin
Einigkeit bei Politik und Wirtschaft © IHK Region Stuttgart
Dass die Weiterbeschäftigung Älterer nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe ist, wurde in der Diskussion zwischen Susanne Herre, Hauptgeschäftsführerin der IHK Region Stuttgart, und Andreas Schwarz (Grüne), Vorsitzender der Landtagsfraktion, deutlich. Beide forderten bessere Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf, Kinderbetreuung und Pflege. Susanne Herre ist hierbei das Thema Pflege besonders wichtig „Wir brauchen mehr Pflegeplätze und wir brauchen innovative Ideen, zum Beispiel Pflegebelegplätze bei Unternehmen. Nur so kann das Berufsleben mit der Pflegesituation gut vereinbart werden,“ so Herre.

Wohlstand in Gefahr

Oliver Stettes
Dr. Oliver Stettes vom Institut der deutschen Wirtschaft © IHK Region Stuttgart
Dr. Oliver Stettes vom Institut der deutschen Wirtschaft warnte vor den Folgen eines ungebremsten Rückgangs der Arbeitsstunden durch den vorzeitigen Renteneintritt: „Wenn wir nicht gegensteuern, verlieren wir nicht nur Arbeitskräfte, sondern auch unseren Wohlstand.“ Die derzeit konjunkturell schlechte Lage dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit einem wirtschaftlichen Aufschwung der Fachkräftemangel wieder mit voller Wucht zuschlagen werde. Jetzt seien sowohl die Politik als auch die Gesellschaft gefordert.

Wissen bewahren mit KI

Ein weiteres Problem: Mit dem Ausscheiden älterer Mitarbeitender geht oft auch wertvolles Erfahrungswissen verloren. Das Stuttgarter Unternehmen Blockbrain GmbH hat hierfür digitale Lösungen entwickelt. „Unternehmenswissen ist der wichtigste Wettbewerbsvorteil, den wir in Deutschland noch haben", so Antonius Gress, Geschäftsführer und Mitgründer von Blockbrain. Mit digitalen Wissenszwillingen könne das jahrzehntelang errungene Know-how langjähriger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesichert und jüngeren Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung gestellt werden.
Auch IHK-Chefin Herre sieht in der Digitalisierung eine Chance – nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für ältere Beschäftigte. „Es geht nicht darum, Menschen durch KI zu ersetzen, sondern sie zu unterstützen.“ Entscheidend sei, dass auch ältere Mitarbeitende gezielt an neue Technologien herangeführt würden.
Für Andreas Schwarz, den Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Stuttgarter Landtag, birgt die Nutzung von KI viele Vorteile. „Dank der Unterstützung durch Künstliche Intelligenz können sich Beschäftigte wieder stärker auf die wirklich wichtigen Aufgaben in ihrem Job konzentrieren. Ich bin davon überzeugt, dass sich auch ältere Mitarbeitende gut für neue Technologien begeistern lassen.“

Fazit: Wertschätzung statt Vorurteil

Der Tenor des Gipfels: Wer ältere Beschäftigte nur als „altes Eisen“ betrachtet, verschenkt Potenzial. Damit auch Menschen jenseits der 60 motiviert und leistungsfähig bleiben, braucht es mehr als ergonomische Bürostühle – nämlich Respekt, Weiterbildung und eine moderne Arbeitskultur. Die Verantwortung dafür liegt bei Unternehmen und Politik gleichermaßen.