"Der Weg zum humanoiden Roboter ist noch weit"
Roboter, die laufen, greifen, denken – auf Messen wie der Automatica in München ist der Hype um humanoide Maschinen groß. Nikolai Ensslen, CEO des Technologieunternehmens Synapticon, hat weltweit Treffpunkte der Branche besucht und berichtet von seinen Eindrücken.
Nikolai Ensslen
Herr Ensslen, überall ist von humanoiden Robotern die Rede. Wo stehen wir - und was ist Wunschdenken?
Wir erleben gerade enorme Fortschritte, getrieben durch Künstliche Intelligenz. Roboter müssen nicht mehr aufwendig programmiert werden, sondern können durch KI direkt am Menschen lernen. Sie schauen sich Bewegungen ab, teilweise aus Videos. Aber der Weg zum allseitig einsetzbaren Universalroboter ist noch weit. In den nächsten Jahren werden wir humanoide Roboter vor allem bei klar umrissenen, begrenzten Aufgaben im Einsatz sehen.
Was macht humanoide Roboter so besonders im Vergleich zu klassischen Industrierobotern?
Ein humanoider Roboter ist die erste wirklich universelle Roboterform für eine von Menschen geschaffene Umgebung. Unsere Welt ist für Menschen gemacht, und ein Roboter, der sich dort bewegen soll, sollte dies auch wie ein Mensch können – ob auf zwei Beinen oder auf Rädern, hängt von der Funktion ab. Diese universelle Form kann, sobald sie gut funktioniert, hervorragend skalieren. Entscheidend ist auch, dass sich die humanoide Gestalt am besten für das KI-Training eignet, weil die KI so am einfachsten vom Menschen lernen kann. Das Potenzial der KI wird in der humanoiden Form also am besten ausgeschöpft.
Und wo sehen Sie das größte Potenzial?
Nicht in der Automobil- oder Elektronikindustrie – die sind bereits stark automatisiert. Wirklich interessant sind Sektoren wie Pflege, Bau oder Landwirtschaft. Genau dort herrscht akuter Fachkräftemangel, und genau dort könnten Roboter mit einfachen, unterstützenden Aufgaben sinnvoll eingesetzt werden. Das relativiert auch viele Sorgen vor Jobverlust. Branchenkenner schätzen das weltweite Potenzial für Roboter im Bereich einfacher Tätigkeiten auf rund 24 Billionen Dollar.
Welche Regionen treiben die Entwicklung voran?
Ganz klar: Nordamerika und China. In den USA treiben Unternehmen wie Agility, Boston Dynamics und Figure die Entwicklung maßgeblich voran. China hat ebenfalls starke Player und ist extrem dynamisch. Dort gibt es viele mutige Investoren, die bereit sind, Risiken einzugehen.
Und wie sieht es in Europa aus?
Innerhalb der EU ist Frankreich führend im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Deutschland ist bei der Robotik zwar nach wie vor stark, hat aber bei der KI deutlichen Aufholbedarf gegenüber den USA, China, Frankreich, Großbritannien und der Schweiz. Dabei haben wir eine riesige Stärke: In Deutschland verfügen wir über Substanz in allen kritischen Technologien – von der Mechatronik über die Sensorik bis zur Software. Es gibt in unseren Forschungsinstituten spannende Prototypen, aber was fehlt, ist die Kommerzialisierung.
Was müsste sich ändern, damit Deutschland im globalen Wettbewerb mithalten kann?
Mehr unternehmerischer Mut! Wir haben das Know-how und das technische Fundament – jetzt braucht es entschlossene Unternehmen, die den nächsten Schritt gehen. Das größte Risiko ist aus meiner Sicht, gar kein Risiko einzugehen. Wer heute zögert, verpasst die nächste große Welle der Automatisierung.
Die Synapticon GmbH in Schönaich (Kreis Böblingen) wurde 2012 gegründet und ist in der integrierte Antriebstechnik und funktionale Sicherheit für Serviceroboter tätig. Das Unternehmen hat unter anderem die weltweit einzige Produktsicherheitsplattform für KI-gesteuerte Robotik entwickelt. Synapticon beschäftigt aktuell rund 100 Mitarbeiter in Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, Serbien, den USA und China. Kunden sind Hersteller von Robotern und Automationsplattformen, darunter innovative Startups als auch etablierte Marktführer.
Kontakt

Walter Beck