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Unternehmen Klimaschutz: Innovation trifft Infrastruktur
Klimaschutz mag derzeit aus den Schlagzeilen verdrängt worden sein. Dennoch treiben Staaten und Unternehmen weltweit den Wechsel zu einer CO2-freien Wirtschaft voran. Daran wirken auch Firmen aus der Region mit, wie wir an vier Startups und einem traditionsreichen Familienunternehmen zeigen.
- Globaler Aufschwung: Pfisterer SE steigert Umsätze um 15 Prozent
- USA: Windkraft boomt trotz regulatorischer Herausforderungen
- Neues Hochvolt-Testlabor am Hauptsitz in Winterbach
- Ladeinfrastruktur: Eliso plant Ausbau in Deutschland und Europa
- Deutschlandnetz: Öffentliche Schnellladepunkte im Fokus
- Wasserstoff als Schlüsseltechnologie für industrielle Dekarbonisierung
- Bürkle Anlagenbau: Teststände für Elektrolysetechnologien
- Klimaneutrale Kläranlagen: Variolytics bietet technische Lösungen
- Echtzeit-Daten zur Steuerung von Klärprozessen
- Marktpotenzial durch neue EU-Richtlinie
- TreeO digitalisiert Aufforstung und CO2-Kompensation
- Datenbank und Projekte als Grundlage für nachhaltige Kreislaufwirtschaft
Wenn ein neuer Windpark in der Nordsee entsteht, wenn in Indien ein Solarkraftwerk angeschlossen wird oder Stromleitungen über hunderte Kilometer gebaut werden, sind sehr wahrscheinlich die Produkte der Pfisterer SE in Winterbach dabei. Das Familienunternehmen mit 104-jähriger Tradition stellt Kabelanschlusssysteme her – von Hausanschlussklemmen bis zu Unterseekabeln und Überlandleitungen, durch die mehrere Hunderttausend Volt fließen. „Vom Kraftwerk bis zum Endverbraucher sind unsere Produkte immer dabei“, sagt Johannes Linden, Vorstandssprecher von Pfisterer.
Momentan sind Kabelverbindungen und Isolatoren der Remstäler weltweit besonders gefragt. Von den Werken in Winterbach und Gussenstadt (Kreis Heidenheim), Kadan (Tschechien) und seit kurzem auch in Rochester im US-Bundesstaat New York werden Energieversorger und Netzbetreiber in 90 Ländern beliefert. Die Umsätze sind 2024 um 15 Prozent auf 383 Millionen Euro in die Höhe geschossen.
Globaler Aufschwung: Pfisterer SE steigert Umsätze um 15 Prozent
Warum läuft das Geschäft gerade jetzt so gut? „Viele Länder bauen ihr Netz wegen des steigenden Strombedarfs stark aus“, sagt Linden. „Andere bauen es in großem Stil um, weil dies der Paradigmenwechsel zu mehr dezentraler Versorgung mit erneuerbaren Energien notwendig macht.“
Denn anders als oft zu lesen und zu hören, ist die „Energiewende“ kein Spleen der Deutschen, sondern ein weltweites Phänomen. „Dekarbonisierung spielt in praktisch allen Märkten eine große Rolle“, führt der Pfisterer-Chef aus. Indien plant Investitionen von 386 Milliarden US-Dollar in erneuerbare Energien, um bis 2030 eine Kapazität von 500 Gigawatt zu erreichen, so der Branchendienst BloombergNEF. Auch die Ölstaaten im Mittleren Osten bringen enorme Investitionen auf den Weg. China hat im Jahr 2023 beeindruckende 216,9 Gigawatt an Solaranlagen installiert und damit mehr als die gesamte bisherige Kapazität der USA.
USA: Windkraft boomt trotz regulatorischer Herausforderungen
Doch auch in den Vereinigten Staaten boomt das Geschäft. Zwar hat die Trump-Regierung den Bau von Offshore-Windparks verboten, der in der Hoheit des Bundes liegt. Onshore-Wind- und Solarprojekte der Bundesstaaten laufen aber auf Hochtouren weiter – auch in republikanischen Hochburgen wie Texas und Oklahoma. „Die Amerikaner können rechnen“, sagt Linden. In Texas werde Strom aus Windkraftwerken derzeit zu Kosten von weniger als 3 Cent erzeugt – „da kommt keine andere Energiequelle mit“. Hinzu kommt der jahrzehntelange Investitionsstau im hoffnungslos veralteten Stromnetz der USA, der nicht noch weiter aufgeschoben werden kann.
Neues Hochvolt-Testlabor am Hauptsitz in Winterbach
Laut Linden kommt das Beste noch. Nicht nur mit dem 100-Milliarden-Paket für Klimaschutz-Investitionen, das noch vor der Formierung der neuen Bundesregierung auf den Weg gebracht wurde, und von dem Pfisterer unmittelbar zu profitieren hofft. Die Internationale Energieagentur erwartet, dass sich die Investitionen in Stromnetze in den kommenden zehn Jahren auf 775 Milliarden Dollar mehr als verdoppeln. Wer wie Pfisterer weltweit operiert und als einziges Unternehmen die gesamte Kette von Erzeugung, Transport, Verteilung und Verbrauch anbietet, hat dabei gute Karten. Nicht zu vergessen die über 100jährige Erfahrung der Winterbacher, die bei den hohen Qualitätsanforderungen der Branche ein Trumpf ist. „Die Kunden erwarten, dass unsere Produkte 40 bis 50 Jahre wartungsfrei funktionieren“, sagt Linden.
Das schwäbische Unternehmen expandiert – auch am Hauptquartier in Winterbach. Dort wird gerade ein Testlabor für Hochvoltgleichstrom gebaut. Die 34 Meter hohe und 1500 Quadratmeter große Halle soll in spätestens zwei Jahren fertig sein.
Ladeinfrastruktur: Eliso plant Ausbau in Deutschland und Europa
Wenn von der Energiewende die Rede ist, darf die Elektromobilität nicht fehlen. Was die Klimabilanz betrifft, hinkt der Mobilitätssektor der Industrie und der Energiewirtschaft deutlich hinterher, der Wechsel zum Elektroantrieb geht offensichtlich schleppender voran, als sich Optimisten noch vor ein paar Jahren ausgemalt hatten. An der Netzinfrastruktur dürfte das jedoch nicht liegen, glaubt man zumindest bei Eliso in Stuttgart, einem Anbieter von Ladestationen.

Das junge Unternehmen plant, installiert und betreibt seit 2016 Ladestationen für Elektroautos vor allem in städtischen Regionen, wo es auch den größten Bedarf gibt. „Damals war das noch ein Exotenthema“, sagt Eliso-Geschäftsführer Johannes Brodführer. Richtig losgegangen sei es erst nach Corona. Doch nun sei die Skepsis weitgehend verschwunden, so Brodführer.
Seit 2022 gehört Eliso mit derzeit 90 Mitarbeitern in Stuttgart und Berlin zum französischen Infrastruktur-Konzern Vinci. Die Ladestationen entstehen an öffentlichen Standorten, etwa in Tiefgaragen und Kundenparkplätzen von Möbelmärkten und Einzelhändlern, aber auch an Bundesstraßen und Autobahnen. „Wir produzieren keine Hardware“, sagt Brodführer. Bei Lieferung, Montage, Bau, Elektrotechnik und IT greifen die Stuttgarter auf Partnerunternehmen zurück. „Unsere Ladestationen sind unabhängig von Fahrzeugherstellern zugänglich“, so der Eliso-Chef, „das ist eine unserer Stärken.“
Deutschlandnetz: Öffentliche Schnellladepunkte im Fokus
Beim Ausbau der Ladeinfrastruktur liegt das Stuttgarter Startup denn auch gut im Rennen. Unter anderem übernimmt Eliso knapp 900 der insgesamt 9000 Ultraschnellladepunkte des „Deutschlandnetzes“ an 110 Standorten bundesweit. „Als einziges Unternehmen aus Baden-Württemberg haben wir eine der Ausschreibungen gewonnen“, freut sich Brodführer. „Das ist für uns schon so etwas wie der Ritterschlag.“ 2027 sollen die Stationen fertig sein, der Vertrag läuft über eine Betriebsdauer von 16 Jahren.
Seit der Gründung hat das Unternehmen insgesamt mehr als 2000 Ladepunkte aufgebaut. Erst vor Kurzem wurden in Rheinfelden vier Schnellladepunkte und damit der dritte Ladepark in Baden-Württemberg errichtet. In den kommenden Jahren will Eliso mehrere hundert öffentliche Ladepunkte auch in anderen europäischen Ländern einrichten, kündigt Brodführer an. „Nach oben gibt es kaum eine Grenze.“
„Es wird stark in die Ladeinfrastruktur investiert, mit klarem Schwerpunkt auf städtische Regionen“, sagt der Firmenchef. „Auch in Stuttgart wird noch viel passieren.“ Langfristig werde sich das Netz aber auf ganz Deutschland ausrollen, denn für E-Auto-Benutzer, die weder zuhause noch beim Arbeitgeber laden können, spielen öffentliche Ladestationen eine zentrale Rolle.
Die Skepsis, ob ein ausreichend leistungsfähiges Netz in absehbarer Zeit überhaupt aufgebaut werden kann, teilt Brodführer nicht. „Es muss punktuell Netzkapazität aufgebaut werden, aber das ist machbar.“ In Deutschland gebe es derzeit rund 1,65 Millionen rein elektrische Autos. „Selbst wenn die Zahl noch erheblich steigt, besteht keine Gefahr, dass das Stromnetz nicht mit dieser Auslastung zurechtkommt.“
Das bedeutet aber auch: Bis wirklich alle elektrisch fahren, wird es noch Jahrzehnte dauern. „Während wir hier sprechen, laufen in Untertürkheim Verbrenner vom Band. Wir haben also noch genügend Zeit, das Stromnetz parallel auszubauen.“
Die Ladestationen werden zur Schnittstelle, um E-Autos in das Gesamtsystem des Energiemarktes zu integrieren. Sie können dann als Stromspeicher fungieren und Strom auch wieder abgeben, wenn dieser im Netz gebraucht wird. In Zukunft wird es ganz normal sein, dass Elektroautos in lastschwachen Zeiten, etwa nachts, aufgeladen und Lastspitzen vermieden werden. Intelligente Netze lassen es zu, den Abfahrtzeitpunkt zu planen, so dass das Auto auf jeden Fall zum gewünschten Zeitpunkt aufgeladen zur Verfügung steht.
Wasserstoff als Schlüsseltechnologie für industrielle Dekarbonisierung
Was die Elektromobilität für den Verkehr, das ist die Wasserstoffwirtschaft für die Industrie. In Staaten wie Namibia oder Chile werden derzeit viele Milliarden in die Erzeugung von Wasserstoff mit Hilfe erneuerbaren Energien investiert. Auch das Land Baden-Württemberg und die hiesigen Unternehmen tun viel dafür, den Anschluss an die Entwicklung zu behalten – etwa mit der„Wasserstoff- und Brennstoffzellenstrategie für die Region Stuttgart“.
An „grünen“ Wasserstoff als Energieträger werden die allerhöchsten Erwartungen geknüpft. Vor allem soll er in der Stahl-, Aluminium- und Chemieindustrie das Erdgas als Energieträger und Lieferant von Prozesswärme ersetzen.
Hergestellt wird Wasserstoff wie seit mehr als 200 Jahren durch Elektrolyse: Wasser wird durch elektrische Energie in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Allerdings arbeiten moderne Elektrolyse-Anlagen nicht mit nackten Metalldrähten wie im Physikunterricht: Die Elektroden sind flächig und durch eine elektrochemische Membran getrennt. Diese „Stacks“ oder Elektrolysezellen können nach Größe, Material und Aufbau unterschiedlich konstruiert sein. Auch Betriebsdruck, Temperatur, Stromstärke und die Reinheit des verwendeten Wassers haben Einfluss auf die Effizienz der Elektrolyse und damit auf die Wasserstoffausbeute.
Bürkle Anlagenbau: Teststände für Elektrolysetechnologien
All dies zu untersuchen, ermöglichen Jörg Bürkle und seine Kollegen von der Bürkle Anlagenbau GmbH ihren Kunden aus Industrie und Wissenschaft. Das 2022 im Stammhaus der Familie im Stuttgarter Heusteigviertel gegründete Startup baut Teststände, mit denen alle wichtigen Parameter einer Elektrolyseanlage bestimmt werden können. „Im Prinzip konstruieren wir eine originalgetreue Anlage im kleinen Maßstab, die der Kunde nutzt um seine Elektrolysezellen und Stacks in diesem verkleinerten Maßstab zu testen und später in industrieller Größenordnung nachbauen zu können“, sagt der Energietechnik-Ingenieur.
Unter anderem greifen Bosch, der schwedische Stahlproduzent Aleima und der Elektrolyseentwickler Sungrow Deutschland GmbH auf die Dienste der Stuttgarter zurück. Zurzeit arbeitet Bürkle an einer Anlage für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart-Vaihingen, an dem er vor seiner Startup-Gründung selbst zehn Jahre tätig war.
Und was genau hat die Entwicklungsarbeit der Stuttgarter Firma mit der Energiewende zu tun? Mehr, als es zunächst scheint. Denn dem massenhaften Einsatz der Elektrolyse zur Produktion von Wasserstoff steht nicht nur die Verfügbarkeit von „grünem“ Strom entgegen. Hinzu kommt, dass die gängige Polymerelektrolytmebran- (PEM-) Technologie auf die seltenen Metalle Platin und Iridium als Katalysatoren angewiesen ist. Die sind nicht nur teuer, sondern schlicht nicht in ausreichender Menge verfügbar, sollte die Wasserstoffwirtschaft eines Tages Fahrt aufnehmen.

Deshalb wird zurzeit intensiv an der Anionenaustauschermembran-Elektrolyse gearbeitet. Sie kommt mit gut verfügbaren Materialien aus und arbeitet sehr effizient. Auch bei Bürkles Projekt für das DLR geht es um diese Technologie. „Im Forschungsbereich funktionieren AEM-Anlagen bereits“, sagt der Gründer. Dass die Anwendung in größerem Stil noch stockt, hat damit zu tun, dass die AEM-Membranen Kalilauge enthalten. „Das ist eine aggressive Substanz, die Metallbestandteile der Anlage angreift und zudem leicht ausgewaschen werden kann.“ Allerdings seien das Hindernisse, die man früher oder später in den Griff bekommen dürfte, meint Bürkle.
Klimaneutrale Kläranlagen: Variolytics bietet technische Lösungen
Klimaschutz ist aber auch nicht nur Energieerzeugung und Verkehr. Wer genau hinschaut, wo überall Treibhausgase in die Atmosphäre ausgestoßen werden, erlebt eine Überraschung. So haben etwa Kläranlagen einen ähnlich hohen Anteil wie der gesamte Flugverkehr. „Kaum jemand hat das bisher auf dem Schirm gehabt“, sagt Johann Barlach, der vor fünf Jahren gemeinsam mit Dr. Matthias Stier und Steffen Görner das Startup Variolytics gegründet hat.

Doch jetzt ist das Thema hochaktuell, weil eine EU-Richtlinie die europäischen Kläranlagen bis 2040 klimaneutral machen will. Hierzu sollen die rund 6000 Kläranlagen in Gemeinden mit über 10.000 Einwohnern ihre Treibhausgasemissionen ab Ende 2027 drastisch reduzieren. Barlach, Stier und Görner – mittlerweile ist auch Fine Wolff im Führungsteam – wollen hierzu ihren Teil beitragen: Mit einem verbesserten Massenspektrometer, das der Verfahrenstechniker Stier am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Stuttgart Vaihingen entwickelt und patentiert hat.
Das Analysegerät ermöglicht es, die Konzentration verschiedener Gase in der Abluft und in Flüssigkeiten gleichzeitig und in Echtzeit zu bestimmen. Kläranlagen können damit ihren Ausstoß an Treibhausgasen kontinuierlich überwachen und die Abwasser- und Sauerstoffzufuhr so steuern, dass der Ausstoß von Klimagasen minimiert wird.
Echtzeit-Daten zur Steuerung von Klärprozessen
Vor allem geht es um Lachgas (N2O), das mehr als 200mal so treibhauswirksam ist wie CO2. Lachgas entsteht in suboptimal eingestellten Kläranlagen in großer Menge und macht dort rund 80 Prozent der Gesamtemissionen aus. Bisher gab es kein etabliertes Messsystem dafür.
Das Messsystem von Variolytics liefert aber nicht nur Daten über die Emission von Lachgas, sondern auch von Methan, CO2 und Sauerstoff. Alle diese Gase sind wichtig, um die Anlage hinsichtlich Treibhausgasemissionen, Abwasserreinheit und Energieverbrauch richtig einzustellen.
Bisher drehen die Kläranlagenmanager den Durchlauf und den Sauerstoffeintrag einfach so hoch, dass die Abwassergrenzwerte in jedem Fall eingehalten werden. Viel hilft viel – aber leider nicht bei den Treibhausgasen. Wird hier vom Optimum nach oben oder unten abgewichen, entsteht Lachgas – und obendrein wird zuviel Energie verbraucht.
Mit ihren Analysegeräten und der zugehörigen Software bieten die Variolytics-Gründer die Möglichkeit, den Klärungsprozess dynamisch zu steuern. Das heißt: Energieverbrauch und Emissionen werden genau so stark reduziert, wie es die Abwassergrenzwerte zulassen. Entscheidend sei, dass die Messdaten in der Cloud gespeichert und über eine Software ausgewertet werden, erklärt Barlach.
Marktpotenzial durch neue EU-Richtlinie
Insgesamt erlaube es die Variolytics-Technik, die Gesamtemissionen an Treibhausgasen in einer Kläranlage um 50 bis 60 Prozent zu senken – eine konservative Schätzung, wie Barlach betont. Variolytics erwartet deshalb eine stark steigende Nachfrage, wenn die EU-Richtlinie in Deutschland in zweieinhalb Jahren umgesetzt werden muss. „Wir können dann hier in Vaihingen bis zu 240 Messsysteme pro Jahr produzieren“, so der Gründer. Um Platz zu schaffen, müssen die derzeit 15 Mitarbeiter ihre Büros räumen und aus dem Erdgeschoss in ein höheres Stockwerk umziehen.
Von ihrem Top-Produkt „EmiCo“, das bis zu 16 Messpunkte in Luft und Wasser in Echtzeit messen kann, sind derzeit drei Exemplare in Betrieb. Sie stehen in den Kläranlagen Stuttgart-Möhringen, Göppingen und Ulm. Für kleinere Betreiber, die nicht gleich 250.000 Euro ausgeben möchten, halten die Stuttgarter Gründer das kleinere „EmiCo lite“ bereit, das für gut ein Zehntel der Anschaffungskosten zwei Messpunkte aus der Abluft der Klärbecken und -kanäle überwachen kann.
Insgesamt 25 Apparate dieses Typs haben sie bisher verkauft, überwiegend in Deutschland, aber auch in Dänemark, Großbritannien und Irland. „Nordeuropa, die Niederlande und Großbritannien sind Vorreiter,“ sagt Barlach. „Dort sehen wir in den kommenden Jahren auch das größte Potenzial und wollen einen Vertrieb aufbauen.“ Bis 2027 will das bisher Venture-Capital-finanzierte Startup 350 Kunden gewonnen und den Break-Even geschafft haben.
Schwierigkeiten aufgrund leerer Kassen und Bremsspuren in der Klimapolitik fürchten die Startup-Gründer eher nicht. „Unser Angebot ermöglicht es den kommunalen Kläranlagenbetreibern, mit sehr geringen Investitionen die Emissions- und Abwassergrenzwerte einzuhalten und darüber hinaus auch noch Energiekosten zu sparen.“
Im Gegensatz zu manchen anderen Klimaschutzmaßnahmen sei die Aufrüstung der Kläranlagen auch nicht mit Verzicht oder Zumutungen für die Bürger verbunden. „Es ist eine Win-Win-Situation“, schließt Johann Barlach.
TreeO digitalisiert Aufforstung und CO2-Kompensation
Klimaschutz funktioniert dann am besten, wenn er ein wirtschaftliches Fundament besitzt und die Beteiligten einen konkreten Vorteil davon haben. Genau dies haben sich auch Johannes Schwegler und Dr. Stefan Ferber auf die Fahnen geschrieben. Mit TreeO – auch dies ein Stuttgarter Startup – vermarkten sie eine App, mit der sich einzelne Bäume erfassen lassen, und mit der die Wirksamkeit von Aufforstungsmaßnahmen überwacht werden kann.

„Bäume zu pflanzen ist immer noch die einfachste und wirksamste Methode, CO2 aus der Luft zu entfernen“, sagt Schwegler. Zumindest gilt das dann, wenn die Bäume tatsächlich neu gepflanzt worden sind, wenn sie alt und groß werden dürfen und wenn aus ihrem Holz am Ende langlebige Produkte gemacht werden. Dies versuchen Schwegler und Ferber in Zusammenarbeit mit der Fairventures Digital GmbH für ihre Kunden aus der Industrie transparent zu machen, die sich freiwillig besonders ambitionierte Klimaziele gesetzt haben.
Datenbank und Projekte als Grundlage für nachhaltige Kreislaufwirtschaft
Die Unternehmen erhalten die Möglichkeit, in anderen Ländern die Aufforstung zu finanzieren und so einen Ausgleich für eigene, nicht vermeidbare CO2-Emissionen zu schaffen. „Leider ist dieser Markt in Verruf geraten“, sagt Schwegler. Es gab einfach zu viele unseriöse Angebote, die Klimaschutzmaßnahmen nicht hinreichend umsetzten. „Wir müssen erst einmal wieder Vertrauen schaffen, weil jeder fürchtet, mit Greenwashing in Verbindung gebracht zu werden.“
Dabei war dem Betriebswirt und gelernten Modellschreiner sofort klar, dass dies nur mit klarer Transparenz und Erfassung jedes einzelnen Baums gelingen würde. Mit Hilfe des ehemaligen Bosch-Managers Ferber, mit dem ihn eine private Bekanntschaft verband, entstand so die TreeO-App.
„Jeder hat heute ein Smartphone“, erklärt Schwegler, „auch die meisten Landwirte und Forstleute im globalen Süden“. Für die örtlichen Kleinbauern, die als Partner von TreeO und Fairventures in Uganda und Indonesien Bäume pflanzen, ist es so ein Leichtes, diese einmal im Jahr zu fotografieren. „Aus Größe, Baumart und Stammumfang berechnet die App den Holzzuwachs und die Menge an gebundenem CO2.“
Den Unternehmenspartnern wie Stihl, Ravensburger Spiele oder der Robert-Bosch-Stiftung können die Gründer also genau Rechenschaft ablegen, wie klimawirksam ihre Investitionen waren. Den Firmen wird dies mit einem Zertifikat der Schweizer Agentur Carbon Standards International attestiert.
„Ebenso wichtig wie die App selbst ist unsere Baumdatenbank mit derzeit insgesamt drei Millionen Datenpunkten“, so Schwegler. Bereits nächstes Jahr werde diese die umfangreichste digitale Baumdatenbank der Welt sein. Dem stehen rund 2000 Hektar Aufforstungsfläche gegenüber, Ziel ist es, in den kommenden Jahren die 100.000 zu überschreiten.
Die Aufforstungen seien der Einstieg in eine Kreislaufwirtschaft, von der die lokale Bevölkerung profitiert, glaubt Schwegler. In den Projekten, die TreeO und Fairventures betreuen, wird das Holz als nachhaltiges Baumaterial und zur Konstruktion im Fahrzeug- und Flugzeugbau verwendet. Im Schatten der Bäume werden Früchte und Gemüse angebaut.
„Es ist von großer Bedeutung, dass die lokalen Partner gut bezahlt werden und ihren Lebensunterhalt bestreiten können“, ergänzt Schwegler. „So gibt es keinen Anreiz, sich mit Akteuren einzulassen, die Raubbau und das schnelle Geld im Sinn haben.“ Derzeit beschäftigt TreeO 15 Mitarbeiter in Stuttgart und weitere 30 in Afrika und Asien.
Das Geschäft sei nicht unbedingt einfacher geworden, seit die junge Firma vor dreieinhalb Jahren an den Start gegangen ist. „Global hat sich der Wind gedreht, und Klimaschutz hat kaum noch Priorität“, bedauert Johannes Schwegler. Dennoch ist er zuversichtlich: TreeO, das sich bisher zur Hälfte durch Risikokapital der Sparkassen finanziert, soll schon im nächsten Jahr den Break-Even erreichen.
Dass sich gerade so viele junge Startups dem Klima- und Ressourcenschutz verschrieben haben, ist sicher kein Zufall. Auch wenn der Fridays-for-Future-Hype verebbt ist, haben die technisch orientierten Gründer aus der Region hier ein Betätigungsfeld gefunden, das lange Zeit trägt – und hoffentlich zu guten Ergebnissen führen wird.
Walter Beck, Redaktion Magazin Wirtschaft, Titelthema Ausgabe 5-6.2025
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