Zeitsprung Häussermann

Unser Geschäft ist seit 150 Jahren in der Familie. Mein Ur-Ur-Großvater Gotthold Häussermann hatte hier gelernt. 1875, als sein Chef pleite ging, kaufte er die Firma aus der Insolvenz. Damals war es allerdings noch kein Haushaltswarengeschäft, sondern ein Eisenwarenhandel. Angeboten wurde alles, was die Bauern in der Umgebung brauchten. Ganze Bolleröfen konnte man kaufen oder Ketten, um die Kühe anzubinden.
Eigentlich wollte Gotthold das Geschäft an seinen Sohn weiter­geben. Doch der starb jung - zusammen mit Frau und Kind. Was für eine Krankheit das war, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Auf jeden Fall suchte mein Ur-Ur-Großvater daraufhin einen passenden Mann für seine Tochter Helene. Die Wahl fiel auf Ernst Kienzle, der aus einer Waiblinger Gastwirtsfamilie stammte.
Gotthold konnte sich einfach nicht vorstellen, dass eine Frau ein ­Geschäft führen kann. Dabei trat genau das ein, denn ­Helenes Mann und später ihr Sohn Walter mussten in den Krieg ziehen. Da war sie wieder allein.

Oma Ilse brachte die Haushaltswaren ins Geschäft

Walter, also mein Opa, brachte aus dem Krieg seine Frau mit, meine Oma Ilse. Sie kam aus Bochum, wo sie in einem Haushaltswarengeschäft groß geworden war. So kamen die Haushaltswaren in den Eisenwarenhandel.
Nach Opa hat sein Sohn Gerhard, also mein Onkel, das Geschäft zusammen mit meiner Mutter geführt. Beide sind längst in Rente, Gerhard hilft aber immer noch oft mit.
Das Schöne ist, dass unsere Kunden so treu sind und uns immer wieder ­positive Rückmeldung geben.
Opa hatte drei Enkel. Er sagte immer, der für den es am besten passt, soll das Geschäft übernehmen. Ich habe eigentlich Jura studiert, aber als 2005/06 hier groß umgebaut wurde, habe ich viel mitgeholfen und festgestellt, wie viel Spaß es mir macht: der direkte Kontakt zu den Kunden und dass jeder Tag anders ist. Auch das Arbeits­umfeld ist sehr angenehm, zumal ­unsere Mitarbeiter zum Teil seit Jahrzehnten dabei sind. Wir bilden auch aus; manche ehemaligen Azubis kommen später wieder zu uns zurück.

Die neuesten Trends aus Chicago oder Shanghai

Das Geschäft, das ist mein Ding, habe ich damals erkannt. Deshalb habe ich eine Lehre als Büro- und als Einzelhandelskauffrau gemacht und den Handelsfachwirt draufgesattelt.
S-W-Bild des Schaufensters
So feierte Häussermann den 100. Geburtstag im Jahr 1975 © STEFANIE KIENZLE
Ich bin in mehreren Händlernetzwerken aktiv und fahre oft auf Messen, nicht nur in Deutschland, sondern zum Beispiel auch nach Chicago oder Shanghai. Alles, damit ich die ­neuesten Trends mitbekomme. Gerade wollen alle Zubehör für Heißluftfritteusen und die Kinder die Sammelkulis von Legami.
Handel ist Wandel. Unser Sortiment hat sich immer wieder verändert. Für Opa war zum Beispiel Stahl das Wichtigste. Ich erinnere mich aber auch noch, wie hier Gartenmöbel containerweise angeliefert wurden. Das geht alles nicht mehr seit die Marktstraße Fußgängerzone geworden ist. Jetzt sind wir Super-Innenstadt.

Stammkunden wollen das ganze Jahr Weckgläser kaufen können

Wir bieten an, was der Kunde nachfragt. Das ist wichtig, denn Winnenden ist kein Touristenort, wo immer wieder neue Leute kommen. Wir haben hauptsächlich Stammkunden, und die kommen gern um zu gucken, was es Neues gibt. Sie erwarten aber auch das Standard­sortiment, zum Beispiel dass wir das ganze Jahr über ­Weckgläser vorrätig haben.

Corona zeigte, wie treu die Kunden sind

Das Schöne ist, dass unsere Kunden so treu sind und uns immer wieder positive Rückmeldung geben. Während Corona hat sich das sehr bewährt. Sie haben viel in Kauf genommen, zum Beispiel dass wir lange Zeit nur eine ­Theke hatten und sie Schlange stehen mussten. Wir haben aber auch viel gemacht, waren immer da, am ­Telefon, online und persönlich.
Außenansicht 1980
So sag das Winnender Traditionsgeschäft 1980 aus. © STEFANIE KIENZLE
Nicht nur das Sortiment, auch die Geschäftsräume haben sich immer wieder verändert. Wir haben mehrere Häuser dazugekauft oder -gebaut. Deswegen ist es hier sehr verwinkelt.

Ob es eine sechste Generation gibt? Mein Neffe ist erst drei, kommt aber sehr gern mit ins Geschäft. Dann bewegt er sich immer super vorsichtig, damit nichts kaputt geht und er wiederkommen darf.
Aufgezeichnet von Dr. Annja Maga, Redaktion Magazin Wirtschaft, für die Rubrik “Menschen&Ideen”