Hilfe, unser ITler geht in Rente

Mit dem Ruhestand der Baby-­boomer droht in ­vielen Unternehmen ein massiver Verlust an IT-Wissen und Erfahrung. Besonders betroffen sind ­historisch gewachsene Systeme und individuelle Lösungen, deren tiefgehende Funktionsweise oft nur wenigen – meist inzwischen älteren – Fachkräften bekannt ist. Doch dieses ­Wissen ist für den stabilen Betrieb, die Wartung und Weiter­entwicklung be­stehender IT-Landschaften unverzichtbar.

Das Wissen erfahrener Experten muss gesichert werden

Die Herausforderung besteht nun darin, dieses Wissen über den Ruhestand der erfahrenen Experten hinaus zu sichern. Dabei ist es entscheidend, dass es strukturiert und nachhaltig an die nachfolgenden Generationen weitergegeben wird. Doch genau hier stoßen viele Unternehmen an ihre Grenzen.
Die Probleme dabei sind vielfältig. Sie beginnen schon damit, dass vieles un­bewusstes Wissen ist, also intuitiv verankert und darum schwer zu dokumentieren. Außerdem sind viele Systemlandschaften sehr komplex, weil sie aus jahrzehntelang gewachsenen Strukturen mit zahlreichen Abhängigkeiten bestehen. Dokumentationen fehlen oft ganz oder sind veraltet. Hinzu kommt der Zeitdruck: Neben dem Ruhestand verstärkt der allgemeine Fachkräftemangel den Wissenstransferdruck.

Kein Wissenstransfer - schlimme Folgen

Doch ist der Wissenstransfers nur unzureichend, muss mit längeren Ausfall­zeiten durch verzögerte Fehlerbehebung gerechnet werden. Diese ist zudem ­teuer, weil sie zugekauft werden muss. Auch leidet die Sicherheit, da unklare Strukturen zu Fehlkonfigurationen ­führen. Und nicht zuletzt fehlt das Optimierungspotenzial, wenn bewährte Workarounds oder Effizienztricks nicht weitergegeben werden.

Das kann man tun, damit das IT-Wissen nicht verloren geht

Die gute Nachricht: Man kann etwas dagegen tun: Ein erprobter und strukturierter Ansatz ist das „Training Within ­Industry“ (TWI), insbesondere das „Job Instruction Training“ (JIT) und das darauf aufbauende „Job Transfer Training“ (JTT).
Beim TWI handelt es sich um einen strukturierten Wissenstransfer. Die aus den 1940er-Jahren stammende Vorgehensweise ist universell anwendbar und eignet sich hervorragend für die IT.

Die Vier-Stufen-Methode hilft, Wissen zu sichern

Das darauf aufbauende JIT sorgt für eine klare und standardisierte Weitergabe von Wissen, indem es die Schulung von Mitarbeitern nach einer bewährten Vier-Stufen-Methode strukturiert:
  • Vorbereitung: Festlegen, was vermittelt werden soll, und Klärung der wichtigsten Lernziele.
  • Vormachen: Der erfahrene Mitarbeiter demonstriert eine Aufgabe oder einen Prozess.
  • Nachmachen: Der Lernende führt die Aufgabe aus, während der Experte Korrekturen vornimmt.
  • Üben und festigen: Der Lernende wiederholt den Prozess, bis er ihn sicher beherrscht.
Auf die IT übertragen bedeutet das: Wichtige Tätigkeiten – von der Systemadministration über Datenbankwartung bis hin zu Problemlösungsstrategien – werden nicht nur in Handbüchern beschrieben, sondern praktisch vermittelt.
Da IT-Wissen oft über Jahre gewachsen ist, reicht es nicht aus, nur die „Was“- und „Wie“-Fragen zu beantworten. Entscheidend ist auch das „Warum“. Genau hier setzt Job Transfer Training (JTT) an.
Im Gegensatz zu herkömmlichen Trainingsprogrammen setzt JTT auf Tandem-modelle, in denen erfahrene IT-Experten direkt mit ihren Nachfolgern zusammenarbeiten. Dabei geht es nicht nur um einzelne Aufgaben, sondern um den gesamten Kontext, in dem Entscheidungen getroffen werden – vom Geschäftsmodell zur zugrundeliegenden Prozesslandschaft.

Das Tandem-Modell hat sich bewährt

Die Integration von JIT und JTT in den IT-Alltag erfordert kein aufwendiges Transformationsprojekt. Vielmehr können Unternehmen diese Methoden pragmatisch einführen, indem sie:
  • erfahrene IT-Fachkräfte frühzeitig in den Wissenstransfer einbinden;
  • Tandem-Lösungen zwischen ausscheidenden und neuen Mitarbeitern etablieren;
  • Schritt-für-Schritt-Anleitungen nicht nur dokumentieren, sondern aktiv trainieren;
  • regelmäßige Reflexionsrunden einführen, um Wissen gezielt zu hinterfragen und zu strukturieren.
Indem Unternehmen diese Strategien aktiv umsetzen, vermeiden sie nicht nur den plötzlichen Wissensverlust, sondern schaffen auch eine nachhaltige Lernkultur, die auch den technologischen Wandel langfristig unterstützt. Auf jeden Fall sollte man schnell handeln und nicht erst, wenn die Kollegen zum Ausstand einladen.
Götz Müller, GeeMco : Götz Müller Consulting, Weissach im Tal für Magazin Wirtschaft, Rubrik Rat&Tat