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Eine Million Babys ins Leben getragen
Meine Mutter Erika Hoffmann war Jahrgang 1937 und eine typische Vertreterin ihrer Generation: Sie heiratete mit 20, weil man ohne Trauschein nicht zusammenleben durfte, arbeitete als Sekretärin, um ihrem Mann das Studium zu finanzieren, und mit uns vier Kindern lebte sie das klassische Familienmodell. Aber wenn man ihr sagte, „das geht nicht“, dann wollte sie das Gegenteil beweisen.
Als sie 1971 zum dritten Mal schwanger war, sagte sie zu ihrem Gynäkologen, „entweder bekomme ich einen Elefanten oder Zwillinge“. Weil der sie deshalb „hysterisch“ nannte, ließ sie sich ihre Vermutung von der Uniklinik in Tübingen bestätigen.
Als sie 1971 zum dritten Mal schwanger war, sagte sie zu ihrem Gynäkologen, „entweder bekomme ich einen Elefanten oder Zwillinge“. Weil der sie deshalb „hysterisch“ nannte, ließ sie sich ihre Vermutung von der Uniklinik in Tübingen bestätigen.
Vier Kinder aber nur zwei Arme
Die Zwillinge, das waren meine Schwester Lisa und ich. Meine Mutter machte sich Gedanken, wie sie allen vier Kindern gerecht werden könnte, denn sie hatte ja nur zwei Arme. In einem Bildband sah sie ein Foto von einem „Rebozo“. Das ist ein Tuch, mit dem Frauen in Mexiko ihre Kinder tragen. So ein Tuch hatte ihr eine Freundin von einer Reise mitgebracht. Damit trug sie uns durch Massenbachhausen. Das war eine Sensation in dem kleinen Dorf bei Heilbronn. Sogar die „Heilbronner Stimme“ berichtete darüber.
Entweder bekomme ich einen Elefanten oder ZwillingeErika Hoffman bei ihrer dritten Schwangerschaft
1972 brachte der Stern eine dreiseitige Reportage unter dem Titel „Mit der Mutter auf Tuchfühlung“ und Fotos von unserer Mutter und uns. 500 Bestellbriefe gingen daraufhin ein. Dabei hatte das Tuch noch nicht einmal einen Namen. Die Stern-Journalistin fragte deshalb ihren Sohn, der Altphilologie studierte, was „Zwillinge“ auf Griechisch heißt. So sind wir zu „Didymos“ gekommen. Ein wahrer Glücksfall, denn der Name funktioniert international.

Obwohl meine Mutter es nie geplant hatte, musste sie nun ein Unternehmen gründen. Aus heutiger Sicht waren die Bedingungen dafür einfach unglaublich! Mein Vater musste seine Erlaubnis geben, denn bis 1976 wäre das noch ein anerkannter Trennungsgrund gewesen. Zum Glück hat er das Unternehmen immer sehr unterstützt. Allerdings war er nur am Wochenende zu Hause. Um alles zu schaffen, arbeitete Mutter jede Mittwochnacht durch.
Import aus Südamerika ohne Fax und Internet
Erste Tücher importierte sie aus Südamerika. Ohne Fax, Kopierer oder gar Internet! Wenn die Tücher endlich da waren, mussten sie durch den Zoll und dann in Frankfurt abgeholt werden. Weil das zu umständlich und schwer planbar war, suchte meine Mutter eine Weberei auf der Schwäbischen Alb. Damals hatte das Sterben der heimischen Textilindustrie schon begonnen. Zum Glück wurde sie dann aber doch fündig.
Allerdings musste sie größere Mengen abnehmen. Um die zu verkaufen, musste Werbung gemacht werden. Mein Vater gestaltete Anzeigen. Meine Mutter schrieb Presseartikel, und als wir größer waren, packten wir Kinder Päckchen, bedienten das Telefon und verschickten Prospekte.
Allerdings musste sie größere Mengen abnehmen. Um die zu verkaufen, musste Werbung gemacht werden. Mein Vater gestaltete Anzeigen. Meine Mutter schrieb Presseartikel, und als wir größer waren, packten wir Kinder Päckchen, bedienten das Telefon und verschickten Prospekte.
Der Durchbruch kam zur Jahrtausendwende
Meine Mutter ging immer auf volles Risiko. Andererseits hat sie aber auch öfters auf die Bremse getreten, wenn sie Angst hatte, alles würde ihr über den Kopf wachsen. So kam es, dass es bis zur Jahrtausendwende dauerte, bis wir den Durchbruch schafften. Man musste so viel erklären und natürlich wurden auch Fehler gemacht. Als wir zum Beispiel 1976 nach Ludwigsburg zogen, war nicht nur das Haus unfertig, meine Mutter hatte auch nicht daran gedacht, einen Nachsendeantrag zu stellen oder das Telefon umzumelden. Die Kunden fanden uns deshalb nicht mehr.

Seit Ende der 1990er sind wir in der Ludwigsburger Alleenstraße mit einem Bürogebäude inklusive Ladengeschäft, das meine ältere Schwester führt. Was uns sehr vorangebracht hat, ist das Internet. Schon 1996 ließ meine Mutter unsere Domain registrieren. Die Website ebnete uns auch den Weg in den Export. Heute verkaufen wir international, zum Beispiel in Japan und in den USA.
Shitstorm obwohl Corporate Responsibility zur Firmen-DNA gehört
Gerade dort erlebten wir 2016 einen wirklich geschäftsschädigenden Shitstorm – wohl angezettelt von einem Konkurrenten. Uns wurde „kulturelle Aneignung“ der Tuchidee vorgeworfen und dass wir ein Tuch „Indio“ genannt hatten. Wir wussten nicht, dass das in bestimmten Kreisen als rassistischer Begriff gilt. Ausgerechnet uns passierte das, wo doch Vielfalt und Corporate Responsibility zur Firmen-DNA gehören!
Ich bin nach verschiedenen Studien 1997 bei Didymos eingestiegen und seit 2005 in der Geschäftsführung. So konnte ich noch zehn Jahre mit meiner Mutter zusammen Didymos führen, bevor sie 2015 starb. Wir haben uns oft stark gerieben, aber ich habe viel von ihr gelernt. Bis heute vermisse ich sie – auch als Sparringpartnerin.
Genäht wird in Deutschland und in Tschechien, gewebt in Österreich
Heute bieten wir nicht mehr nur Tragetücher, sondern auch Babytragen in vielen Varianten. Gewebt wird in Österreich, genäht in Deutschland und in Tschechien. Wir arbeiten mit Frühchen- und Kinderstationen zusammen und schulen Trageberaterinnen. Für mich ist es ein tolles Gefühl zu wissen, dass seit 1972 eine Million Babys dank unserer Tücher mit Nähe und Geborgenheit ins Leben getragen wurden.
aufgezeichnet von Dr. Annja Maga, Redaktion Magazin Wirtschaft für Rubrik “Menschen & Ideen”
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