Clever bauen für Klima und Konto

Nachhaltiges Bauen muss nicht teurer sein – im Gegenteil: Beispiele aus der Region zeigen, dass der sparsame Umgang mit Ressourcen helfen kann, die oft horrenden Kosten zu senken. Möglich wird dies durch ­modulare und serielle Bauweisen sowie durch den Einsatz recycelter Materialien oder regenerativer Baustoffe wie Holz und Stroh. Regenerative Energien von Photovoltaik bis Wärmerückgewinnung kommen hinzu und senken die Betriebskosen von Immobilien.
Dass die Baukosten in ungekannte Höhen gestiegen sind, ist kein Geheimnis. Im Wohnbau hatten sich die Quadratmeterpreise je Wohnfläche und Jahr im Neubau zuletzt um 1000 Euro erhöht. Allein der Stahlpreis hat sich - bedingt durch den Krieg in der Ukraine - mindestens verdreifacht.
Wohnungsbauministerin Nicole Razavi (CDU) setzt auf starke Anreize zur Deregulierung, um mehr Wohnraum schneller und kostengünstiger zu schaffen. In Stuttgart liegt der aktuelle Quadratmeterpreis für Neubauten zur Miete bei 23 Euro, was weder für Investoren noch Mieter attraktiv ist und zu vielen stornierten Bauprojekten führt.
Ihr Ministerium hat daher die Landesbauordnung (LBO) grundlegend reformiert, um bürokratische Hürden zu reduzieren. Seit dem 28. Juni gelten neue Regelungen, darunter die Abschaffung des langwierigen Widerspruchsverfahrens, das Bauvorhaben um bis zu 14 Monate verzögerte. Aufstockungen und Umbauten wurden erleichtert, und es wurde eine „Genehmigungsfiktion“ eingeführt: Bauanträge gelten automatisch als genehmigt, wenn sie drei Monate nach vollständigem Eingang nicht abgelehnt wurden.

Wohn- und Arbeitsraum im Einklang: Neuer Landesentwicklungsplan für Baden-Württemberg

Zusätzlich setzt die Ministerin auf die Digitalisierung des gesamten Baugenehmigungsverfahrens mit dem „Virtuellen Bauamt“, das bereits von 80 Prozent der Baurechtsämter im Land genutzt wird. Dies entlastet die Verwaltung erheblich und ermöglicht allen Beteiligten synchronen Zugriff auf den Bearbeitungsstand.
Weiterhin wird der 30 Jahre alte Landesentwicklungsplan überarbeitet, um die aktuellen Bedürfnisse von Wohnen, Gewerbe, Mobilität, Landwirtschaft, Photovoltaik und Windkraft sowie Nahversorgung und militärischer Nutzung zu berücksichtigen. Razavi betont die zunehmende Harmonie von Wohnen und Arbeiten, die frühere Gegensätze waren und nun synchronisiert werden müssen.
Mit scheinbar kleinen Änderungen können zum Teil erhebliche Entlastungen für die Bauherren erreicht werden. So sah die LBO vor der Reform einen Stellplatz je Wohnung vor. Seit Ende Juni haben die Kommunen jedoch die Möglichkeit, dies individuell regeln. Das spart im Einzelfall je Wohneinheit bis zu 80.000 Euro – und wertvolle Ressourcen.

Holzhochhaus in Böblingen: Nachhaltiger Wohnungsbau für die IBA27

Markus Müller, Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg, zeigt am Beispiel des Postareals in Böblingen, was dies bedeuten kann. „Im sozialen Wohnungsbau liegt die Pkw-Dichte pro Haushalt bei 0,5, daher sind weniger Stellplätze erforderlich, wenn bedarfsgerecht geplant wird.“ Dort kostet ein Tiefgaragenstellplatz 80.000 Euro in der Herstellung, was durch eine durchdachte Planung, besonders in Bahnhofsnähe, eingespart werden kann. Auf dem Postareal entstand so ein Holzhochhaus mit 14 Etagen als Projekt der Internationalen Bauaustellung 2027 (IBA27), zum Teil mit Sozialwohnungen, zu einem Preis von 1600 Euro pro Quadratmeter.
Für das Dorf Grünkraut bei Ravensburg hat Müller berechnet, dass hier 250 Pflegebedürftige mit einem Bedarf von 2000 Euro pro Monat wohnen könnten, was einem Jahresbudget von sechs Millionen Euro entspricht, das idealerweise lokal ausgegeben wird. Entsprechend wurden Räume für Nahversorger, Ärzte, Apotheken, Sozialstationen und Nachbarschaftshilfe geplant. Müllers Fazit: „Wenn wir ideologiefrei und bedarfsgerecht planen und bauen, werden wir die Herausforderungen meistern.“

Serielles und modulares Bauen: Bis zu 40 Prozent geringere Baukosten möglich

Neben solchen Analysen kommt es auf die Umsetzung an. Neben der Digitalisierung und Vereinfachung des Bauprozesses, wie beim „Gebäudetyp E“, liegen aktuell große Hoffnungen auf seriellem und modularem Bauen, um die Baukosten insgesamt um bis zu 40 Prozent zu senken.
Ein gutes Beispiel, das all diese Ansätze vereint, ist das „Zero“ in Stuttgart-Möhringen, das vor wenigen Wochen bezogen wurde. Das fünfgeschossige Bürogebäude bietet auf 14.200 Quadratmetern 400 Arbeitsplätze. Bauherr war die Sindelfinger EEW GmbH, die seit Jahrzehnten Objekte entwickelt und vermarktet. „Unser Ziel war es, möglichst nachhaltig zu bauen“, sagt Prokurist Patrick Schumann. Als Sohn des Inhabers waren die Chancen für den 27-jährigen Betriebswirt günstig, hier neue Maßstäbe zu setzen.
Dabei setzt das Projekt neben der seriellen Holzmodulbauweise auf einen hohen Autarkiegrad durch eine 170 KWp-PV-Anlage und einen Eisspeicher mit 400 Kubikmetern Wasservolumen. Die Haustechnik wurde verschlankt und nicht auf Spitzenlasten ausgelegt. „In unserer Kantine öffnen wir beispielsweise Türen und Fenster, wenn 200 Personen gleichzeitig essen, danach nur für 20 Minuten“, erklärt Schumann. Die Haustechnik wurde mit Prognosen für Wetterdaten simuliert, die bis 2045 reichen. „Das Projekt erforderte überzeugende Argumente bei Bankern, Steuerberatern und Anwälten, da die Immobilienbranche sehr konservativ ist.“

Innovative Finanzierung und Planung: Wie Kooperation Bauprojekte erleichtert

Niklas Humm, der verantwortliche Planer der Sindelfinger Projektmanagement-Gesellschaft CPM, unterstützte das Projekt und wird künftig Mieter im „Zero“ sein. Der Bauingenieur und Projektsteuerer kombinierte seine Kompetenzen und Ideale bei diesem Projekt. „Architektur, Gebäudetechnik und Baukonstruktion müssen optimal aufeinander abgestimmt sein“, betont er. „Fensterflächenanteil, Möblierungsraster und Heizwärmebedarf korrespondieren miteinander.“
Durch einfachere Bauweise musste das Duo Schumann/Humm weniger investieren und gewann so Spielraum für die Finanzierung besserer Qualitäten. Sie beauftragten Handwerker aus dem Transsolar-Netzwerk für die Haustechnik, die diese Philosophie teilen, aber bislang keine Projekte in dieser Dimension realisiert haben. „Dafür haben wir uns lange bürokratische Verhandlungen erspart und oft per Handschlag kooperiert.“

Energieeffizientes Bauen: Bürohaus „Zero“ verbraucht nur ein Drittel normaler Gebäudeenergie

Solche Details sind typisch für das „einfache Bauen“, das Stefan Leupertz seit Jahren versucht rechtssicher zu gestalten, um Innovationen wieder zu ermöglichen und Kosten um bis zu 30, 40 Prozent zu senken. Bis 2012 war der habilitierte Jurist Richter am Bundesgerichtshof für Baurecht und ist seither Baukonfliktmanager. Zudem berät er Verbände bei der Deregulierung, um von Standards abweichen zu dürfen, wenn alle Beteiligten einverstanden sind: Investor, Bauherr, Käufer und Mieter. Die Resultate solcher mutigen Schritte sind messbar: Das „Zero“, wo der Quadratmeter für 23 Euro vermietet wird, verbraucht nur 24 kWh Energie pro Quadratmeter und Jahr, im Vergleich zu dreimal höheren Werten konventioneller Gebäude.
„Einfaches Bauen“ ist auch bei der Stuttgarter Drees-&-Sommer-Tochter EPEA ein Thema. Allerdings nimmt das Unternehmen, das der Chemiker Michael Braungart 1987 gegründet hat, um die lineare in eine kreislauffähige Wirtschaft zu transformieren, den gesamten Prozess des Bauens in den Blick. Vorbild des gebürtigen Schwäbisch Gmünders war die Natur mit ihrem Rhythmus aus Werden und Vergehen. EPEA-Geschäftsführer Marcel Özer formuliert es so: „Wir wollen weg von den Insellösungen und alle Prozesse und Aspekte miteinander vernetzen.“

Kreislaufwirtschaft im Bau: Nachhaltigkeit über den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden

Bei den eigenen Bauprojekten von Dreso sowie bei Bauherren wie der Stadt Konstanz – derzeit etwa beim Neubau einer Berufsschule – greift die Nachhaltigkeitsstrategie der 45 EPEA-Fachleute. Geschäftsführer Marcel Özer betont: „Eine zentrale Kennziffer unserer Analysen ist der CO2-Wert.“ Dieser wird über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes hinweg betrachtet – angefangen bei der Rohstoffgewinnung und der energieeffizienten Herstellung der Baustoffe und Komponenten, über die Planung und Umsetzung des Bauvorhabens, den Betrieb des Gebäudes, bis hin zu dessen Rückbau und der Wieder- oder Weiterverwendung der verwendeten Materialien.
Als Beratungsunternehmen unterstützt EPEA auch bei der Zertifizierung von Baustoff-Herstellern und deren Produkten für Nachhaltigkeit und moderiert softwarebasiert Branchenlösungen, die wiederum digital mit dem Baurecht oder Qualitätsnormen wie dem Siegel der DGNB abgeglichen werden können. Das kann man mit dem bewährten Pfandsystem der Getränkeindustrie vergleichen, deren Flaschen überall zurückgenommen und vergütet werden und die schließlich – auf Grund identischer Rezepturen – gemeinsam zu neuen Flaschen recycelt werden können. Das gleiche ist auch bei Fensterglas, Beschlägen oder Teppichen möglich, um hochwertige Rohstoffe im Kreislauf zu halten.
Mehr noch: In den Benelux-Staaten bleiben bei neu gebauten Hotels oder Universitäten Fassaden oder Teppiche teils im Besitz des Herstellers, der vom Gebäudebetreiber hierfür eine fixe Honorierung pro Monat bekommt. So bleibt beim Lieferanten der Anreiz, nicht die günstigste Lösung anzubieten, sondern die für ihn profitabelste. Das kann heißen, dass zum Beispiel Teppiche nicht verklebt, sondern per Klettverschluss fixiert werden, um die Textilfasern später wieder verwenden zu können. Oder an Treppenabsätzen und vor Aufzügen besonders robustes Material zu verwenden, um die Haltbarkeit zu erhöhen. Oder nur wenige Quadratmeter auszutauschen, statt der gesamten Fläche.
Gemeinsam mit der digitalen Materialdatenbank Madaster arbeitet Özer auch daran, die Substanz von Gebäuden zu erfassen und zu ermitteln, wann diese sinnvollerweise rückgebaut werden sollen. Die Baubeteiligten erfahren dadurch beispielsweise, wann wo wieviel mineralischer Wertstoff, gebrauchte Fliesen oder Fenster verfügbar werden und können diese bei einem Neu- oder Umbau einplanen. In Tübingen und München erfolgen aktuell Rückbauten, etwa auf ehemaligen Kasernenarealen. Just in time wird dort Material neu aufbereitet und zur Abholung zwischengelagert. „Das spart Kosten in der Logistik, in der Entsorgung und ist in diesen Fällen sogar wirtschaftlicher als der herkömmliche, bisherige Entsorgungsweg“, sagt der 37-jährige Umweltingenieur.

Urban Mining und Stoffstrom-Management: Sekundärrohstoffe als Zukunft der Bauwirtschaft

Die kreislauforientierte Neugestaltung der Stoffströme aus Rückbau und Sanierung wird zu einem zentralen Baustein der zukünftigen Bauwirtschaft. Dabei werden sogenannte Sekundärrohstoffzentren eine Schlüsselrolle spielen – sie sollten bundesweit flächendeckend und interdisziplinär organisiert werden. Visionär Marcel Özer sieht darin enormes Potenzial: „Hier entstehen völlig neue Geschäftsmodelle und Arbeitsplätze.“ In Offenbach gibt es bereits eine Netzwerkinitiative mehrerer Unternehmen, zum Thema Urban Mining. Parallel dazu wandeln sich klassische Abbruchunternehmen zunehmend zu Sekundärrohstoffhändlern und verabschieden sich von ihrem früheren „Schmuddel-Image“. Der Flächenbedarf solcher Hubs hängt maßgeblich vom Stoffstrommanagement und der jeweiligen Nutzung ab.

Elektrifizierung der Baubranche: Schlüssel zur Klimaneutralität und Kostensicherheit

„Die Elektrifizierung ist der Schlüssel zur Klimaneutralität“, sagt Frank Hummel und bringt damit noch einen Aspekt ins Spiel. Der Elektro-Meister aus Frickenhausen hat 1993 ein Systemhaus gegründet, das er 2020 mit mehr als 100 Mitarbeitern an die Strabag AG, einen internationalen Baukonzern mit Sitz in Österreich, verkauft hat Seither berät der 57-Jährige Firmen auf ihrem Weg in die Digitalisierung. Dafür ist das von Özer genannte Beispiel des Stoffstrommanagements ein gutes Beispiel.
Frank Hummel, Autor von „Highway to ­climate hell“, in dem er 2024 im Eigenverlag seine Vision einer „elektrisierenden Zukunft“ skizziert, denkt weit über CO2-neutrale Haustechnik hinaus – hin zur umfassenden Transformation der Industriegesellschaft. Für ihn ist Nachhaltigkeit nicht nur ökologisches Gebot, sondern ein handfester Wettbewerbsfaktor mit dem Potenzial, Kostensicherheit zu schaffen. Hummel fordert ein Umdenken: weg vom Fokus auf Mangel, hin zu lösungsorientiertem Handeln.
Der ehemalige Geschäftsführer der Strabag-Tochter Züblin (bis 2023) hat beispielsweise einen mobilen Baucontainer entwickelt, ausgestattet mit Infrarot-Heizung (IR), Photovoltaikmodulen und Batteriespeicher – nutzbar als autarkes Büro auf Baustellen. Beim Hausbau verzichtet er bewusst auf klassische Dachziegel: Die PV-Module übernehmen die Dachfunktion, auch Fassadenflächen werden zur Energiegewinnung genutzt. Elektroautos betrachtet Hummel konsequent als mobile Stromspeicher, die – etwa über Smart Meter – am nationalen Stromhandel teilnehmen können. In Frankreich ist das bereits Realität.

Energiespeicher, Elektromobilität und Smart Grids: Chancen für Bauherren und Investoren

„Die Speicher werden zunehmend leistungsfähiger und günstiger – und ermöglichen durch autarke Lösungen die Umgehung teurer Netzkosten“, sagt Hummel. Investitionen in diesem Bereich amortisierten sich oft schon innerhalb von fünf Jahren. Technisches Fachwissen sei dafür nicht zwingend erforderlich – denn die Anbieter brächten die nötige Kompetenz gleich mit. „Ein KNX-Bus etwa vernetzt alle Erzeuger und Verbraucher wie etwa die Infrarotheizung (IR) intelligent miteinander – so lässt sich die gesamte Haustechnik präzise und effizient aufeinander abstimmen“, erklärt der Consultant.
Ein praktisches Beispiel liefert Hummel selbst: Sein Bürogebäude wurde mit Infrarotheizung (IR) geplant und ursprünglich mit einem Energiebedarf von 88 kWh pro Quadratmeter kalkuliert. Tatsächlich lag der Verbrauch bei lediglich 33 kWh – selbst bei einer um zwei Grad erhöhten Raumtemperatur wären es nur 47 kWh.
Die Elektromobilität eröffne zudem die Möglichkeit, aktiv am Stromhandel teilzunehmen und zusätzliche Einnahmen zu generieren. So könne etwa ein Garagendach mit Photovoltaik-Modulen genügend Energie für rund 15.000 Pkw-Kilometer pro Jahr liefern. Über seine Firma vermittelt Hummel deshalb nicht nur technisches Know-how, sondern auch Kapital, um die Energiewende voranzutreiben – mit ökologischer Wirkung und wirtschaftlicher Rendite.
Leonhard Fromm für Magazin Wirtschaft 9-10.2025
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