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Unternehmen stärken Demokratie und Zusammenhalt
Ohne stabile Demokratie keine starke Wirtschaft – unter diesem Motto engagieren sich zahlreiche Unternehmen in der Region für demokratische Werte und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Damit die Beispiele Schule machen, veranstalteten die IHK Region Stuttgart und die Landeszentrale für politische Bildung in Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeberverband Südwestmetall Ende März den Fachtag „Demokratieförderung erfolgreich gestalten“.

„Die Zeiten erfordern, dass wir zusammenhalten“, eröffnete IHK-Präsident Claus Paal die Tagung. Dieses Ringen um den Zusammenhalt finde auch in den Betrieben statt und diesen komme somit eine besondere Verantwortung zu, denn: „Viele Menschen haben Angst und manche nutzen diese Ängste aus.“
Betrieb als Ort der Begegnung

Nach Abschluss der Schule kämen Menschen unterschiedlicher Erfahrungen und Ansichten oft nur im Betrieb zusammen, präzisierte IHK-Hauptgeschäftsführerin Susanne Herre. „Es ist der einzige Ort, an dem man sie außerhalb ihrer Blase erreicht.“ Bei einer Blitzumfrage im Publikum gab einer von drei Zuhörern an, schon einmal mit antidemokratischen Äußerungen im Betrieb konfrontiert worden zu sein. Die meisten empfanden dies als Herausforderung, der sie sich mehrheitlich aber durchaus gewachsen fühlten.
„Mit dieser Tagung nutzen wir die Chance zum gemeinsamen Gespräch über demokratische Werte, über die Bedeutung demokratischer Prozesse und Normen“, sagte Sibylle Thelen, Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. „Wenn Unternehmen diese Werte aktiv umsetzen, tragen sie nicht nur zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts bei, sondern schaffen auch die Grundlage für nachhaltigen Erfolg.“
Fachkräfte sollen sich willkommen fühlen
Viele Unternehmen seien alarmiert, weil sie angesichts eines teilweise ablehnenden Klimas fürchten, dass sich die dringend benötigten ausländischen Fachkräfte nicht willkommen fühlen, sagte Herre. Betroffen seien aber auch die rund 27 Prozent der Mitarbeiter, die schon jetzt einen Migrationshintergrund haben, in der Region seien es mit 42 Prozent sogar deutlich mehr, so Herre. „wenn wir auf diese Menschen verzichten müssten, wären wir gesellschaftlich und volkswirtschaftlich arm.“
„In einem Umfeld, das Intoleranz ausstrahlt, werden wir keine internationalen Fachkräfte halten können“, pflichtete Stefan Küpper, Geschäftsführer von Südwestmetall, bei. Unter den drei großen „T“, die einen erfolgreichen Standort ausmachen - Technologie, Talente, Toleranz - gelte es jetzt, das dritte T zu stärken.
Wir haben festgestellt, dass sich die jungen Leute oft nur über einzelne Medien informieren und daher nicht unbedingt ein vollständiges Bild bekommen.
In der von SWR-Redakteur Mark Kleber moderierten Diskussion wurden auch Praxisbeispiele von Unternehmen vorgestellt, die die politische Bildung ihrer Auszubildenden durch gezielte Programme fördern. „Wir haben festgestellt, dass sich die jungen Leute oft nur über einzelne Medien informieren und daher nicht unbedingt ein vollständiges Bild bekommen“, sagt Diana Bäcker, Ausbilderin bei der Hainbuch GmbH.„In einem freiwilligen Workshop zum Demokratieverständnis haben unsere Auszubildenden gelernt, dass politische Entscheidungen eben auch Auswirkungen auf die eigene Ausbildungsstelle haben können.“
Bäcker betonte, dass die private politische Meinung und die Arbeit bei Hainbuch getrennt betrachtet werden. Jedoch möchte der Ausbildungsbetrieb den jungen Menschen Werkzeuge an die Hand geben, wie sie sich politisch bilden und somit auch Einfluss auf die Gestaltung der eigenen Zukunft nehmen können.
Auch bei Siemens ist ein Konzept für Demokratieförderung und Wertorientierung für die Auszubildenden aufgelegt worden, wie Dr. Barbara Ostad von Siemens Professional Education erklärte. Laut der Personalmanagerin sollte Demokratieförderung bereits früher einsetzen, nämlich wenn sich junge Menschen über Berufsperspektiven und Laufbahnen informieren: „In dieser Phase lernen sie, wie man einen Platz im Leben und in der Gesellschaft findet.“

In die Gedankenwelt des Populismus und der Verschwörungstheorien führte Prof. Frank Brettschneider ein. In ihrem „Demokratiemonitor“ untersuchen der Kommunikationswissenschaftler und seine Mitarbeiter von der Universität Hohenheim jährlich die Verbreitung demokratiefeindlicher Denkweisen in der Bevölkerung.
Demnach gibt es einen festen Kern von 15 Prozent der Baden-Württemberger mit einem rechtspopulistischen Weltbild, die Medien, Parteien und Staat gleichermaßen misstrauen und an ein Komplott der Eliten zur Unterdrückung des „Volkswillens“ glauben.
Funktionierender Staat hilft gegen Populismus
Als Gegenmittel sieht der Wissenschaftler vor allem einen funktionierenden Staat: „Man muss sehen, dass Probleme wirklich angepackt werden, dann büßt der Populismus ein wichtiges Argument ein.“ Auch sei es wichtig, nicht durch übertriebenen Pessimismus die Weltuntergangsstimmung zu fördern und politische Auseinandersetzungen nicht ausschließlich unter der Perspektive der Machttaktik darzustellen, wie dies in den Medien oft geschehe. Wichtig seien zudem die direkte Kommunikation mit den Menschen, das Vorgehen gegen Fake News in den sozialen Medien sowie auf allen Ebenen die Förderung von Bildung.
Wie insbesondere Jugendliche die teilweise krisenhafte Wirklichkeit erleben, stellte Dr. Christoph Schleer vom Heidelberger Sinus-Institut in seinem Vortrag dar. „Krisen gab es auch schon früher, aber durch das Smartphone ist die Jugend heute einer wahren Krisen-Dauerbeschallung ausgesetzt“, sagte der Wissenschaftler.

Besorgniserregend findet Schleer, dass je etwa ein Drittel der jungen Leute fürchte, den Anforderungen der Berufswelt nicht gewachsen zu sein, Angst vor Arbeitslosigkeit habe oder gar glaube, berufliche Ziele lohnten sich angesichts der allgemeinen Unsicherheit sowieso nicht. Immerhin aber steht die Jugend in ihrer großen Mehrheit, nämlich zu 90 Prozent, hinter der Demokratie.
Initiativen für die Praxis im Betrieb
Am Nachmittag vertieften die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Fachtags diese Themen in Workshops und informierten sich über vier Initiativen, die Demokratieförderung im Betrieb konkret umsetzen. Vorgestellt wurden das Programm “WelcoMEntor” der Bürgerstiftung Stuttgart, die Fachstelle Extremismusdistanzierung im Demokratiezentrum Baden-Württemberg, die Initiative gegen Antisemitismus „Informiert, couragiert, engagiert!" der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und das Projekt “Rechtsextremismus im Betrieb – Erfahrungen gewerkschaftlicher Strategien zur Stärkung von Demokratie und Toleranz im Betrieb” des DGB-Bildungswerks BW und des Vereins zur Bewahrung der Demokratie.
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Thomas Weise