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"Abschied von der Schönwetterwelt"
In einer Krise hat er sein Amt angetreten, in einer Krise gibt er nun den Staffelstab weiter: Andreas Hadler, der 16 Jahre lang als Präsident die IHK-Bezirkskammer Böblingen geführt hat, wurde Anfang April vor 120 Gästen im Böblinger V8-Hotel in der Motorworld Region Stuttgart feierlich verabschiedet, sein Nachfolger Andreas Weeber ins Amt eingesetzt.

Sie beide verbinde mehr als der Vorname, erklärte Weeber, nämlich die Wertschätzung für die Selbstverwaltung der Wirtschaft und für das Ehrenamt.
Aus der Finanz- und Bankenkrise, in die sein Amtsantritt 2009 fiel, so erinnerte Hadler, seien die Unternehmen und das Land schließlich gestärkt hervorgegangen. „Was uns damals geholfen hat, war nicht nur der Zusammenhalt der Wirtschaft, sondern auch das schnelle und entschlossene Handeln des Staates." Dies habe Vertrauen geschaffen, erklärte der scheidende Präsident. Im Unterschied zu damals habe sich die heutige Krise jedoch, trotz Corona, Ukraine und Trump, durch jahrelange Untätigkeit aufgebaut. Das "Vertrauen in die politische Umsetzungskraft" sei dadurch vielerorts verlorengegangen und müsse jetzt von der Politik dringend zurückgewonnen werden, damit "radikale Kräfte nicht mehr Einfluss gewinnen, als uns gut tut."
Die Gesellschaft radikalisiert sich

Dieses Stichwort nahm der ehemalige Verfassungsrichter Prof. Udo di Fabio auf, der auf Wunsch Hadlers den Gastvortrag „Demokratie - quo vadis?“ hielt. „Der Souverän hat die Welt in Wahlen bunt gemacht“, sagte di Fabio. Die politische Vielfalt erinnere an die Weimarer Republik Ende der 1920er Jahre. Radikale Parteien könnten bereits wieder mehr als ein Drittel der Wählerstimmen auf sich vereinen, in einigen ostdeutschen Ländern sei es bereits mehr als die Hälfte - eine Konstellation, wie sie ab 1932 demokratische Mehrheiten unmöglich gemacht und Hitler den Weg bereitet habe. Dass „unsere Gesellschaft dabei ist, sich zu radikalisieren“ sehe man derzeit aber auch daran, „dass eine Regierung bereits zerlegt wird, bevor sie überhaupt im Amt ist."
Auch im 20. Jahrhundert hat der Westen Kräfte mobilisiert, die man ihm nicht mehr zugetraut hätte.
In die Krise geführt haben nach Ansicht die Fabios vor allem zwei Faktoren. Der eine, allgemein anerkannte: Öffentliche Meinung entsteht heute nicht mehr in moderierten Medien wie Zeitungen und Rundfunksendern sondern unvermittelt und hochemotional in Tiktok und X. Die Meinungsbildung in solchen Medien gleiche einem zerbrochenen Spiegel, sagte di Fabio: "Eigentlich sieht man sogar mehr, aber das Bild ist fragmentiert." Das was man schon immer für richtig hielt, werde bestärkt, die Ansichten anderer verteufelt. Die zweite Wurzel der Radikalisierung besteht laut di Fabio darin, dass sich der Mensch "von gewachsenen Ordnungen entkoppelt" habe: Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und Vereine, Gemeinden gebe es zwar noch, sie seien jedoch zunehmend gezwungen, "ihren Mitgliedern hinterherzulaufen" anstatt eine Richtung und Orientierung vorzugeben.
Soziale Marktwirtschaft - Wurzel der Demokratie
Und dies alles in einer Situation, in der "die Geschichte zurückgekehrt ist mit einer Brutalität wie wir sie seit 10.000 Jahren kennen." Trotzdem gab sich der Verfassungsrichter a.D zuversichtlich. "Auch im 20. Jahrhundert hat der Westen Kräfte mobilisiert, die man ihm nicht mehr zugetraut hätte." Obsiegt hätten nicht die scheinbar vitaleren totalitären Diktaturen, sondern die in ihren Augen dekadenten Demokratien. Diese Kraftentfaltung hält di Fabio auch heute wieder für möglich. Bedingung sei aber ein "Abschied von der Schönwetterwelt", die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit in staatlichen Kernaufgaben und die Stärkung der sozialen Marktwirtschaft als Wurzel der Demokratie.

Dank an den scheidenden Präsidenten Andreas Hadler und Glückwünsche an seinen Nachfolger Andreas Weeber äußerten auch die leitende Geschäftsführerin der Bezirkskammer, Marion Oker, und Landrat Roland Bernhard. Bei einem anschließenden Stehempfang wurde noch viel über den spannenden Gastvortrag und über andere aktuelle Themen diskutiert.
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Marion Oker