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Das Büro der Zukunft – mehr als Homeoffice

Erinnern Sie sich? Wer vor wenigen Jahren den Laptop unter den Arm klemmte, um sich „ins Homeoffice“ zu verabschieden, bekam oft Wünsche für einen „schönen Feierabend“ mit auf den Weg. Zwar experimentierten schon damals einige Unternehmen mit mobilem Arbeiten, aber in der Regel war das „Privileg“ auf einige wenige Mitarbeitergruppen beschränkt und mehr oder weniger bürokratisch geregelt. Denn bei aller Innovationsfreude blieb ein großes Fragezeichen: Würden die Beschäftigten auch verantwortlich mit den neuen Freiräumen umgehen?

Seit Corona ist Homeoffice keine Frage mehr

Seit dem Corona-Schock stellt fast niemand mehr diese Frage. Hunderttausende von Arbeitnehmern wurden im Frühjahr 2020 innerhalb weniger Wochen und Monate an den heimischen Schreibtisch geschickt. Und das Chaos blieb aus. Viele Unternehmen berichteten sogar von einer gestiegenen Produktivität. Mittlerweile ist das Arbeiten mit Laptop und Tablet von zuhause oder in der Bahn für viele zum Alltag geworden.
Manchen wird es schon fast wieder zuviel. „Zunächst war es für die Betriebe tatsächlich eine Herausforderung, ihre Beschäftigten wieder an den Arbeitsplatz zu bekommen“, sagt Constanze Weiß, Technik-Soziologin am Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) in Stuttgart-Vaihingen. „Wir haben aber festgestellt, dass die Wenigsten auf die Dauer nur zuhause oder nur im Unternehmen arbeiten wollen.“ In der aktuellen Studie „Raumwechsel“ haben die Forscherinnen 1000 Erwerbstätige befragt. Herausgekommen ist eine klare Präferenz für den goldenen Mittelweg: den Wechsel zwischen mobilem Arbeiten und der Präsenz in der Firma. Das ist natürlich ein Mittelwert – es gibt auch Personen, die lieber überwiegend im Büro oder mobil arbeiten möchten. „Die meisten Unternehmen steuern deshalb eine hybride Arbeitsweise an“, sagt Weiß.   
 
So auch beim Pressenhersteller Schuler in Göppingen. Dort hat man im vergangenen Sommer an allen neun deutschen Standorten „hybrides Arbeiten“ zur Regel gemacht. Das bedeutet: Diejenigen unter den 2500 Mitarbeitern in Deutschland mit Büro-Arbeitsplatz dürfen an normalerweise zwei Tagen zuhause arbeiten, den Rest der Woche sollten Sie am Arbeitsplatz sein.  „Wir wollen ein moderner und attraktiver Arbeitgeber sein, und die Corona-Zeit hat bewiesen, dass die meisten Teams und ihre Führungskräfte in der Lage sind, hybride Arbeitsformen fair und ohne Effizienzverluste zu organisieren“, sagt Arbeitsdirektor Thomas Kamphausen. Schuler sieht sich damit durchaus als Vorreiter im deutschen Maschinenbau. Wer im Wettbewerb um Fachkräfte erfolgreich sein will, werde daran aber nicht mehr vorbeikommen, so Kamphausen. „Die Bewerber erwarten, dass ihnen hier etwas angeboten wird.“
Wir waren überrascht, dass die Produktivität insgesamt besser eingeschätzt wurde als bei Präsenzarbeit

Kaiser+Kraft-Vice President Felix Ulrich über die Mitarbeiterbefragung zum Homeoffice während Corona

Man kann aber auch zuviel des Guten tun. Kamphausen ist überzeugt: „Wenn Mitarbeiter gar nicht mehr ins Büro kommen, leidet darunter sehr schnell das Gefühl, zusammenzugehören“, weiß er. Während Corona trafen sich viele Schuler-Beschäftigte nicht von Angesicht zu Angesicht, Neuanfänger und Auszubildende lernten ihre Kollegen erst nach Monaten persönlich kennen. „Wir haben uns für den Mix aus Büropräsenz und mobilem Arbeiten entschieden, damit Schuler eine lebendige Community bleibt.“

Die Büros dürfen trotzdem nicht leer sein

Funktionieren kann das nur, wenn sich die Beschäftigten untereinander und mit ihren Vorgesetzten gut abstimmen, so der Manager. Die beliebtesten Tage im heimischen Arbeitszimmer sind, wenig überraschend, Montag und Freitag. Zwar sei es in Ordnung, so weit wie möglich auf die Wünsche der Beschäftigten einzugehen und beispielsweise Präsenzbesprechungen eher in die Wochenmitte zu legen. „Unsere Büros dürfen am Montag und Freitag aber nicht leer sein.“ Den Schuler-Mitarbeitern sei auch völlig klar, dass man die Arbeit in den eigenen vier Wänden genau so ernst nimmt wie im Büro und sich entsprechend präsentieren sollte. „Dass ein Mitarbeiter die Kamera nicht einschalten möchte, weil er noch im Schlafanzug ist, kommt mittlerweile nicht mehr vor.“
Nicht alle Mitarbeiter profitieren vom neuen Angebot. „In der Produktion lässt sich die Anwesenheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz nicht ersetzen, auch in einigen anderen Bereichen ist das schwierig“, so Kamphausen.  „Deshalb arbeiten wir gleichzeitig daran, auch reine Präsenzarbeitsplätze noch attraktiver zu gestalten.“ Besonders wichtig sei den Mitarbeitern dabei, dass ihre Belange bei der Geschäftsleitung Gehör finden. „Und das nehmen wir sehr ernst.“
Ulrich sitzt in einer Rückzugsbox
Ungestört telefonieren oder vertrauliche Da­teien bearbeiten – bei Kaiser+Kraft gibt es hierfür Rückzugsboxen. Personalleiter Felix Ulrich benutzt sie selbst gern. © Widmann
Auch beim B2B-Geschäftsausstatter Kaiser+Kraft dürfen die Mitarbeiter zwischen mobiler und stationärer Arbeit wählen. „Wir sind in dieser Richtung extremst offen“, so Vice President Felix Ulrich. In einer Mitarbeiterbefragung hat die Geschäftsführung zuvor herausgefunden, wie sich die erzwungene Heimarbeit während der Corona-Monate auf die Arbeitsleistung ausgewirkt hat. „Wir waren überrascht, dass die Produktivität insgesamt besser eingeschätzt wurde als bei Präsenzarbeit“, sagt Ulrich. „Tatsächlich fiel das Urteil der Führungskräfte sogar noch positiver aus als das der Beschäftigten.“

Bei der Arbeitszeit werden die Zügel locker gelassen

Wie die Mitarbeiter ihren Freiraum nutzen, bleibt ihnen überlassen. Auch bei der Arbeitszeit lässt die Stuttgarter Firma die Zügel locker: Gearbeitet werden darf zwischen sechs und 23 Uhr, auch am Samstag. „Es ist uns egal, wann die Leute arbeiten, solange das Ergebnis stimmt und die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden“, sagt Ulrich. In vielen Teams hat sich mittlerweile aber ganz von selbst ergeben, dass sie sich einmal in der Woche zu einem „Teamtag“ in der Firma treffen. „Das fördert natürlich den Austausch auf persönlicher Eben besser als ein virtuelles Meeting“, erklärt der Personalleiter. Seit diesem Jahr gilt der Mittwochvormittag als sogenannter „meeting-freier-Vormittag“, damit die Mitarbeiter auch mal bewusst Zeit für den persönlichen Austausch oder auch einfach zum Abarbeiten der Themen nutzen können.
Der Personalchef nutzt den weiten Spielraum auch gerne selbst: Die Kinderbetreuung am Nachmittag gleicht er durch abendliche Arbeitsstunden aus, auf der Fahrt von seinem Wohnort bei Heilbronn nach Stuttgart macht er das Zugabteil zum Büro. „Da macht es nicht so viel aus, wenn der Zug wegen Weichenschaden eine halbe Stunde warten muss.“ Für Felix Ulrich versteht es sich von selbst, dass es für die Geschäftsführung keine Extrawürste gibt: So hat Kaiser+Kraft im Büro das Desksharing eingeführt – feste Arbeitsplätze gibt es nicht mehr, jeder Mitarbeiter sucht sich morgens einen freien Schreibtisch im Bürogebäude – auch Ulrich und seine Kollegen aus der Chefetage.
„Fast alle unsere Kunden verbinden Mobilarbeit mit Desksharing“, sagt Karolin Fröscher. „Denn es ist Platzverschwendung, wenn konstant die Hälfte der Mitarbeiter zuhause arbeitet, im Unternehmen aber für jeden ein fester Arbeitsplatz freigehalten wird.“ Die 30-Jährige weiß ziemlich genau, welcher Trend gerade die Bürowelt regiert, denn ihr Unternehmen, die Fröscher GmbH & Co. KG in Steinheim/Murr (Kreis Ludwigsburg), stellt Möbel und Lösungskonzepte für moderne Arbeitsräume  her.

Die Anforderungen an die Arbeitsräume ändern sich stark

Die Anforderungen an Arbeitsräume ändern sich derzeit stark, so Fröscher. „In dem Maße wie Präsenz und feste Arbeitsplätze auf dem Rückzug sind, gewinnen Begegnungsräume wie der Flur oder die Kaffeeküche an Bedeutung für die Firmenkultur.“ Den Mangel an persönlicher Begegnung versuchen viele Unternehmen durch regelmäßige Teamtage auszugleichen.  Damit sich alle Teammitglieder wohl fühlen, wird dabei sehr auf eine gute Atmosphäre geachtet. Wie das aussehen kann, zeigt Fröscher in drei „Kreativräumen“ am Firmensitz, deren größter stolze 1600 Quadratmeter misst.  Darin findet man nicht nur die obligatorischen Tischkicker und Sitzinseln, sondern ein buntes Potpourri, wie sich Arbeits- und Begegnungsräume abseits öder 08/15-Einrichtungen gestalten lassen. Etwa eine Retro-Nische mit Möbeln und Utensilien, die an die 60er-Jahre erinnern. Oder eine Spiellandschaft, in der sich Kinder vergnügen, während die Eltern nebendran über ihrem Businessplan brüten. Die vielen Sport- und Spielgeräte springen ins Auge, aber es gibt auch alles, was man für ein Meeting benötigt – von der Audio-Anlage über Video- und Medientechnik bis zum  digitalen Whiteboard.
Man kommuniziert anders, je nachdem ob man sich zu einer Besprechung am kahlen Sieben-Meter-Tisch trifft  oder in einem Amphitheater zusammenkommt

Karolin Fröscher

Früher waren die Kreativräume einfach nur die Ausstellungsfläche des vor gut 100 Jahren als Schreinerei für Friseurmöbel gegründeten Familienunternehmens, erklärt Karolin Fröscher. „Aber je breiter und innovativer das Angebot wurde, desto häufiger haben Kunden nachgefragt, ob sie sich für Veranstaltungen und Meetings einmieten könnten.“ Das Ganze diene jetzt auch als Experimentierfeld, um Kunden mit den neuen Gestaltungsmöglichkeiten vertraut zu machen und die eigenen Arbeitsräume weiterzuentwickeln. „Die Kreativräume wirken spielerisch, haben aber eine wichtige Funktion“, sagt die Juniorchefin. „Man kommuniziert anders, je nachdem ob man sich zu einer Besprechung am kahlen Sieben-Meter-Tisch trifft  oder in einem Amphitheater zusammenkommt, ohne dass irgendetwas zwischen einem steht. Das sollen unsere Kunden hier erleben.“
Porträt Maria Zaglauer
Maria Zaglauer ist Chief Scientist am Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Stuttgart © Zaglauer

Trend zum Desksharing

Den Trend zum Desksharing bestätigt Maria Zaglauer vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik. „Das Konzept findet zunehmend Verbreitung, auch weil sich Bürofläche so effizienter nutzen lässt.“ Allerdings hat die Fraunhofer-Wissenschaftlerin auch festgestellt, dass viele Beschäftigte nur ungern auf ihren eigenen Schreibtisch verzichten. „Viele empfinden dies als illegitimen Eingriff in ihr Territorium. Diese Reaktion ist psychologisch nachvollziehbar und sollte ernst genommen werden.“ Aktuell fragen deshalb viele Unternehmen beim IBP an, wie sich bei den Mitarbeitenden eine größere Akzeptanz erreichen lässt.“ Laut Zaglauer gibt es hierfür durchaus Möglichkeiten. Entscheidend sei zum Beispiel, eine gute „Clean Desk“ Policy, damit die Arbeitnehmer einen neutralen Arbeitsplatz ohne „Spuren“ eines Vorgängers vorfinden und den Platz sehr schnell auf seine Bedürfnisse umrüsten kann – etwa durch höhenverstellbare Möbel und passende Anschlüsse für digitale Endgeräte. Auch sei es sehr wichtig, bei der Einführung hybriden Arbeitens mit Desksharing zu jeder Zeit klar zu kommunizieren und den Prozess so transparent wie möglich zu gestalten. Die praktische Erfahrung zeigt außerdem:  Mit Partizipationsformaten wie Workshops oder Befragungen kann es gelingen, die Anforderungen der Nutzer an Arbeitsplätze, Räume und Organisation zu berücksichtigen und somit zu erreichen, dass die Veränderungen besser akzeptiert werden.
Auch im mobilen ­Arbeiten möchten die Mitarbeitenden zusammenarbeiten, und das Büro soll auch stilles, konzentriertes Arbeiten in hohem Maße ermöglichen

Maria Zaglauer vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik

„Die Ansicht ist verbreitet, dass Beschäftigte in der Firma nur noch der Begegnung und der Zusammenarbeit suchen, während stilles und konzentriertes Arbeiten daheim stattfindet“, weiß Maria ­Zaglauer. Sie möchte das so nicht so stehen lassen. „In der Raumwechsel-Studie haben wir herausgefunden, dass es diese strenge Trennung nicht gibt. Auch im mobilen ­Arbeiten möchten die Mitarbeitenden zusammenarbeiten, und das Büro soll auch stilles, konzentriertes Arbeiten in hohem Maße ermöglichen.“ Unternehmen, denen daran liegt, dass sich ihre Mitarbeiter beim hybriden Arbeiten wohlfühlen, sollten also darauf achten, dass es zusätzlich zu den Arbeitsplätzen im Mehrpersonen- oder Großraumbüro auch genügend Rückzugsräume gibt, zum Beispiel für die inzwischen stark verbreiteten Videokonferenzen. Dies entspricht dem Ansatz aktivitätsbasierter Büroraumkonzepte, die verschiedene Räume für verschiedene Arten von Tätigkeiten vorsehen. Ebenso wichtig kann es sein, einzelne Arbeitsplätze durch Trennelemente abzuschirmen und so dem Wunsch nach Privatsphäre entgegenzukommen. „Das ist auch akustisch eine Notwendigkeit, um gegenseitige Störungen zu minimieren.“

Ein leistungsfähiger Internetanschluss ist immer Voraussetzung

Wenn ständig ein Großteil der Mitarbeiter außerhalb des Unternehmens arbeitet, stellt das auch Anforderungen an die Technik, insbesondere die Telekommunikation. Ein leistungsfähiger Internetanschluss ist immer Voraussetzung, und dafür muss in der Regel der Arbeitnehmer selbst sorgen. Aber es gibt noch mehr Anforderungen: die Mitarbeiter sollen unter ihren gewohnten Durchwahlen erreichbar sein und über ihre Nebenstellen telefonieren können, als säßen sie in der Firma. Schließlich ist es dem Kunden egal, wo sich sein Gesprächspartner gerade aufhält.
Frohmüller am Telefon.
Virtuelle Telefon­anlagen sind das Geschäft von Peter Frohmüller. Die meisten Neukunden seiner Citrus GmbH in Pleidelsheim entscheiden sich für dieses Modell. © Widmann
So genannte virtuelle Telefonanlagen werden deshalb zurzeit stark nachgefragt. Dieses Modell ist auch als Voice-Cloud bekannt und basiert auf der Voice-over-IP-Telefonie via Internet. Die Kommunikationssoftware des Unternehmens ist hierbei nicht mehr auf Servern im Haus, sondern in einem Rechenzentrum gespeichert. Ein Dienstleister konfiguriert, pflegt und wartet die „Anlage“, die eigentlich nur noch aus Bits und Bytes besteht, wenn man von den Kabeln, Computern und Telefonen in der Firma einmal absieht. Einer der wenigen Mittelständler, die sich auf diesem Feld tummeln, ist die Citrus Communication Systems GmbH in Pleidelsheim (Kreis Ludwigsburg) mit Niederlassungen in Nürnberg und Leipzig. „Eine virtuelle Telefonanlage lässt sich mit null Aufwand so programmieren, dass ein Mitarbeiter unter ein und derselben Nummer auf dem Festnetz, auf Laptop, Tablet oder Handy erreichbar ist“, sagt Gründer und Geschäftsführer Peter Frohmüller. Und natürlich müssen die Citrus-Mitarbeiter hierfür nicht extra zum Rechenzentrum nach Frankfurt fahren, mit dem Frohmüller zusammenarbeitet, sondern programmieren die Einstellungen ihrerseits aus der Ferne vom Büro oder Wohnzimmer aus. Derzeit macht das Geschäft mit der Voice Cloud nur etwa ein Zehntel der Umsätze des Pleidelsheimer Systemhauses aus, das unter anderem viele Kommunen zu seinen Kunden zählt. Frohmüller rechnet aber damit, dass sich das Verhältnis bis in fünf Jahren umdreht: „Schon jetzt entscheiden sich 80 bis 90 Prozent der Neukunden für eine virtuelle Telefonanlage.“  Nicht nur weil sie flexibler ist, auch Cybersicherheit und Verfügbarkeit seien besser als bei einer In-House-Lösung.
Eine virtuelle Telefonanlage lässt sich mit null Aufwand so programmieren, dass ein Mitarbeiter unter ein und derselben Nummer auf dem Festnetz, auf Laptop, Tablet oder Handy erreichbar ist

Peter Frohmüller

Wohl eine der größten Veränderungen durch mobiles Arbeiten: Mitarbeiter müssen gar nicht mehr in Reichweite ihres Arbeitgebers wohnen. Vor allem in IT-Unternehmen ist es gang und gäbe, Fachkräfte in Berlin, Budapest oder Bangalore zu beschäftigen, aber auch andere Branchen haben entdeckt, dass New Work den Kreis potenzieller Mitarbeiter erweitert und die Hemmschwelle für Bewerber senkt, bei einer Firma im Heckengäu oder im Schwäbischen Wald anzuheuern.

Coworking Space hilft, wenn die Decke auf den Kopf fällt

So weit so gut, aber was tut man als Mitarbeiter, wenn einem bei der Arbeit die Decke auf den Kopf fällt, der Schwatz beim Kaffeeholen fehlt und der nächste Besuch in der Firmenzentrale erst in vier Wochen ansteht? Man mietet sich in einem Coworking Space ein. Die neue Arbeitsform, bei der Selbstständige, Kleinunternehmen aber auch Arbeitnehmer je nach Bedarf Schreibtische oder Büros gemeinsam mit der notwendigen Infrastruktur mieten können, ist nicht nur in der Landeshauptstadt, sondern mittlerweile auch in den meisten mittleren Städten verbreitet. Zum Beispiel in Schorndorf. Direkt gegenüber dem Schloss, im Gebäudekomplex „Villa am Schloss“ in dem auch die  Vermögensverwaltungsgesellschaft Flex Fonds ihren Sitz hat, befindet sich die CoWirken-GmbH. Gründerin Karin Feig und ihre Tochter Alicia als Geschäftsführerin haben dort Ende 2021 zwei Etagen als Coworking Space eingerichtet. Großraumbüro und mehrere Einzelbüros sind mit leistungsfähigen Internetanschlüssen und zum Teil mit Technik für Videokonferenzen ausgestattet. Der Schwerpunkt der Spaces liegt auf Nachhaltigkeit sowie auf den Eventräumen, wo Unternehmen sich für Tagungen, Seminare, Workshops oder besondere Firmenanlässe einmieten können.
David Hock schätzt diese Rundumversorgung sehr. Mit der Agentur Mehrbewerbungen.de rekrutiert er in den sozialen Medien Personal für seine Kunden. Deshalb ist er auf eine gute technische Ausrüstung angewiesen. Bevor er mit einem Mitarbeiter in sein abschließbares Teambüro bei CoWirken zog, hat er zuhause im Wohnzimmer gearbeitet. „Das war auf die Dauer nichts“, sagt Hock, es wurde zu eng, und mit einer sauberen räumlichen Trennung funktioniert es einfach besser.“ Im Coworking Space findet er nicht nur die Büroausrüstung, die er braucht, sondern auch Rückzugsräume, in denen er vertrauliche Kundengespräche führen kann und eine Kaffeeküche, wo er mit anderen Mietern ins Gespräch kommt. „Das ist schließlich einer der Vorteile eines Coworking Space“, unterstreicht ­Karin Feig. „Die Leute vernetzen sich und bilden eine Community.“  
Nicht alle Mieter bei CoWirken sind Startup-Gründer, und sie belegen die Räume auch nicht immer auf Dauer. „Wir haben Außendienstler, die nur eine begrenzte Zeit in der Gegend sind und zum Beispiel für eine Woche einen ruhigen Arbeitsraum brauchen“, sagt Geschäftsführerin Alicia Feig. „Es gibt aber auch Arbeitnehmer, ­denen es daheim zu unruhig ist und die deshalb zu CoWirken kommen – machmal auch nur für 3-5 Tage in der Woche.“
In diesem Bereich ist die Atmosphäre sehr wichtig, und die Villa ist dafür genau der richtige Rahmen

Alicia Feig

Ebenso vielfältig wie die Kundschaft sind die Branchen, aus denen sie stammt. Derzeit gibt es Recruiting- und Handwerksunternehmen, Künstler, IT-Fachleute, Businesstrainer, Übersetzer, einen Energieberater und einen Leuchtenentwickler. In der Jugendstilvilla, die mit dem Glasneubau verbunden ist und somit ebenfalls zum Gebäudekomplex gehört, sollte eigentlich eine Kindertagesstätte einziehen. „Das wäre für unser Angebot eine absolut sinnvolle Ergänzung gewesen“, bedauert Karin Feig. Während der Arbeit hätten die Mieter dann auch ihre Kinder in Obhut geben können, und das auch noch fast in Sichtweite. „Die Stadt unterstützte unser Vorhaben und mit einem privaten Träger aus der Nähe waren wir fast schon einig“, so die Gründerin. Doch weil der Partner kein Personal fand, scheiterte das Vorhaben. Die Gründerinnen haben das Beste daraus gemacht: Jetzt ziehen hier Coaches, Heilpraktiker, Psychotherapeuten und sogar eine Zen-Meisterin ein. „Damit bilden wir einen Gesundheitsschwerpunkt“, so Alicia Feig. „In diesem Bereich ist die Atmosphäre sehr wichtig, und die Villa ist dafür genau der richtige Rahmen." Ein Raum im Coaching- und Therapiezentrum und ein Privatbüro im Coworking Space sind noch frei, doch die Gründerinnen sind zuversichtlich, dass sie auch hier bald Mieter finden.

Das Raumklima immer im Blick haben

Nicht für jeden muss es gleich eine Villa sein, aber: „Die Raumqualität beeinflusst die Produktivität der Mitarbeitenden stark“, wie Fraunhofer-Wissenschaftlerin Maria Zaglauer bestätigt. Neben der richtigen Akustik, optimalen Lichtverhältnissen und gutem Raumklima sind der Wunsch nach Privatheit sowie der „Naturbezug“ im Büro sehr wichtig, weiß die Psychologin. Das dürfen großflächige Begrünungskonzepte oder Zimmerpflanzen sein, aber auch ein freier Blick durchs Fenster auf Wald oder Obstwiesen. Sogar eine natürlich grüne Wandgestaltung kann bereits einen positiven Effekt haben. Es lässt sich eben auch mit ganz einfachen Methoden eine gute Arbeitsatmosphäre herstellen.

Walter Beck, Redakteur Magazin Wirtschaft für Titelthema 3-4.2023