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11 Image-Booster für die Ausbildung
55.031 Ausbildungsplätze waren im Frühjahr für das kommende Ausbildungsjahr in Baden-Württemberg noch nicht vergeben. Dafür gibt es viele Gründe. Einer ist sicher, dass viele junge Leute so lange wie möglich zur Schule gehen wollen und am liebsten auch noch studieren. Aber warum ist das so? Ganz bestimmt spielt das Image eine große Rolle. In Zeiten, wo das Leben für die meisten Jugendlichen Social-Media-tauglich sein muss, ist die Sorge groß, als Azubi nicht mithalten zu können. Zu viele Vorurteile spuken in den Köpfen herum.
Dabei sind die meisten davon längst überholt, denn die duale Ausbildung hat sich in den letzten Jahren derart gemausert, dass sie für viel mehr Jugendliche eine echte Alternative zum Studium sein könnte. Zeit also, sich zu überlegen, wo ein Image-Relaunch ansetzen könnte.
Dabei sind die meisten davon längst überholt, denn die duale Ausbildung hat sich in den letzten Jahren derart gemausert, dass sie für viel mehr Jugendliche eine echte Alternative zum Studium sein könnte. Zeit also, sich zu überlegen, wo ein Image-Relaunch ansetzen könnte.
- Image-Herausforderung Nummer 1: das Kartoffeltheorem
- Image-Herausforderung Nummer 2 : Master und Meister sind gleichwertig
- Image-Herausforderung Nummer 3: die Sinn-Frage
- Image-Herausforderung Nummer 4: keiner kennt uns
- Image-Herausforderung Nummer 5: die Angst, etwas falsch zu machen
- Image-Herausforderung Nummer 6: (Berufs)Schule – kann ich nicht, mag ich nicht
- Image-Herausforderung Nummer 7: Leistungsstarke wollen studieren
- Image-Herausforderung Nummer 8: Studentenleben ist cool
- Image-Herausforderung Nummer 9: Work-Life-Balance bei “Hands on”-Jobs
- Image-Herausforderung Nummer 10: der (gefühlte) Verdienstunterscheide
- Image-Herausforderung Nummer 11: Eltern wollen mehr
Image-Herausforderung Nummer 1: das Kartoffeltheorem
Image-Herausforderung Nummer 1 könnte man das Kartoffeltheorem nennen: „Nun sind die Kartoffeln da, nun werden sie auch gegessen“. Oder wie Marcel Rütten sagt: „Als ich das Abi hatte, dachte ich, ich muss jetzt auch studieren.“ Der 35-Jährige merkte aber bald, dass das Maschinenbaustudium nichts für ihn war und schwenkte um auf eine Ausbildung zum Industriemechaniker.
Image-Herausforderung Nummer 2 : Master und Meister sind gleichwertig
Später sattelte er den Industriemeister Metall drauf und widerlegt damit Image-Herausforderung Nummer 2, nachdem man mit einer Ausbildung niedriger qualifiziert ist als mit einem Studienabschluss. Laut Deutschem Qualifikationsrahmen hat er nämlich mit dem Meister Niveau 6 erreicht, exakt dieselbe Stufe, die er mit dem Bachelor an der Uni erklommen hätte. Mit Mitte 30 ist er nun Leiter der gesamten Ausbildung bei der Teamtechnik Maschinen und Anlagentechnik GmbH in Freiberg am Neckar und Vorgesetzter von 40 internen und weiteren 20 externen Azubis.
Für manchen sei die Fertigstellung einer neuen Maschine wie eine GeburtTeamtechnik-Ausbildungsleiter Marcel Rütten über seine Azubis
Rütten möchte gern, dass die jungen Leute sehen, welche tollen Chancen ihnen eine duale Ausbildung bietet. Deshalb geht er gern in Schulen, um von seinem Werdegang zu erzählen. Klar kann nicht jeder Chef werden, aber auch so haben seine Azubis genug, mit dem sie bei ihren Kumpels punkten können, stellt er immer wieder fest: „Wenn sie eine Maschine ausliefern für eine Firma, die wirklich jeder kennt oder eine Prüfanlage bauen, die die Sicherheit der medizinischen Pens kontrolliert, mit denen die Oma ihren Diabetes bekämpft – da sind die richtig stolz! Für manchen sei die Fertigstellung einer neuen Maschine wie eine Geburt.”
Image-Herausforderung Nummer 3: die Sinn-Frage
Womit Image-Herausforderung Nummer 3 beantwortet wäre, denn die Generation Z sucht eine Aufgabe mit Sinn-Garantie. Weil die Teamtechnik-Azubis diese Begeisterung auch ausstrahlen, schickt er sie gern als IHK-Ausbildungsbotschafter in die Schulen. Überhaupt zieht Rütten alle Register, um seine 15 neuen Azubiplätze jedes Jahr zu besetzen: „Ungefähr 20 Prozent meiner Arbeitszeit verbringe ich mit Marketing“, rechnet er nach und zählt auf: Bildungsmessen, Praktikantenstellen, Girls Day, sogar für den Maus-Tag der „Sendung mit der Maus“ öffnet er die Pforten seiner 1000 Quadratmeter großen Lehrwerkstatt. Am wertvollsten sind die Bildungspartnerschaften mit den allgemeinbildenden Schulen in der Umgebung. Sie geben ihm Gelegenheit, den 9.- beziehungsweise 11.-Klässlern „seine“ Berufe vorzustellen und dafür zu werben.
Was würde Rütten sich wünschen, damit die Azubisuche einfacher wird? „An den Schulen müsste es feste Ansprechpartner für die Betriebe geben und deren Kontaktdaten müssten auch nach außen kommuniziert werden.“ Leider sei das oft nicht so, weil viele Lehrer Bedenken hätten, „dass Wirtschaft in der Schule vor allem Werbung machen will“. Zudem werde seiner Erfahrung nach den Lehrern der Einsatz für die Berufsorientierung nicht richtig honoriert.
Image-Herausforderung Nummer 4: keiner kennt uns
Was zu Image-Herausforderung Nummer 4 führt: Viele Jugendliche kennen nur ein paar ganz große Firmen oder den Händler am Ort als Ausbildungsbetrieb. Simone Kuhn ist das Problem bewusst. Die Ausbildungsleiterin der Index-Werke GmbH & Co. KG aus Esslingen zieht ebenfalls alle Register der Azubiwerbung, doch meint sie, man müsse schon viel früher beginnen. Index nimmt darum an der Kinder-Biennale teil. Das ist eine Ideenschmiede für Kreativprojekte für Kinder in Esslingen, die sie an Bildung und Kultur, aber auch an die Industrie heranführen soll. Index lädt an jeweils sechs Nachmittagen in das gewerbliche Ausbildungszentrum ein, wo sie ausprobieren, wie man an Maschinen arbeitet oder wie Elektronik funktioniert. Auf diese Weise kommen schon Fünftklässler mit Index als Arbeitgeber in Kontakt. „Wichtig ist, dass die Kinder etwas mit nach Hause nehmen können, das sie stolz vorzeigen können“, weiß Kuhn und zeigt den Bohrmaschinenführerschein, den man erwirbt, und das Namensarmband aus Metall, das die Kinder selbst herstellen. „Nach ein paar Jahren sehe ich einige davon dann als Bewerber“, freut sich die gelernte technische Zeichnerin – ein Beruf der heute technische Produktdesignerin heißt.
Begeisterung ist das Einzige, was funktioniertIndex-Ausbildungsleiterin Simone Kuhn über ihr Rezept bei der Azubi-Suche
Simone Kuhn trägt ein türkises Top und eine türkise Brille. Türkis, das ist die Index-Firmenfarbe, aber die Begeisterung der Ausbildungsleiterin zeigt sich nicht nur in der Farbwahl: sie sprüht nur so vor Begeisterung. Stundenlang könnte man ihr zuhören, wie sie über die Maschinen spricht, von jeder weiß, wann sie gekauft wurde, was sie kann und sogar, wieviel sie gekostet hat. Und diese Begeisterung, das ist ihr Erfolgsrezept für die Gewinnung von jährlich um die 40 neuen Azubis. „Begeisterung ist das Einzige, was funktioniert“, ist sie überzeugt.

Das fängt damit an, dass es keine Massenvorstellungsgespräche, keine Online-Vorauswahl gibt, sondern jeder einzeln eingeladen wird. Jeden führt sie dann durch das Ausbildungszentrum. „Damit kann ich punkten“, weiß Kuhn, nicht nur mit den Maschinen, sondern auch mit der schieren Größe: „110 Meter ist unser gewerbliches Ausbildungszentrum lang“, erzählt sie stolz. Und da üben die Azubis nicht nur, sie wenden das Wissen auch schon an echten Produktionsaufträgen an, die anschließend in die Maschinenmontagen einfließen. Ein weiteres Pfund, mit dem sie wuchern kann, ist die gute Verkehrsanbindung direkt am Bahnhof Oberesslingen. Am wichtigsten ist ihr aber die gute Atmosphäre: „Das fängt beim Pförtner an, der den Bewerber freundlich begrüßt.“ Dazu gehöre aber auch Respekt und eine positive Fehlerkultur.
Image-Herausforderung Nummer 5: die Angst, etwas falsch zu machen
Denn, Image-Herausforderung Nummer 5: Auch wenn viele glauben, die Generation Z sei die selbstbewussteste aller Zeiten, weil schon Kleinkinder täglich hören, wie großartig sie sind, der irrt. Studien zeigen, dass eher das Gegenteil der Fall ist – einerseits weil solches Lob den Erwartungsdruck erhöht, andererseits weil man sich ja permanent auf Social Media vergleicht – mit der ganzen Welt! Für Kuhn ist es darum elementar, den jungen Leuten zu sagen, „Ihr dürft Fehler machen“. Überall im Ausbildungszentrum hängen darum Plakate mit Schlüsselwörtern. Das wichtigste: Respekt.
Image-Herausforderung Nummer 6: (Berufs)Schule – kann ich nicht, mag ich nicht
Es ist aber nicht nur die Sorge, sich zu blamieren, wenn man beim Lernstoff nicht mithalten kann. Viele haben einfach keine Lust mehr auf Schulstoff. Diese Image-Herausforderung Nummer 6 kennen auch Florian Honold und Giulio Kohn, die Gründer von Mydigi.academy. Beide haben eine kaufmännische Ausbildung absolviert. „Wir wissen gut, wie wichtig effizientes Lernen ist, schließlich braucht man ja auch noch Zeit für anderes“, erklärt Honold die Startup-Idee. Das junge Unternehmen aus Salach verschafft Azubis die Möglichkeit, den Schulstoff für bisher sechs kaufmännische Berufe per Lernplattform zu meistern, „egal, ob du nur morgens in der Bahn schnell etwas nachschauen willst oder kompliziertere Zusammenhänge bis ins Detail verstehen möchtest“, wie es auf der Homepage heißt.
Netflix für Berufsschulthemen – das ist das Geschäftsmodell des Startups Mydigi.academy, mit dem Florian Honold und Giulio Kohn die digital Natives beim effizienten Lernen unterstützen wollen.
© Jens Reich
„Netflix für Berufsschulthemen“ nennt das Duo sein Angebot: Lernvideos auf Basis des IHK-Rahmenlehrplans, Wissenschecks, Verständnis-Quiz, digitale Spicker und Prüfungssimulationen mit authentischen Fragen decken alles ab, was ab dem ersten Lehrjahr bis zur Abschlussprüfung gebraucht wird. Auch langsame Lerner haben so die Gelegenheit, das erforderliche Niveau zu erreichen. Natürlich kann man sich die digitale Lernunterstützung auch im Netz zusammensuchen. Der Vorteil der App ist, dass die Materialien in Zusammenarbeit mit einem Berufsbildungswerk entstanden sind und der Stoff exakt auf die einzelnen Berufe zugeschnitten ist.
Netflix für BerufsschulthemenSo nennt Mydigi.academy-Gründer Florian Honold seine App
Kunden sind Berufsbildungswerke und Unternehmen, die im Abomodell für einen niedrigen dreistelligen Betrag im Jahr die Lizenz erwerben. Auch geschlossene Lerngruppen für Unternehmen mit mehreren Azubis sind möglich. „Es gibt schon Unternehmen, die mit der Plattform werben, was super gut ankommt“, erzählt Mitarbeiter Sören Mayer. So eine App kommt bei jungen Leuten auf jeden Fall besser an als irgendwelche Schulbücher, und gerade für Schwächere bietet sie individuelle Nachhilfe.
Image-Herausforderung Nummer 7: Leistungsstarke wollen studieren
Unternehmen möchten und müssen aber auch stärkere Azubis für sich gewinnen, womit wir bei Image-Herausforderung Nummer 7 wären: Ihnen muss etwas geboten werden, das es attraktiv macht, Werkstatt oder Büro zu wählen statt den Hörsaal. Zwar gibt es für viele Berufe Zusatzmodule für Leistungsstarke. Aber ein Studium ist es eben dann doch nicht.
Hier könnte eine Idee Abhilfe leisten, die die IHK Bezirkskammer Göppingen mit auf den Weg gebracht hat: „Digital Engineering Plus“. Das ist ein kooperativer Studiengang, der ab Herbst von der Hochschule Esslingen auf dem Campus Göppingen angeboten wird. „Er verbindet die Ausbildung zum Fachinformatiker mit dem Ingenieursstudium. Das ist die perfekte Grundlage für Industrie 4.0“, freut sich der leitende IHK-Geschäftsführer Gernot Imgart. Und so funktioniert es: Man startet mit dem ersten Ausbildungsjahr. Dann absolviert man das Grundstudium und schließt daran den zweiten Teil der Ausbildung inklusive Abschlussprüfung an.
Hier könnte eine Idee Abhilfe leisten, die die IHK Bezirkskammer Göppingen mit auf den Weg gebracht hat: „Digital Engineering Plus“. Das ist ein kooperativer Studiengang, der ab Herbst von der Hochschule Esslingen auf dem Campus Göppingen angeboten wird. „Er verbindet die Ausbildung zum Fachinformatiker mit dem Ingenieursstudium. Das ist die perfekte Grundlage für Industrie 4.0“, freut sich der leitende IHK-Geschäftsführer Gernot Imgart. Und so funktioniert es: Man startet mit dem ersten Ausbildungsjahr. Dann absolviert man das Grundstudium und schließt daran den zweiten Teil der Ausbildung inklusive Abschlussprüfung an.
Das ist die perfekte Grundlage für Industrie 4.0leitende IHK-Geschäftsführer Gernot Imgart über den kooperativen Studiengang „Digital Engineering Plus“
Weil die Ausbildung stark verkürzt werden kann, reicht dafür ein halbes Jahr. Anschließend folgen weitere fünf Semester Studium. Alles ist stark miteinander verzahnt, praxisorientiert und wird auf Werkstudentenniveau bezahlt. Und nach fünfeinhalb Jahren hat man zwei qualifizierende Abschlüsse: den Bachelor und den dualen Berufsabschluss. Wer es sich in der Zeit anders überlegt und auf den zweiten Studienabschnitt verzichtet, steht nicht als Studienabbrecher da, sondern hat einen berufsqualifizierenden Abschluss mit fundiertem Zusatzwissen. Anders als beim dualen Studium sitzt man übrigens mit den ganz normalen Ingenieurstudenten im Hörsaal – inklusive Studentenleben.
Image-Herausforderung Nummer 8: Studentenleben ist cool
Und das ist Image-Herausforderung Nummer 8: „Lustig ist das Studentenleben“, glauben immer noch viele junge Leute. Und zum Studentenleben gehört heutzutage meist auch ein Erasmus-Semester. Doch selbst darauf müssen Azubis nicht mehr verzichten – dank „Go.for.europe“. Das ist ein Gemeinschaftsprojekt der baden-württembergischen Wirtschaft mit dem Ziel, Azubis Auslandserfahrung zu verschaffen.
Die Roto Frank Fenster- und Türtechnologie GmbH in Leinfelden-Echterdingen ist von Anfang an dabei. Beatrix Kraft, Ausbildungsleiterin erklärt: „Für uns ist das ein wichtiger Teil des Ausbildungsmarketings.“ Bei Ausbildungsmessen weckt sie damit das Interesse der jungen Besucher. Die Teilnahme ist natürlich freiwillig und ein bisschen sei es auch ein „Goodie“ für leistungsstarke Azubis – schließlich übernimmt der Betrieb den größten Teil der Kosten und zahlt auch das Gehalt weiter.
Für uns ist das ein wichtiger Teil des AusbildungsmarketingsAusbildungsleiterin Beatrix Kraft, erklärt, warum Roto Frank Fenster- und Türtechnologie GmbH bei „Go.for.europe“ mitmacht
Mitgemacht hat zum Beispiel Tasya Sasikirana. Die junge Frau wollte unbedingt nach Spanien, weil sie ihre Sprachkenntnisse vertiefen wollte. „Ich wollte aber auch wissen, wie es ist, im Ausland zu arbeiten und zu leben“, erzählt sie. Was war das Beste? „Dass ich neue Leute aus anderen Ländern kennengelernt habe und dass ich in einem anderen Land gewohnt und nicht nur Urlaub gemacht habe“, erzählt sie begeistert – ganz so wie Erasmusstudenten.
Aber noch etwas ist gefühlt in einem Studium besser: die Work-Live-Balance. Darüber sollte man zwar beispielsweise mit Medizin- oder Jurastudenten vor dem Examen nicht diskutieren: der Mythos, man habe als Student viel Zeit und wenig Pflichten ist aber weit verbreitet.
Image-Herausforderung Nummer 9: Work-Life-Balance bei “Hands on”-Jobs
Womit wir bei Image-Herausforderung Nummer 9 wären. Work-Live-Balance ist schließlich DAS Thema bei der Generation Z. Was dabei oft nicht gesehen wird: Auch Arbeitszeit ist Lebenszeit. Spaß an „Work“ zahlt also auf das Konto „Life“ ein. Arbeitgeber können also dadurch punkten, dass die jungen Leute die Arbeit samt dem Drumherum nicht als unliebsame Unterbrechung der Freizeit begreifen, sondern als interessanten, abwechslungsreichen und sinnerfüllten Teil ihres Lebens.
Aber wie geht das? Fragen wir Milos Vujicic, denn seine Vujicic Gastro GmbH & Co. KG mit den Restaurants „Schloss Filseck“ in Uhingen, „Plenum“ in Stuttgart und „Restaurant am Stadtpark“ in Göppingen wurde dieses Jahr als bester Arbeitgeber der Gastrobranche in seiner Größenordnung mit dem Top-Job-Siegel ausgezeichnet. Das Siegel wird von Ex-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf der Grundlage einer wissenschaftlich begleiteten Mitarbeiterbefragung verliehen. Und was hat den Azubis in Vujicics Team besonders gefallen? „Das Mitarbeiterfeedback für Führung und Vision“, wie es in der Laudatio heißt. Gemeint sind unter anderem die Halbjahresgespräche, bei denen die jungen Leute darlegen können, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen, aber auch was ihnen gefällt und was nicht so. Solche fest terminierten Gespräche signalisieren jedem einzelnen, dass er gesehen wird und dass er ein wichtiger Teil des Teams ist: „Das ist wie auf dem Fußballplatz: Vom Azubi bis zum Sous-Chef haben alle ihre Rolle und nur zusammen kommen sie ins Finale“, sagt Vujicic.
Die Motivation in einem aufwändigen Bewerbungsschreiben darlegen? Das müssen Bewerber um einen Ausbildungsplatz bei Milos Vujicic nicht. Der Gastronom verlangt nur die persönlichen Daten in einem Online-Formular.
© Jens Reich
Der Gastronom hat dafür extra zwei Personaler eingestellt, die sich darum, aber auch ganz allgemein um das Wohl aller 140 Mitarbeiter kümmern – auch bei privaten Problemen. Um zu wissen, was junge Leute wollen, versetzte sich der 37-jährige Familienvater mental in deren Schuhe – völlig wertfrei. Und dabei ist einiges herausgekommen, was die Generation Z erwartet. Das beginnt mit der niedrigschwelligen Bewerbung: keiner muss sich mehr ein Motivationsschreiben aus den Fingern saugen. Stattdessen reichen die Kontaktdaten auf einem Online-Formular. Man kann auch Text ergänzen, aber das schmale Feld suggeriert: viel muss es nicht sein. Die Rückmeldung erfolgt zeitnah: „Viele Jugendliche entscheiden sich für den Ersten, der anruft“, hat Vujicic festgestellt. Es folgt ein Probearbeitstag und dann die ehrliche Rückmeldung, ob es passt oder nicht.
Zeiterfassung auf IndustriestandardGastronom Milos Vujicic über das Arbeitszeitmanagement in seinen Betrieben
Ein Problem der Gastrobranche bei der Azubisuche sind die Arbeitszeiten: man schafft, wenn die anderen frei haben. Hier punktet Vujicic mit Maßnahmen wie der Abschaffung des geteilten Dienstes und einer „Zeiterfassung auf Industriestandard“. Gleiten ist also möglich und man kann auch mal krank zu Hause bleiben. Das funktioniert, weil das Personal nicht auf Kante genäht ist.
Aber das ist doch teuer, oder? „Mehr und zufriedenere Mitarbeiter – mehr Umsatz“, hat er in fast 20 Jahren in der Branche festgestellt. „Wir haben die Effizienz gesteigert und die Fertigungstiefe um fünf Prozent erhöht. Dafür konnten wir fünf Prozent mehr Leute einstellen“, rechnet Vujicic vor und zeigt als Beispiel auf die zum Anbeißen aussehenden Törtchen in der Vitrine: „Früher haben wir die bei einer Konditorei zugekauft, jetzt machen wir sie selbst.“ Das spare nicht nur Geld, sondern gibt Mitarbeitern und Azubis auch die Gelegenheit, in dieses Handwerk hineinzuschnuppern und eventuell ihre Berufung zu finden.
Und wie werden die Jugendlichen auf Vujicic-Gastro überhaupt aufmerksam? Wir investieren viel Geld in Social Media, erzählt der Chef und führt ein paar Reels auf TikTok vor. Die sind nicht nur temporeich und originell, sie zeigen auch, „dass wir am Lifestyle orientiert sind“. Überhaupt biete die Gastro kreative Jobs und sei „absolut instagramtauglich“ und mit Sinn-Garantie. Der Erfolg gibt ihm Recht: Jede Woche geht eine Bewerbung um einen Ausbildungsplatz ein. Mindestens sechs junge Leute wird er diesen September einstellen.
Image-Herausforderung Nummer 10: der (gefühlte) Verdienstunterscheide
Bleibt noch Image-Herausforderung Nummer 10: Viele meinen, mit einer Lehre verdiene man weniger als mit einem Studium. Wie bei Akademikern auch, hängt das natürlich von der Branche und von der Karrierestufe ab. Die IHKs haben das letztes Jahr vom Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) in Tübingen untersuchen lassen. Ergebnis: diejenigen, die sich für ein Studium entscheiden, verdienen erst mit rund 38 Jahren mehr als diejenigen, die sich zunächst für eine Berufsausbildung entscheiden. Im Vergleich zwischen erfolgreichen Studienabsolventen und Bildungsaufsteigern mit Weiterbildung zum Meister oder Techniker überholen die Akademiker hinsichtlich des Einkommens sogar erst kurz vor Renteneintritt.
Image-Herausforderung Nummer 11: Eltern wollen mehr
Viele Probleme sind also gar keine. Doch wie bringt man das in die Köpfe der Jugendlichen – und, mindestens genauso wichtig – in die der Eltern? Denn, Image-Herausforderung Nummer 11, oft sind es die Eltern, die querschießen, wie Index-Frau Simone Kuhn immer wieder feststellt: „Vielen genügt Facharbeiter für ihre Kinder nicht“, seufzt sie, „aber es geht doch darum, dass die jungen Leute das für sie Passende und Freude daran finden!“
Man sieht: Es gibt viele Vorurteile, die dazu führen, dass junge Leute einen Bogen um die duale Ausbildung machen. Dass sie nicht stimmen: das muss in die Köpfe der Menschen. Nicht nur die Jugendlichen, sondern die gesamte Gesellschaft muss „umparken im Kopf“. Damit die Frage „und was für eine Ausbildung machst Du/Dein Kind?“ auf Partys oder bei der Familienfeier wieder eine ganz normale Frage wird, auf die Azubis und Eltern mit Stolz antworten.
...und was für eine Ausbildung machst Dein Kind?Die Frage sollte bei Partys und Familienfeiern wieder normal werden
Die deutschen IHKs haben darum eine neue Ausbildungskampagne entwickelt. Sie heißt
#könnenlernenund ist im März gestartete. Ihr Ziel: das Narrativ ändern, wie es heute so schön heißt. Gemeint ist, zu zeigen, dass eine gute Ausbildung stolz machen kann, dass sie zum Lebensgefühl der Generation Z passt.

Unternehmen, die diese Entwicklung unterstützen wollen, können gern an der Kampagne teilnehmen. Das kann über die digitalen und realen Werbemittel sein, die es dazu gibt. Man kann aber auch selbst Beiträge erstellen, zum Beispiel seine eigenen Azubis Clips oder Videos drehen lassen. Ein kostenloser Styleguide hilft, dass sich alles nahtlos in die bundesweite Kampagne einfügt und so die Durchschlagskraft erhöht.
Um die duale Ausbildung werden wir in der ganzen Welt beneidet. Es ist höchste Zeit, dass sie hierzulande wieder die Anerkennung erfährt, die ihr zusteht – nicht nur in Sonntagsreden, sondern in den Köpfen und Herzen der Menschen – von A bis (Generation) Z.
Dr. Annja Maga, Redakteurin Magazin Wirtschaft für Titelthema 5-6.2023
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