Magazin Wirtschaft

Stahlwollmesser für die Welt

Haben Sie auch Stahlwolle in der Küche? Egal ob angebrannter Topf, fettiger Grill oder verklebter Backofen – Stahlwolle ist ein kraftvoller aber nachhaltiger Reiniger. Sie spart nämlich scharfe Putzmittel und wenn sie ausgedient hat, zerfällt sie zu Rost.
Und doch ist es ein Gegenstand, über den man sich normalerweise keinerlei Gedanken macht. Außer man heißt Ulla Böhringer und ist geschäftsführende Gesellschafterin der Philipp Hafner GmbH & Co. KG. Das Fellbacher Unternehmen ist nämlich Weltmarktführer für die Messer, die man zur Herstellung der Stahlwolle braucht. „Der Markt ist nicht sehr groß, aber 70 Prozent davon beliefern wir“, erzählt die Chefin und zeigt auf die Versandpakete mit Zielen in Ägypten und Brasilien, Polen und den USA – insgesamt mehr als 50 Länder weltweit. Was ist das exotischte Ziel? „Fidschi“, weiß ihr Vater Paul Böhringer.

Eine US-Maschine? Wir machen`s ein bissle besser

Er leitete das Unternehmen von 1979 bis 2021 und war maßgeblich an dessen Aufstieg zum Weltmarktführer beteiligt. Angefangen hatte alles bereits Ende der 1940er Jahre, als ein Vetter des Firmengründers Philipp Hafner eine Maschine zur Herstellung von Stahlwolle entwickelte. So eine Maschine hatte er in den USA kennengelernt, aber optimiert getreu dem schwäbischen Motto „wir machen`s ein bissle besser“. Die benötigten Messer ließ er bei Hafner ertüfteln.
Philipp Hafner erkannte das Potenzial, denn die Messer nutzen sich schnell ab. Kontinuierliche Nachbestellungen waren  also zu erwarten. So wurden die Messer in das Portfolio aufgenommen und stetig weiter­entwickelt. „Zuerst haben wir an den Maschinenhersteller geliefert, waren also sozusagen in der zweiten Reihe“, erinnert sich Paul Böhringer. Später habe man dann über Auslandshandelskammern und Botschaften nach den Firmen gesucht, die die Stahlwolle herstellen und sie direkt als Kunden gewonnen. „Inzwischen kennt man uns auf der Welt“, fügt er stolz hinzu.

Glas polieren mit Stahlwolle

Stahlwolle entsteht, wenn man einen circa drei Millimeter dicken Draht über mehrere mit vielen Spitzen versehene Messer zieht. Je schmaler die Rillen und schärfer die Messer, desto feiner das Produkt. Neun Stärken sind auf dem Markt, denn nicht nur im Haushalt wird das Produkt eingesetzt, sondern auch zum ­Polieren in der Möbel- und Glasindustrie oder als Asbest-Ersatz auf Bremsbelägen.

Die Messerrillen haben nur sechs hundertstel Millimeter Abstand

„Die Messer sehen trivial aus, aber der Teufel steckt im Detail“, erklärt Ulla ­Böhringer, während sie die in der Tat sehr unspektakulär aussehenden Produkte zeigt. Für das Laienauge sind es rechteckige Stahlplättchen von maximal 15 Zentimetern Kantenlänge. Erst wenn man genau hinschaut, sieht man die feinen Rillen. Wenn überhaupt, denn bei der feinsten Stärke „0000“ haben die Messerrillen nur sechs hundertstel Millimeter Abstand. Sie sind selbst dann kaum zu spüren, wenn man mit dem Daumennagel darüber fährt.

Das Geschäftsgeheimnis wird nicht gelüftet

Jede Stunde müssen die Messer nachgeschliffen werden. Mit einem hochwertigen Stahl und einem speziellen Härteverfahren werden längere Standzeiten erreicht. ­Genau diese Härte zusammen mit der Präzision ist es, die auf der ganzen Welt geschätzt wird. Wie sie erreicht wird, das ist ein Geschäftsgeheimnis, das auch in diesem Artikel nicht gelüftet wird.
Beim Thema Präzision macht den Fellbachern ohnehin niemand etwas vor. Das beweist auch der Erfolg in ihrem Hauptgeschäft: „Wir bauen Messgeräte für die Automobilindustrie. Da arbeiten wir im Zehntel-My-Bereich. Das ist 500 Mal feiner als ein menschliches Haar“, erzählt Ulla Böhringer.
Leider können wir auf der Welt kaum weiter wachsen, höchstens auf dem Mond
120 Leute arbeiten in dem großzügigen und mit dem Red Dot Award ausgezeichneten Gebäude in Fellbach-Schmiden. Sechs davon sind für die Stahlwollemesser zuständig, die ungefähr fünf Prozent des Gesamtumsatzes ausmachen und die zu 95 Prozent ins Ausland gehen. „Leider können wir auf der Welt kaum weiter wachsen, höchstens auf dem Mond“, schmunzelt Paul Böhringer. Das hindert ihn aber nicht daran, in jedem Urlaub in den lokalen Supermarkt zu gehen und zu schauen, wer dort die Stahlwolleschwämme liefert. Ab und zu findet er noch einen, der nicht mit Messern aus Fellbach produziert. Das muss dann nicht mehr lange so bleiben…

Dr. Annja Maga, Redaktion Magazin Wirtschaft, für Portraits 1-2.2024