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Startups revisited – das machen unsere Gründer heute
Als im März 2020 Coronabegann, erwischte das eigentlich jeden auf dem falschen Fuß: Wer hätte je gedacht, dass uns im 21. Jahrhundert eine Seuche derart lange und global beuteln würde! Für Normalbürger eine Herausforderung, für etablierte Unternehmen eine Bewährungsprobe. Um wieviel mehr für Startups! Dass wir fast alle Gründer, die wir 2020 hier vorstellten, noch angetroffen haben, ist deshalb eine positive Überraschung. Unnötig zu sagen, dass die Pandemie für alle eine zentrale Rolle spielte.
- Corona als Brandbeschleuniger
- Jetzt auch Bademode mit Gewissen
- Bei der HR-Plattform geht es voran
- Catering auf den Bahamas und ein Fahrradladen
- Neue Anwendungen für bewährte Produkte und Verfahren
- Schüler-App wirbt 15 Millionen Euro ein
- Den ganzen September ist kein Termin mehr frei
- Für den Stoffladen war Corona ein Wechselbad der Gefühle
- Von den Seifen kann sie gut leben
Corona als Brandbeschleuniger
Matthias Kittel hat Corona als „Brandbeschleuniger“ erlebt. Der Ingenieur war 2020 gerade dabei, die Softwarelösung „Xistics“ zu etablieren, die die Absprache in Arbeitsgruppen erleichtern sollte. Die Pandemie sorgte dann dafür, dass die Microsoftlösung Teams den Markt besetzte. Dass Kittel auf die Frage nach der aktuellen Lage mit „anstrengend“ antwortet, liegt an den anderen beiden „Babys“, die er uns im Januar 2020 vorstellte: Tochter Mila und sein Ingenieurbüro. Beide wachsen und gedeihen: Mila ist jetzt drei und hat noch ein Brüderchen bekommen. Das Büro zählt inzwischen sogar sieben Köpfe und hat weitere Kunden hinzugewonnen. Weil seine Frau nebenbei promovierte, „sind wir jedenfalls gut ausgelastet“, resümiert Kittel. Dabei klingt er nicht mehr ganz so gelassen wie 2020 aber durchaus zufrieden.
Jetzt auch Bademode mit Gewissen
Corinna Borucki freut sich, dass ihr Onlineshop
„Coco Malou“ für nachhaltige und dabei schicke Damenunterwäsche so gewachsen ist. Ihr Team ist ebenfalls auf sieben Köpfe angewachsen und das Sortiment an „sexy Wäsche mit Gewissen“, wie wir damals titelten, hat an Umfang deutlich zugenommen. Inzwischen gibt es sogar auch „sustainable swimware“.
Bei der HR-Plattform geht es voran
Bei
Hirey, der Plattform für Personaldienstleister, ist Mitgründer Matthias Sonnentag zu Jahresbeginn aus familiären Gründen ausgestiegen. Gemeinsam gegrillt mit dem nunmehr alleinigen Chef Matthias Handl wird aber weiterhin, denn die beiden gingen im Guten auseinander. Hirey wächst auch unter der Ein-Mann-Führung rasant weiter. Aktuell nutzen schon 250 Personaldienstleister die Plattform, um auf die Profile hochkarätiger Bewerber zurückzugreifen. Für Handl ist der Rückzug des Kollegen eine Herausforderung: „Ich habe fast ein halbes Jahr gebraucht, um die inneren Strukturen neu zu ordnen“, erzählt er. Er sourcte einige Bereiche aus und will einen Entwickler einstellen. Sein Fazit nach zwei Jahren klingt fröhlich: „Es geht voran“.
Catering auf den Bahamas und ein Fahrradladen
Wie im Fluge ist für Alexander Neuberth die Zeit seit unserem letzten Treffen vergangen. Wobei im Fluge wörtlich zu nehmen ist, denn zu den Höhepunkten der letzten zwei Jahre gehörten zehn Tage Bahamas: „Wir haben dort ein großes Golfturnier gecatert“. Ein voller Erfolg und eine schöne Abwechselung sei das gewesen, auch wenn er vor lauter Arbeit kaum etwas vom Ferienparadies gesehen hat. Neuberth betreibt weiterhin die Schwabenstuben in Freiberg. 2020 hatte er zusätzlich
„Schillers Mitte“ gegründet und Kochboxen entwickelt, deren Inhalt er „remote“ per Videokochkurs mit den Kunden zubereitete. Jetzt kommen die Gäste wieder real, doch die Kochbox-Idee besteht weiter, wenn auch modifiziert. Als „Ready-to-heat“-Gerichte sind sie seit Frühjahr in zwei Smark-Roberta-Goods-Märkten in Stuttgart erhältlich. Ansonsten freut sich der Vollblutgastronom, dass er wieder unter Leute kommt, zum Beispiel samstags mit dem Verkaufsanhänger, auf dem Stuttgarter Markt oder auf dem Weindorf, das ihm „drei richtig wilde Sommerwochen“ bescherte. Ach ja, zusammen mit sechs Kumpels hat er auch noch einen Fahrradhandel aufgezogen…
Neue Anwendungen für bewährte Produkte und Verfahren
Gauthier Boisdequin trafen wir kürzlich zufällig bei einem anderen Termin im Impact Hub in der Stuttgarter Quellenstraße wieder. Noch immer ist er begeistert von dem Co-Working-Space: „Da kann man sich sehr gut mit anderen Gründern austauschen“. Ob der Platz noch lange reicht? Schließlich baut die
Mine&Make GmbH ihr Team weiter aus, vor allem in den Bereichen Entwicklung und Vertrieb. Keine Frage: Die Geschäftsidee, per Data Analytics und KI Kunden neue Anwendungsmöglichkeiten für ihrer Produkte zu finden, kommt an: „85 Prozent unserer Kunden kommen wieder“ berichtet Boisdequin stolz. Mittlerweile hat er das Angebot noch erweitert und recherchiert nun auch neue Einsatzmöglichkeiten für technische Kompetenzen und Verfahren.
Schüler-App wirbt 15 Millionen Euro ein
„Unser CEO Benedict Kurz hätte heute um 16 Uhr Zeit für ein kurzes Telefonat“, mailt die
Knowunity-Marketingfrau. Klingt nach Stress und Wachstum – was nicht unerwartet ist, denn in der Presse las man Schlagzeilen wie „Wenn 18-Jährige die App-Charts stürmen“. Am Telefon fällt dann Kurz` Sprechtempo auf: Wirklich, hier dreht jemand am großen Rad: Fast 70 Personen aus 18 Nationen arbeiten für die Lernplattform, die unter dem Namen Kurz & Lins UG gegründet worden war. Inzwischen ist es die erfolgreichste Lern-App Deutschlands und wurde mehr als 2,5 Millionen Mal heruntergeladen. Auch in Polen, Österreich und Frankreich können Schüler Schülern darüber den Lernstoff näherbringen und so ihr Taschengeld aufbessern. Lins ist mittlerweile ausgestiegen, dafür engagieren sich Business-Angels wie Fußballprofi Mario Götze mit insgesamt 15 Millionen Euro. Noch steht im Impressum Sindelfingen als Firmensitz, doch der Großteil der Mitarbeiter arbeitet in Berlin. Warum? „Die Spezialisten, die wir brauchen finden wir eigentlich nur dort. Deswegen mussten wir auch hin“, erklärt Kurz. „Aber ein kleiner Teil ist in Sindelfingen geblieben und ich pendele“, ergänzt er.
Den ganzen September ist kein Termin mehr frei
„Stürmisch und gebeutelt“ fasst
Simon Wotton die letzten beiden Jahre zusammen. Coronakrise, Lieferengpässe und der Ukrainekrieg haben sein Geschäft schwer herausgefordert. Die Coronahilfen, von denen er sich Erleichterung versprach, erwiesen sich nicht nur als aufwändig und teuer zu beantragen, er musste auch immer wieder etwas zurückzahlen. Das hatte aber durchaus einen positiven Hintergrund, denn der Geislinger, der sich als Mediator zwischen CNC-Maschinen und der IT versteht, hatte sich die Lehren aus der Finanzkrise zu Herzen genommen und die Zeit genutzt, um seine Kenntnisse und sein Angebot weiterzuentwickeln. Und weil das auch viele seiner (potenziellen) Kunden so machten, versiegten die Aufträge nie ganz. Dass er nicht zum Plan B greifen muss, dazu trug auch ein Rat aus dem IHK-Gründerseminar bei: „Rücklagen bilden!“ Außerdem engagierte ihn sein Ex- Arbeitgeber, der japanische CNC-Hersteller Mazak, als Servicepartner. Das bringt dem Familienvater Sicherheit. Besonders freut ihn, dass sein Kernprodukt, die „i4.0-Box“ ihm die Arbeit erleichtert, denn für die Mazak-Maschinen hatte er sie ja entwickelt. „Die Selbständigkeit steht ihm gut“ hatten wir damals den Artikel überschrieben. Das gilt immer noch, da ist sich Wotton ganz sicher: „Den ganzen September habe ich keinen einzigen Termin mehr frei“, freut er sich.
Für den Stoffladen war Corona ein Wechselbad der Gefühle
„Toi, toi, toi, jetzt sind wir da, wo wir sein wollten“, antwortet Cornelia Kinne vom
Waiblinger Stoffladen Cosa auf die Frage, wie es bei ihr und Mitgründerin Sarah Schmidt weitergegangen ist. Turbulente Corona-geprägte Jahre liegen hinter den beiden. Als plötzlich alle Masken nähen mussten, wurden sie überrannt. Doch von einem Tag auf den anderen waren die Stoffmasken nicht mehr erlaubt. Gleichzeitig jagte eine Auflage für den Handel die nächste: Maskenpflicht, Berechnung der Kundenzahl pro Quadratmeter, einchecken, auschecken, Kontaktadressen- sammlung und Luca-App – vielen Kunden verging da die Kauflaune. „Gruselig“, erinnert sich Kinne. Mit ihrem farbenfrohen Instagram-Account hielten sie aber den Kontakt zur Kundschaft. Jetzt sind die Kunden zurück und manch einer mag während der Pandemie Nähen als Hobby (wieder)entdeckt haben. Die Gründerinnen sind jedenfalls zufrieden.
Von den Seifen kann sie gut leben
Kathrin Marotta klingt ganz entspannt am Telefon. Das liegt einerseits am Monat August, wo die Geschäfte ihrer Naturseifen-Manufaktur gemächlicher gehen, so dass Zeit für eine Wanderung mit den Kindern ist. Es liegt aber auch daran, dass alles läuft „wie gewünscht“, ohne sie zu überfordern. Corona war „sportlich“. Ihre „
Kronseifen“ haben die Pandemie aber gut überstanden, obwohl die Märkte ausfielen, auf denen sie sonst verkauft. Das verdankt sie ihrem „fähigen IT-ler“, der ihre Homepage so optimierte, dass der Onlineshop aufblühte. „Ich komme nicht auf der Brotsuppe dahergeschwommen, aber einen Porsche vor der Tür brauche ich nicht“, fasst sie die Lage zusammen und erzählt, dass ihr Steuerberater gerade erst bestätigte: „da kann man gut von leben“. Mehr wollte die 38-jährige von Anfang an nicht: Dazu kennt sie zu viele 50-Jährige, die privat und gesundheitlich „vor die Wand fahren“, weil sie zu viel arbeiten.
Bleibt nur, ganz herzlich zu gratulieren zu diesen Erfolgen unter so erschwerten Bedingungen. Die IHK wünscht alles Gute für die weitere Zukunft!
Dr. Annja Maga, Redaktion Magazin Wirtschaft für Magazin Wirtschaft 9-10.2022
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