Kiel

Wie grün wird unsere Landwirtschaft?

Wie sieht Schleswig-Holstein in 2042 aus: Fleisch aus dem Labor, Milchkühe lediglich Tourismusmagnet? Möglichen Versionen einer klimaneutralen Landwirtschaft geht die EKSH in der Zukunftsforschung Landwirtschaften Schleswig-Holstein 2042 nach. Dr. Klaus Wortmann im Interview mit der Wirtschaft.
Herr Wortmann, was ist eigentlich Zukunftsforschung und was beabsichtigt die EKSH damit, solche Zukunftsszenarien zu erstellen?
Zukunftsforschung lässt methodisch die Fantasie spielen. Sie erstellt keine Prognosen und keine Szenarien im Sinne einer wünschenswerten Zukunft. Wir befassen uns mit systematischen, wissenschaftlichen Methoden wie der strategischen Vorausschau, auch Foresight genannt, um mögliche Zukunftsentwicklungen im Bereich Energie und Klimaschutz für Schleswig-Holstein bis 2042 zu antizipieren. Dabei orientieren wir uns an quantitativen und qualitativen Daten.
Die Aufgabe von Zukunftsforschung ist nicht, vorzugeben, was wir tun sollen. Sie fordert stattdessen auf, uns mit dem Bild einer Zukunft, wie sie sein könnte, zu vergleichen und uns zu überlegen, wie wir zum Beispiel 2042 unseren Betrieb führen wollen. Wir möchten also zur positiven Diskussion anregen über Chancen, Notwendigkeiten, Risiken, Dynamiken und Herausforderungen einer klimaneutralen landwirtschaftlichen Zukunft.
Es lohnt sich, Fragen an die Zukunft zu stellen, auch wenn wir nicht wissen, was passieren wird. Szenarien können helfen, systematisch Strategien für alle Fälle zu entwickeln, denn bestimmte Parameter aus den Szenarien sind einfach naheliegend. Teilaspekte aus unseren Forschungen sehen wir bereits, denken wir an Vertical Farming, drohnengestütztes Landwirtschaften oder den Boom der veganen Ernährung.
Entscheidend ist bei solchen Zukunftsszenarien, die Betroffenen einzubeziehen. Unsere Szenarien entstanden u.a. mit Expertinnen und Experten aus der Landwirtschaft des Landes, trotzdem ist die Resonanz von landwirtschaftlicher Seite aktuell verhalten. Verständlich, denn für viele Betriebe wirken diese Szenarien bedrohlich. Wenn meine Familie beispielsweise  seit Generationen einen Milchbetrieb betreiben würde und ich jetzt höre, dass Milchkühe in 22 Jahren nur noch aus touristischen Gründen gehalten werden und nicht mehr zur Nahrungsmittelproduktion, dann bin ich mit Ängsten konfrontiert. Aber wir sagen nicht, dass die Welt in 2042 exakt so aussehen wird, sondern laden ein, eine fundierte Diskussion darüber zu führen, wie wir Strategien entwickeln können, um gemeinsam Klimaschutz vorauszudenken und in unsere Planungen und Strategien einzupreisen. Vielleicht ist dann gerade mein Milchviehbetrieb auch unter Klimavorgaben dann immer noch aktiv.
Technologische Durchbrüche bei der Erzeugung von Fleisch und Milchprodukten und beim Vertical Farming führen zu einem Struktur- und Akteurswandel in der Agrarwirtschaft. Konventionelle Betriebe verabschieden sich fast vollständig von der Tierhaltung, zudem drängen vermehrt regionale AgriTech-Start-ups auf den Markt. Städtische Lebensmittelproduktion durch vertikale Farmen und mikrobielle Laboratorien ist weit verbreitet. Im ländlichen Raum vollzieht sich eine Technologisierung (Precision Farming). Auch werden neben dem Anbau von Grundnahrungsmitteln neue Einnahmequellen erschlossen, etwa aus dem Emissionshandel. Lokale Förder- und Clusterinitiativen sowie privatwirtschaftliche Dynamiken bringen Schleswig-Holstein eine Vielzahl neuer agrarwirtschaftlicher Angebote und Geschäftsmodelle.
Was haben Agri-Tech und Clean Meat mit ihrem Szenario zu tun?
Beides sind technologische Ansatzpunkte, um die Klimaschutzforderung an die Landwirtschaft zu erfüllen, aber gleichzeitig ihr auch eine wirtschaftliche Zukunft zu ermöglichen. Grundsätzlich ist die Landbewirtschaftung heute global für etwa ein Viertel der Treibhausgase verantwortlich. In Deutschland liegen wir bei einem Wert von 8 Prozent, aber für Schleswig-Holstein liegt dieser Wert mit 22 Prozent deutlich höher. Die Frage ist, wie können die Emissionen hier sinken? - Zu den größten Klimaproblemen, die mit der Landwirtschaft verbunden sind, gehören die Folgen aus Konsum und Produktion tierischer Produkte: Bei den Verdauungsprozessen entweicht besonders klimaschädliches Methan und zur Fleisch- und Milchproduktion müssen Futtermittel erzeugt werden, die ihrerseits mit Treibhausgasemissionen verbunden sind.. In einem quantitativen Vorgängerszenario zu einem klimaneutralen Schleswig-Holstein haben wir bereits berechnet, dass der Fleischverzehr von aktuell rund 60 Kilo pro Kopf jährlich in Deutschland auf 24 Kilo sinken muss – dabei empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung seit Jahren auch in etwa nur diese Menge – aus gesundheitlichen Gründen! Wir haben uns in eine Situation manövriert, die wir dringend verändern müssen, die aber auch neue Chancen bietet.
Setzt sich der Vegetarisch/Vegan-Hype fort, der Fokus auf weniger Massentierhaltung, weniger Tierleid, dann werden Ansätze wie Clean Meat, auch In-vitro-Fleisch genannt, naturgemäß bedeutender. Schon heute wird daran geforscht, künstliches Fleisch ohne fetales Kälberserum rein pflanzlich herzustellen, mit Ausgangsstoffen beispielsweise aus Algen. Auch die Wirtschaftlichkeit hat sich verbessert: So sind etwa die Anfangskosten zur Herstellung eines Burgers von 250.000 Euro 2013 auf mittlerweile auf unter 50 Euro gesunken. Ab 2030 könnte Laborfleisch preislich konkurrenzfähig sein. Wir sehen: Zukunftsmethoden auf diesen Gebieten werden sehr schnell skalierbar. Für Schleswig-Holstein können wir das auch wirtschaftlich denken und Ausgangsstrukturen rechtzeitig entwickeln. Die Herstellung von künstlichem Fleisch kostet eine Menge Energie, die wir hier aber regenerativ und günstig bereitstellen könnten.
Agri-Tech bezieht sich aber nicht nur auf die künstliche Erzeugung von Fleisch, auch alle anderen technologischen Möglichkeiten zur Nahrungsmittelproduktion kommen in diesem Szenario zum Tragen, z.B. vertical farming, wo Obst und Gemüse in mehrstöckigen Gebäuden erzeugt wird oder precision farming, die punktgenaue Bearbeitung und Düngung landwirtschaftlicher Flächen mithilfe neuer Verfahren und Maschinen. Die Fläche wird bis in den Untergrund (z.B. Speicherung von CO2) und in der Höhe (fliegende Windräder) genutzt.
Extremwetterereignisse führen in der EU der 2020er Jahre zu einer Sensibilisierung für Klimawandelfolgen. Europaweite Proteste erzeugen öffentlichen Druck. Klimaschutz wird politisches Top-Thema, Flächennutzung gilt als zentraler Steuerungshebel. Bis 2030 werden die EU-Förderstrukturen grundlegend umstrukturiert. Die GAP wird durch neue Förderinstrumente wie den EU-Klima- und Transformationsfonds ersetzt. Klima- und Gemeinwohlleistungen werden zum Maßstab öffentlicher Förderung, agrarwirtschaftliche Geschäftsmodelle müssen neu gedacht werden. Ein Nebeneinander von kleinen und mittleren Betrieben und hocheffizienten Großbetrieben erfüllt die gestiegene Nachfrage nach hochwertiger regionaler Versorgung und erlaubt auch die Spezialisierung auf Gemeinwohlleistungen wie die Wiedervernässung von Mooren.
Inwiefern profitieren landwirtschaftliche Betriebe und landwirtschaftsnahe Branchen von der Forschung zu einer klimaneutralen Landwirtschaft?
Landwirtschaftliche Betriebe und landwirtschaftsnahe Unternehmen brauchen wie andere Sektoren auch Ideen und Geschäftsmodelle für eine klimaneutrale Zukunft. Landwirte sind schon heute Multiunternehmer: Wenn man bestimmte Flächen nicht mehr intensiv bearbeitet oder Blühstreifen anlegt, sind die Gelder aus öffentlicher Hand für einige Betriebe für fast die Hälfte der Einkünfte verantwortlich. Das ist gut und richtig, denn Landwirte müssen wirtschaftlich denken – und dieser Einkommensbestandteil: Geld gegen Gemeinwohlleistungen könnte zukünftig noch verstärkt werden – hierauf liegt der Fokus in unserem zweiten Szenario. Spezialisierungen liegen dann vielleicht bei Precision Farming, Precision Fermentation, Vertical Farming, Agroforst, Aquakultur, PV oder In-vitro-Fleisch. Einige Betriebe machen sich vielleicht im Tourismus einen Namen oder setzen bewusst darauf, Produkte aus traditioneller Landwirtschaft zum Luxusgut zu machen. Auch der Slogan vom Landwirt zum Energiewirt hat weiterhin seine Berechtigung: Wer CO2-Emissionen einlagern kann oder Böden wiedervernässt, Windräder aufbaut oder im Untergrund Wasserstoff oder CO2 speichern kann, leistet einen wertvollen Beitrag zum Klimaschutz. In Zukunft wird es darum gehen, Landwirtschaft unter einem in Zukunft immer strengeren Klimaregime – sei es infolge der Klimaveränderungen, sei es aufgrund staatlicher Vorgaben – weiterhin betreiben zu können, und das ist für unser Bundesland besonders wichtig.
Es ist wahrscheinlich, dass keines unserer Szenarien so eintritt. Aber Elemente daraus sehen wir teils heute schon. Lassen Sie uns also den Diskurs führen, Strategien entwickeln und dort steuern, wo wir Elemente der Zukunftsszenarien befürworten oder klar verhindern wollen.
Dr. Klaus Wortmann ist bei der Gesellschaft für Energie und Klimaschutz Schleswig-Holstein GmbH (EKSH) zuständig für die Themen Gesellschaft, Kommunen und Zukünfte. Die EKSH fördert Wissenschaft und Forschung in Energie- und Umweltschutz und Bildungsprojekte rund um Energieproduktion und Klimaschutz, Energieverbrauch und -effizienz, -versorgung und -wirtschaft. Mehr unter www.eksh.orgen/energielandschaften-sh-2042