Kuren, wo andere Urlaub machen

Reha- und Kurkliniken in Schleswig-Holstein boomen: Im Tourismusjahr 2024 erzielten sie bei den Übernachtungen ein echtes Wachstum. Die Kliniken punkten mit bundesweit einmaligen Angeboten, ihrem Standort und familiärer Atmosphäre. Ein Blick nach Ostholstein.

Reha- und Kurkliniken in Ostholstein: Gesundheitsstandort mit Zukunft

Mit einem Zuwachs von 3,9 Prozent an Übernachtungen setzten sich die Vorsorge- und Rehakliniken im Jahr 2024 vor die Campingplätze (minus 2,3 Prozent) und die Hotellerie (plus 0,1 Prozent) – so berichtet es der aktuelle Kurzbericht des Sparkassen-Tourismusbarometers für Schleswig-Holstein. Wohl ein Grund dafür: Bundesweit steigen die Krankheitsfälle im mentalen und psychosomatischen Bereich – und bescheren den Klinken einen regen Zuwachs.
Eine wichtige Rolle in der Rehalandschaft spielt Ostholstein: Hierhin kommen seit Jahrzehnten Patienten aus ganz Deutschland, die im Norden Ruhe und Rehabilitation suchen. So liegen in Ostholstein 16 der insgesamt 53 Vorsorge- und Rehakliniken Schleswig-Holsteins – nur der Kreis Nordfriesland bietet mit 17 Einrichtungen eine Klinik mehr. Landesweit stellen die Reha- und Kurkliniken laut Statistikamt Nord 11.167 Betten und zählten 2024 rund 3,5 Millionen Übernachtungen, was einer hohen Auslastung von 88,6 Prozent entspricht.

Therapeutikum WestFehmarn: Kuren für Familien

Im Norden Ostholsteins bietet das Therapeutikum WestFehmarn seit mehr als 30 Jahren Kurangebote speziell für Familien. Bundesweit fast einmalig ist die Fachklinik auf Großfamilien spezialisiert. „Wir bieten neben klassischen Mutter/Vater-Kind-Kuren vor allem Familienkuren an. Pro Familie kommen im Schnitt fünf Personen gelegentlich sogar Familien mit bis zu 12 Kindern zu uns. Das ist schon etwas Besonderes“, sagt Geschäftsführer Fabian Sütel. So stehen auf dem Gelände des Therapeutikums 75 Appartements für Familien bereit, ein gewöhnliches Klinikgebäude gibt es hier hingegen nicht. Der Clou: Die Familienmitglieder haben ein voll ausgestattetes Appartement mit bis zu 100 Quadratmeter für sich, in dem sie auch drei Mal am Tag zusammen essen. „Viele Patienten vergleichen uns augenzwinkernd mit Bullerbü. Das freut uns besonders. Wir legen viel Wert auf einen familiären Umgang und wollen, dass sie hier zur Ruhe kommen“, so Sütel. 2024 seien 1.230 Familien beziehungsweise 5.750 Personen ins Therapeutikum WestFehmarn gekommen, 3.500 davon waren Kinder.
„Zu uns kommen hauptsächlich Menschen mit Erschöpfungssymptomen. Viele davon sind Eltern mit Doppel- und Dreifachbelastungen, die kurz davor sind, länger auszufallen. Bei uns werden sie innerhalb von 21 Tagen für den Alltag gestärkt“, so Sütel. In den drei Wochen erfolgen dann bis zu 50 bis 60 individuell abgestimmte Therapieeinheiten sowie ein Sport- und Freizeitangebot am Nachmittag – etwa Nordic Walking an der Ostsee. Die Kinder werden tagsüber von Erzieherinnen und Erziehern im Kinderland betreut, mit Wunsch auch mit Hausaufgabenbetreuung. Zudem gibt es neben großen Spielplätzen viele saisonale Angebote wie einen Laternenumzug, Weihnachtsmarkt oder eine Familien-Olympiade auf dem Klinikgelände.
Der Bedarf an einer mehrwöchigen Vorsorge sei in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. „Die psychovegetative Erschöpfung hat seit der Corona-Pandemie deutlich zugenommen. Auch schwere Fälle behandeln wir immer häufiger. Infekte oder beispielsweise Neurodermitis sind hingegen immer seltener Gründe, warum Menschen zu uns an die Ostsee kommen“, erklärt Sütel. So werden in den 21 Tagen Impulse gesetzt, diein den Heimatorten weitergeführt werden müssen: „Wir geben in den drei Wochen nur Hilfe zur Selbsthilfe“, so Sütel. Auch für die kommenden Jahre sieht Sütel großen Bedarf am deutschen Vorsorgesystem.
Nicht zuletzt stellen die Reha- und Kurkliniken einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor für den Standort Fehmarn dar. „Wir bieten aktuell für mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sichere Arbeitsplätze auf der Insel – auch in der touristischen Nebensaison. Zudem besuchen unsere Patienten am Wochenende Gastronomie und Freizeiteinrichtungen in ganz Ostholstein“, sagt Sütel.

Klinik Miramar: Moderne Mutter-Kind-Kuren in Strandlage

Auf der anderen Seite des Fehmarnsunds liegt die Kurklinik Miramar. Auch hier ist man seit mehr als 30 Jahren auf Mutter/Vater-Kind-Kuren spezialisiert. Rund 2.800 Patientinnen und Patienten kommen pro Jahr in die Klinik in Großenbrode und wohnen in einem von 52 Appartements. „Unser Ziel ist es, als Vorsorgeeinrichtung die Gesundheit von Familien zu verbessern und zu erhalten. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft“, sagt Geschäftsführer Peter Jäcker.
Auch in der Kurklinik Miramar behandeln Ärzte, Psychologinnen und Therapeuten und Therapeutinnen vor allem Erschöpfungssymptome. Immer häufiger leiden auch die Eltern unter orthopädischen Vorerkrankungen wie Bandscheibenvorfällen, auf die bei der Verordnung und während der Therapie entsprechend Rücksicht genommen werden muss. „Wir lassen unsere Leistungen von der Medizinischen Hochschule Hannover überprüfen. Diese bestätigt, dass unsere Kurbehandlungen den Menschen helfen“, berichtet Jäcker weiter. Nach dem ärztlichen Aufnahmegespräch erhalten die Patientinnen und Patienten einen individuellen Kurfahrplan, der etwa Physiotherapie, psychosozialer Versorgung, Sporttherapie oder Diäten verordnet. Für Kinder bietet die Kurklinik außer einem Freizeit- und Hausaufgabenangebot zudem spezielle Entspannungsverfahren und Bewegungstherapien an.
Peter Jäcker beobachtet die Situation der Kurkliniken in der Region genau. Seine Eltern hatten in dem Gebäude viele Jahre ein Hotel betrieben. Mit der Ernennung Großenbrodes zum Ostseeheilbad im Jahr 1990 wandelten sie den Betrieb in die Klinik um. Die Region profitiere von den vielen Kurkliniken im näheren Umkreis, meint Jäcker. „Viele Restaurants im Ort haben inzwischen ganzjährig geöffnet, da unsere kurenden Familien auch in der Nebensaison dort essen gehen. Das wissen wir aus vielen Gesprächen. Außerdem besuchen viele unserer Gäste das Kurmittelcentrum nebenan, in dem es ein Schwimmbad gibt.“ Synergieeffekte gebe es auch durch ehemalige Patienten, die nach ihrer Kur für einen Urlaub nach Großenbrode zurückkehren. „Wir wissen sogar von Paaren, die nach ihrer Kur nach Ostholstein gezogen sind und hier ihre zweite Lebenshälfte verbringen“, so Jäcker.
Diese Entwicklung bestätigt auch Anke Rädel, Geschäftsführerin der Malente Tourismus- und Service GmbH. Laut Rädel spielen die vier Kliniken für den Urlaubsort Malente eine große Rolle. „Die Kliniken stellen sicher, dass in Malente der für die Region typische Nachfrage-Knick in der Nebensaison etwas abgemildert wird. Auch die zahlreichen Besuche von Familie und Freunden während eines mehrwöchigen Aufenthaltes tragen dazu bei.
Und nicht selten erleben wir, dass ehemalige Patientinnen und Patienten aus den Reha-Einrichtungen später als Urlaubsgäste zurückkehren“, sagt Rädel. Malente profitiere davon, mit der medizinischen Kompetenz der Einrichtungen werben zu können, während die Kliniken aus der attraktiven Lage Malentes Vorteile ziehen können.

Curtius Klinik: Psychosomatische Reha in Malente

Die Curtius Klinik ist eine der vier Rehaeinrichtungen, die das öffentliche und wirtschaftliche Leben in Malente prägen. Rund 500 Patienten kommen jedes Jahr in die Klinik am Kellersee zur Rehabilitation, darüber hinaus circa 700 zur Akutbehandlung, die auf die Behandlung psychosomatischer Erkrankungen spezialisiert ist. Im Gegensatz zu den Kurkliniken, die präventiv wirken und von den Krankenkassen finanziert werden, ist die Deutsche Rentenversicherung alleiniger Kostenträger einer Rehabilitation.
„Unser Ziel ist es, psychisch erkrankte Menschen kurativ zu behandeln, sodass sie möglichst wieder in die soziale Teilhabe und in ihr Berufsleben zurückkehren können“, sagt die ärztliche Direktorin Dr. Judith Kuhnert. Etwa die Hälfte der Patienten sei arbeitsunfähig, die Warteliste für einen Reha-Platz lang. „Bei einigen stellt sich die Frage, ob sie überhaupt noch vollschichtig ins Berufsleben zurückkehren können oder vielmehr für eine Erwerbsminderungsrente infrage kommen“, so die Chefärztin der Rehabilitation.
In den fünfwöchigen Reha-Aufenthalten behandelt die Klinik eine Vielzahl psychischer Erkrankungen – vom Burnout über Angststörungen bis hin zu schweren Depressionen. Die Menschen kommen laut Kuhnert aus allen Branchen, viele seien auch durch den steigenden Leistungsdruck erkrankt. „Die Komplexität und Ansprüche in der Arbeitswelt sind deutlich gestiegen, auch durch die Digitalisierung. Gleichzeitig sehen wir, dass viele Menschen ihre Grenzen nicht mehr klar erkennen können und dann ausfallen.“
In der Reha durchlaufen die Patienten dann eine individuell abgestimmte Behandlung, die sich zum Beispiel aus Gruppentherapien, Bewegungsprogramm, Stressbewältigung und therapeutischen Einzelgesprächen zusammensetzt. „Wir wollen den Menschen Ideen und Impulse vermitteln, wie sie in ihrem Alltag weitermachen können. Wir schauen auch, welche Veränderungen am Arbeitsplatz gegebenenfalls notwendig sind“, sagt Geschäftsführer Mario Barthel. Auch er berichtet vom steigenden Bedarf an Reha-Maßnahmen. „Theoretisch könnten wir unsere Bettenzahl locker verdoppeln“, überschlägt der Reha-Chef, der rund 175 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Klinik beschäftigt, zu der auch ein stationärer Akutbereich gehört. Und eine Erweiterung ist bereits in Planung: „Wir hoffen, dass wir 2027 eine Tagesklinik mit 18 Plätzen eröffnen können. Hier sind wir im Gespräch mit der Landesregierung über Fördermöglichkeiten. Sobald wir aus der Landeshauptstadt das Go haben, fangen wir an zu bauen“, so Barthel.
Autor: Benjamin Tietjen
Veröffentlicht: 5. Mai 2025