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Gemeinsam gegen die Klimakrise
Die Grenzregion zwischen Süddänemark und Schleswig-Holstein wird von der Klimakrise mit voller Wucht getroffen. Sturmfluten, steigende Meeresspiegel, Extremwetterereignisse und zunehmende Trockenperioden sind längst keine theoretischen Szenarien mehr, sondern Alltag. Vor diesem Hintergrund ist das Interreg-Projekt POSEIDON entstanden – ein wegweisendes Vorhaben, das Klimaanpassung neu denkt und Lösungen für die Zukunft entwickelt.
Die Projektpartner blicken von einer Seite des Hafens auf die andere und diskutieren über die Entwicklungspläne der Stadt für ein neues Wohnbauprojekt, das derzeit durchgeführt wird, und über die Maßnahmen, die sie ergriffen hat.
© Flowerhaus.dk
Ein warmer Sommerregen fällt auf die Innenstadt von Flensburg. Das Wasser wird von begrünten Dächern aufgefangen, durch unterirdische Speicher geleitet und später für die Bewässerung der Stadtgrünflächen genutzt. Bürger schlendern durch die kühle, schattige Fußgängerzone, während digitale Sensoren im Hintergrund sicherstellen, dass jeder Tropfen Regenwasser optimal genutzt wird. Das klingt zu schön, um wahr zu sein? In vielen Städten und bei Partnern des Projekts POSEIDON ist das längst Realität.
Klimaresilienz durch Vernetzung und Innovation
„Die Konsequenzen der globalen Erwärmung sind für die Grenzregion zwischen Dänemark und Schleswig-Holstein besonders spürbar“, erklärt Julie Skødt Clausen, Projektleiterin von POSEIDON und Expertin für Kommunikation und Innovationsmanagement von der Universität Süddänemark. „Unser Ziel ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern und grenzüberschreitend Lösungen für die Herausforderungen der Klimaanpassung zu entwickeln.“
Mit einem Budget von 2,88 Millionen Euro und einer Laufzeit bis 2027 bringt POSEIDON neun Projektpartner und 35 Netzwerkpartner zusammen, darunter große Unternehmen, innovative Start-ups und renommierte Forschungseinrichtungen.
Gruppendiskussion im Rahmen der Auftaktveranstaltung von Poseidon in Sønderborg, auf dem SDU-Campus in Sønderborg.
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Ein Netzwerk für Klimaanpassung
POSEIDON ist zusammen mit ClimatePol und ClimateBlue ein Interreg-Projekt. Jedes Projekt bringt unterschiedliche wissenschaftliche Perspektiven rund um die Klimaanpassung in der Grenzregion Deutschland-Dänemark ins Spiel. Während POSEIDON sich auf innovative Technologien und Prototypen konzentriert, geht es bei ClimateBlue um die direkte Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung in der Küstenzone. Im Dialog sollen Lösungsvorschläge für die Herausforderungen des steigenden Meerwassers und der zu erwartenden häufigeren Sturmfluten erarbeitet werden.
ClimatePol hingegen legt den Fokus auf politische und institutionelle Prozesse. Ziel ist es, mehr darüber zu erfahren, wie der Prozess der Anpassung lokaler Gebiete an den Klimawandel funktioniert und wo es Herausforderungen und Vorteile im derzeitigen Prozess gibt. Mit diesem Wissen wird das Projekt schließlich in der Lage sein, eine Reihe von Empfehlungen und Instrumente für Entscheidungsträger auf beiden Seiten der Grenze vorzulegen. „Die Zusammenarbeit zwischen den drei Projekten ermöglicht es uns, den gesamten Prozess der Klimaanpassung abzudecken“, erklärt Julie Skødt Clausen. „Von der Analyse der Bürgerbedürfnisse über die Entwicklung von Prototypen bis hin zur politischen Implementierung schaffen wir eine holistische Grundlage für Resilienz.“
Die Innenstadt in Raalte in den Niederlanden profitiert von smarten Bewässerungssystemen.
© ACO GmbH
Smarte Systeme für eine nachhaltige Wasserbewirtschaftung
Ein zentraler Akteur im POSEIDON-Netzwerk ist das Unternehmen ACO GmbH aus Büdelsdorf bei Rendsburg, Weltmarktführer für Entwässerungssysteme. Mit seinen innovativen Smart Irrigation Systems (SIS) bringt ACO Klimaanpassung in die Praxis. „Unsere Systeme sammeln, reinigen, speichern und nutzen Regenwasser – und das alles mit minimalem Energieverbrauch“, erklärt Axel Leybold, promovierter Naturwissenschaftler aus Kiel und Leiter der Abteilung für smarte Lösungen bei ACO. Die Kernidee: Regenwasser wird aufgefangen und als Ressource betrachtet, anstatt es einfach ungenutzt in die Kanalisation zu leiten. Der Prozess beginnt mit der Sammlung und Reinigung des Wassers. Durch speziell entwickelte Rinnensysteme wird Regenwasser zuverlässig aufgefangen, selbst bei Starkregenereignissen. Im sogenannten „Technikraum“ wird das gesammelte Wasser dann durch moderne Filter gereinigt, die Verunreinigungen wie Schmutzpartikel und Schadstoffe entfernen.
Nach der Reinigung wird das Wasser in unterirdischen Tanks gespeichert, die flexibel an die jeweiligen Anforderungen angepasst werden können. Ein beeindruckendes Beispiel ist ein von Airbus genutzter Speicher, der neun Meter hoch ist und mehrere Millionen Liter Wasser fasst. Von dort wird das Wasser mithilfe smarter Technologien weiterverwendet. Digitale Sensoren messen dabei Parameter wie Bodenfeuchte und Bewässerungsbedarf der Pflanzen und steuern die Bewässerungssysteme präzise über Funk. „Das ermöglicht uns, genau die Wassermenge abzugeben, die tatsächlich benötigt wird – nicht mehr und nicht weniger“, betont Axel Leybold.

Die innovativen Systeme von ACO werden bereits in mehreren internationalen Projekten erfolgreich eingesetzt. In der niederländischen Stadt Dinxperlo wird bis Mai 2025 die gesamte Innenstadt mit einer smarten Lösung unterbaut. Die neuen Speicher sind dann direkt mit Grünflächen verbunden, die dank des Systems nachhaltig bewässert werden und so das Stadtklima verbessern können. In Phoenix, Arizona, entwickelt ACO eine Anlage, die erstmals eine nachhaltige Bewässerung von Bäumen in der Wüste ermöglicht. Ziel ist es, grüne Inseln in einer extrem trockenen Region zu schaffen. Gleichzeitig entsteht im englischen Shefford ein Netzwerk aus 12.000 miteinander vernetzten Bäumen, das dem Pflanzensterben entgegenwirken und langfristig die Lebensqualität erhöhen soll. Diese Systeme sind nicht nur effizient, sondern auch transparent: „Man sieht beispielsweise sofort, wie viel CO₂ eingespart, wie viel Wasser geerntet und wie viel Geld durch die Nutzung von Regenwasser statt Trinkwasser gespart wurde“, erklärt Axel Leybold.
Neben etablierten Unternehmen wie ACO unterstützt POSEIDON auch junge Unternehmen dabei, ihre innovativen Ideen zu entwickeln und neue Märkte zu erschließen. So hat sich ein dänisches Start-up an das Projekt gewandt, das auf die Entwicklung unterirdischer Regenwasserspeicher spezialisiert ist. Aktuell arbeitet das Start-up an einem Projekt, bei dem ein solcher Speicher unter einem Fußballplatz in Hamburg installiert werden soll.
„POSEIDON hilft, die richtigen Partner zu finden und Produkte an die Anforderungen des deutschen oder eben dänischen Marktes anzupassen“, erklärt Julie Skødt Clausen. Von der strategischen Beratung über Marketingempfehlungen bis hin zur Integration in Pilotprojekte bietet das Netzwerk umfassende Unterstützung.

Auch die Forschung spielt eine zentrale Rolle im Projekt. Dr. Agnes Sachse vom Institut für Geowissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Mitglied des Geo-Kompetenzzentrums bringt ihre Expertise in Hydrogeologie und Klimawandelforschung ein. Bereits im Vorgängerprojekt NEPTUN arbeitete sie daran, Auswirkungen des Klimawandels in der Grenzregion zu untersuchen und gemeinsam mit Unternehmen, Gemeinden und Bildungseinrichtungen Lösungen zu entwickeln. „Mit POSEIDON erweitern wir diesen Ansatz, indem wir gezielt die Barrieren zwischen den Ländern analysieren und gemeinsam Prototypen testen“, erklärt Sachse. Sie betont, dass der Erfolg solcher Projekte auf dem Wissenstransfer zwischen den beteiligten Regionen und Kulturen beruht. „Mit Studierenden habe ich zum Beispiel während einer Schwammstadt-Exkursion die ACO-Entwässerungssysteme entlang der Straße Sankt Kjelds Plats und Bryggervangen angeschaut, um den Wissensaustausch zu stärken.“ Die multifunktionalen Projekte nutzen bereits seit Jahren erfolgreich Regenwasser im städtischen Raum, um grüne und kühle Stadtquartiere zu generieren und die Aufenthaltsqualität zu erhöhen. „So wird Klimaanpassung im Stadtbild sichtbar und der Transformationsprozess von der Bevölkerung akzeptiert und zum Teil auch schon eingefordert“, betont Agnes Sachse.
Raalte ist nur ein überzeugendes Beispiel, das verdeutlicht, wie klimaresiliente Städte aussehen können.
© ACO GmbH
Grenzen überwinden: Zusammenarbeit als Schlüssel zum Erfolg
Doch die größte Herausforderung ist nicht technischer oder partizipatorischer, sondern struktureller Natur. „In Deutschland machen sich Regulierungen oft selbst das Leben schwer“, kritisiert Axel Leybold. „Verkehrs-, Umwelt- und Grünflächenämter arbeiten häufig nicht lösungsorientiert zusammen.“ POSEIDON setzt hier auf Dialog und Wissensaustausch. Workshops, Veranstaltungen und Matchmaking-Events wie die Collaboration Challenge im Februar 2025 in Flensburg sollen Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft vernetzen.
Die Zusammenarbeit im POSEIDON-Projekt zeigt, dass die deutsch-dänische Partnerschaft nicht nur technologische, sondern auch kulturelle Impulse setzt. Julie Skødt Clausen hebt hervor, dass das dänische Mindset ein wesentlicher Faktor für den Erfolg des Projekts ist. „In Dänemark haben Lebensqualität und soziale Verantwortung einen sehr hohen Stellenwert. Unternehmen, Städte und Bürger arbeiten gemeinsam an Lösungen, die Natur und Mensch in Einklang bringen.“ Axel Leybold ergänzt: „Wir können viel von Dänemark lernen, insbesondere was die Flexibilität und die lösungsorientierte Zusammenarbeit angeht. Während in Deutschland oft unterschiedliche Behörden mit konkurrierenden Interessen agieren, gelingt es in Dänemark besser, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen.“ Doch Leybold sieht auch Chancen für einen Wissens- und Kulturtransfer: „Unser Ziel ist es, das Mindset der nordischen Regionen nach Deutschland zu bringen. Ein Beispiel ist unser Wunsch, ein Modellprojekt auf dem Kieler Universitätscampus endlich umzusetzen. Solche Projekte könnten den Weg ebnen, um mehr Flexibilität und Kooperation in Deutschland zu fördern.“
Die dänische Herangehensweise – geprägt von Transparenz, Dialog und klaren Zielsetzungen – dient als Inspiration für andere Regionen. „Wenn wir das gemeinsame Ziel immer im Blick behalten und flexibel bleiben, können wir Klimaresilienz zu einer Erfolgsgeschichte machen“, betont Agnes Sachse.
Jane Ruby Hansen, Mitarbeiterin für Klimaanpassung bei der Kommune Sønderborg, präsentiert die Wasserprobleme der Stadt mit einem Blick von oben, von der öffentlichen Aussichtsplattform des Hotels Alsik in Sønderborg.
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Gemeinsam für die Zukunft handeln
POSEIDON beweist, dass Klimaanpassung nicht nur notwendig, sondern auch eine Chance ist – eine Chance, Städte lebenswerter zu machen, Unternehmen zu fördern und die Natur in unsere Lebensräume zu integrieren. „Unternehmen sind dabei der entscheidende Faktor“, so Clausen. „Sie setzen die Lösungen um, die unsere Region resilienter machen. Jedes Unternehmen, das innovative Beiträge leisten möchte, ist bei uns willkommen.“
Mehr Informationen über das Projekt und Möglichkeiten zur Beteiligung finden Sie auf www.poseidon-klimaanpassung.de oder Sie folgen dem Projekt bei LinkedIn.
Collab Challenge in Flensburg
Die Herausforderungen, vor denen viele Kommunen heute stehen, erfordern innovative und praxisnahe Lösungen. Hier setzt die Matchmaking-Veranstaltung am 20. und 21. Februar in Flensburg an, zu der wir Sie herzlich einladen. Ziel der Veranstaltung ist es, Kommunen und Stadtwerke mit Unternehmen, Start-ups und Studenten zusammenzubringen, um gemeinsam an individuellen Lösungen zu arbeiten. Unter dem Titel POSEIDON Collab Challenge wollen wir gemeinsame Herausforderungen aufgreifen und in kurzer Zeit konkrete Probleme angehen. Ob es um den Umgang mit extremen Grundwasserständen, die Entwicklung grünerer und kühlerer Städte, die Nutzung von Regenwasser als Ressource oder den Schutz vor Sturmfluten geht. Gemeinsam wollen wir langfristige Partnerschaften initiieren, die helfen, aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu bewältigen. Bitte melden Sie sich hier an: https://event.sdu.dk/poseidoncollabchallengeiflensburg
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Julia Romanowski