Visionen für das Handwerk
Anne Haupthoff macht einen Rundgang mit ihrem Vater Dirk durch die hochmoderne Produktionshalle von Woodex. Um sie herum gleiten Roboterarme lautlos über Schienen, greifen mit beeindruckender Präzision nach Holzbalken, schneiden sie zu, fügen sie millimetergenau zu neuen Stücken zusammen. Was wie leichte Science-Fiction anmutet, ist das Ergebnis einer siebenjährigen unternehmerischen Reise voller Höhen und Tiefen – und einer ganz besonderen Vater-Tochter-Geschichte.
„Die ursprüngliche Idee war eine ganz andere als das Ergebnis, das wir heute hier sehen", erzählt die Unternehmerin. Dirk Haupthoff stimmt zu: „Mein Plan war, die Holzlagerung zu automatisieren. Dann habe ich Anne ins Boot geholt, weil mir bewusst wurde, dass ich diese Herausforderung in meinem Alter nicht mehr alleine angehen wollte.“
Die lokale Problemlage zwang den Unternehmer zum Umdenken: personalintensive und fehleranfällige Handhabung des Holzes, bei dem Hölzer herunterfielen und beschädigt wurden. Gemeinsam mit seiner Tochter entwickelte er eine visionäre Lösung für die gesamte Branche: „Wir haben festgestellt: Da gibt's ja richtig was zu holen, weil da noch richtig viel Handarbeit am Start ist", erklärt Anne Haupthoff, die damals noch in München lebte und als Unternehmensberaterin arbeitete.

Die Kombination der Erfahrungen von Vater und Tochter erwies sich als Glücksfall: Dirk als gelernter Holzkaufmann mit jahrzehntelanger Branchenerfahrung, aufgewachsen in einem Baugeschäft mit Zimmerei. Anne mit BWL-Studium und Erfahrung aus der Strategieberatung, bei der sie Märkte und Businessmodelle analysierte. „Ich bin ja die Exotin in dem Ganzen", sagt sie lachend.
Fünf Jahre Entwicklung, ein Jahr Bauzeit, ein Jahr Inbetriebnahme: Immer wieder stießen die Unternehmer auf neue Engpässe, mussten die Robotertechnik optimieren, Partnerschaften mit Maschinenherstellern eingehen. Der ursprünglich nicht geplante zweite Hallenabschnitt wurde ergänzt, da das optimierte Lager mindestens doppelt so viele Maschinen bestücken konnte. Getreu dem Motto „Geht nicht, gibt's nicht", hat das Vater-Tochter-Gespann stets hinterfragt und nachgebessert. Die ausgefeilte Software ist das Herzstück des Projekts. „Für sich allein gab es jede Komponente schon auf dem Markt, das heißt Maschinen, Robotertechnik oder Förderbänder“, erläutert Anne Haupthoff. „Was aber bislang niemand umgesetzt hat, ist, diese Komponenten mittels Software so miteinander zu verbinden, dass ein vollautomatischer Betrieb möglich ist.“ Mutige Partner, die bereit waren, ihre Schnittstellen zu öffnen, machten das Projekt Woodex mit der Idee der Unternehmer möglich.
Die Anfangszeit war entsprechend geprägt von täglichen neuen Herausforderungen: Hölzer wurden vertauscht, Koordinaten im System waren falsch hinterlegt, Roboter konnten nicht richtig greifen. „Es war jeden Tag irgendwas Neues", erinnert sich Anne Haupthoff. Nach einer Probezeit von rund einem dreiviertel Jahr zeichnete sich der Erfolg ab.
Nachhaltigkeit zieht sich durch das gesamte Konzept: Solarstrom für die Anlage, Verschnitt Optimierung bis hin zur Wiederverwertung von Resthölzern. Selbst acht Meter Restholz werden nicht geschreddert, sondern als Standardlängen eingelagert oder für ein anderes Bauvorhaben verwendet. „Da steckt so viel Programmierung dahinter, dass das überhaupt funktioniert", erklärt Dirk Haupthoff.
Eine Branche unter Druck
Eine klare Philosophie prägt Woodex: „Wir wollen fürs Handwerk arbeiten", betont Dirk Haupthoff. Deshalb verkauft Woodex ausschließlich an Handwerksbetriebe und Industrieunternehmen, nicht an Privatkunden. Das wissen einige Unternehmen zu schätzen und sind loyale Unterstützer seit der ersten Stunde.
Auch der Fachkräftemangel ist für die Haupthoffs nicht nur Statistik, sondern gelebte Realität. „Wir sprechen mit dem Handwerk und sind präsent im Unternehmensalltag der Betriebe", erklärt Anne Haupthoff. „Wir fragen, wie es läuft und welche Problemstellungen es auf den Baustellen gibt. Teilweise gibt es sehr zeitintensive Arbeiten, wo ich schon hinterfrage: Muss das sein? Oder können die Ressourcen, die zur Verfügung stehen, sinnvoller eingesetzt werden." Dirk Haupthoff sieht die demografische Entwicklung vor diesem Hintergrund mit Sorge: „Das Handwerk besteht zum Großteil aus den Boomer-Jahrgängen. Die gehen jetzt alle in Rente und es gibt immer weniger junge Leute, die bereit sind einen handwerklichen Beruf zu lernen."
„Wir haben weniger an unseren Mikrokosmos gedacht, sondern immer gesamtwirtschaftlich, gesamtgesellschaftlich", ergänzt seine Tochter. „Ob wir jetzt drei Leute mehr oder weniger brauchen, das macht in der Masse einen relativ kleinen Unterschied. Aber wenn wir als Gesellschaft immer weniger Personen im Handwerk zur Verfügung haben, die einen Dachstuhl aufbauen können, dann sollten wir dafür sorgen, dass wir möglichst viel vorbereiten, damit die Leute, die wir noch haben, maximal effizient arbeiten können."

Das wertvollste Geschenk
Heute produziert Woodex komplette Wände und Dachstühle für Bauträger und Häuslebauer. Die Zertifizierungen sind vorhanden, das System läuft optimal. Wenn Vater und Tochter morgens in ihre surrenden Hallen betreten, ist da „ein Stück Zufriedenheit", wie Dirk Haupthoff beschreibt. Doch das wertvollste Geschenk war ein anderes: „Wie wir die Höhen und Tiefen dieses Projektes gemeinsam gehändelt haben", sagt Anne Haupthoff. „Wie wertvoll ist es eigentlich noch mal so viel Zeit mit seinem Vater verbringen zu dürfen?" Ihr Vater ergänzt: „Man weiß, dass das später nicht selbstverständlich ist, weil die Kinder ihren eigenen Weg gehen. Dass Anne es jetzt hier noch einmal wieder zurückgeführt hat, war nicht abzusehen – und stimmt mich enorm dankbar.“
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Dr. Paul Raab