Hidden Champions im Hansebelt

Weltmarktführer in der Nische

Sie sind hoch spezialisiert, innovationsstark und globale Marktführer: Die Rede ist von Hidden Champions, den „heimlichen Weltmeistern“. Doch was ist das Erfolgsrezept dieser Betriebe?
In Schleswig-Holstein gibt es eine hohe Dichte an familiengeführten und mittelständischen Unternehmen, die sich in ihren kleinen und engen Marktsegmenten weltweit einen Namen machen. Das Erfolgsrezept? Durch ständige Verbesserungen, starke Kundenbindung, hohe Exportquoten und einen Ideenvorsprung haben sie ihre Produkte an die Spitze des Wettbewerbs gesetzt mit großer Strahlkraft für den gesamten Mittelstand, wie es auch der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Hermann Simon definiert: Hidden Champions eignen sich viel besser als Jahrhundertstars wie Microsoft oder Google als Vorbilder und Lehrbeispiele. Denn sie sind im Kern ,normale Firmen‘, die es aber durch bestimmte Strategien geschafft haben, in ihren Markten die Spitzenposition zu erreichen. Diese Strategien beinhalten Lehren für kleine wie für große Firmen.

Marktführer für technische Textilien

Ein echter Hidden Champion sitzt in Kreuzfeld bei Malente. Rund um die Uhr laufen bei der Julius Koch GmbH feine Schnüre über summende Maschinen, die das Garn in rhythmischer Akkordarbeit verarbeiten. Das 1895 gegründete Traditionsunternehmen ist auf Flechten, Hakeln und Weben spezialisiert. Hier in Kreuzfeld entstehen Bänder, Leiterkordeln und Endlosschnüre vor allem für den Sonnenschutz. Die hochwertigen technischen Textilien verkauft das ostholsteinische Unternehmen an die Sonnenschutzindustrie, die die Produkte etwa in Plissees, Rollos und Außensysteme einbaut. Im gesamten Sonnenschutzbereich sehen wir uns international als Spitzenreiter, beim außen liegenden Sonnenschutz sogar als globaler Marktführer. Unser Erfolg basiert insbesondere auf den zwei Grundwerten Produktqualität und Internationalisierung“, sagt Geschäftsführer Jens Klotmann. Die Julius Koch GmbH bietet dabei alle textilen Komponenten für Sonnenschutzsysteme aus einer Hand an auch das ist weltweit einzigartig. Bei der Qualität stellen wir extrem hohe Anforderungen an unsere Produkte. Die Textilien sind beim Außensonnenschutz starken Umwelteinflüssen wie Frost, Hitze und UV-Licht ausgesetzt. Durch eigens entwickelte technische Verfahren gewährleisten wir, dass Stoffe wie Polyester sich unter diesen Bedingungen über 20 Jahre nicht verändern, erklärt der Firmenchef.
Der zweite Grundwert, die Internationalisierung, ist laut Klotmann ebenfalls ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Julius Koch habe das Geschäft bereits früh international verstanden und die unterschiedlichen Kundenbedürfnisse vor Ort in den Blick genommen. Deutschland ist in vielen Bereichen ein sehr umkämpfter Markt. Wenn ein Unternehmen hier besteht, gibt es keinen Grund, nicht auch in anderen Ländern erfolgreich zu sein, sagt er. Jens Klotmann ist 2019 als Geschäftsführer in das Unternehmen eingestiegen, war zuvor in leitenden Positionen mit internationaler Verantwortung bei Tchibo, Fiskars und Velux. Eine gute Voraussetzung, um den hohen Internationalisierungsgrad mit einer Exportquote von 80 Prozent weiter auszubauen. Und auch hier gehe es darum, mit neuen Ideen stets ein Vorreiter in der Branche zu sein.

Lösungen für den Klimawandel

Aktuell baut das Kreuzfelder Unternehmen ein neues Geschäftsfeld auf und entwickelt technische textile Schutzsysteme. Unser Fokus liegt in der Entwicklung insbesondere auf Produkten für die Landwirtschaft, um den künftigen Herausforderungen des Klimawandels gerecht zu werden. Wir wollen helfen, Fehlernten zu vermeiden, die durch steigende Temperaturen und neue Schadlinge drohen, so Klotmann. Aber auch Zaune gegen Schneewehen, Fallwinde oder Feinstaub in Kohleminen seien in Planung. Dafür arbeite der Betrieb mit Start-ups und der Universität im polnischen Łodź zusammen, die große Expertise im Bereich Textilien aufweise. Ebenfalls in Polen baut die Julius Koch GmbH derzeit einen neuen Produktionsstandort auf auch um eine Absicherung für einen bestehenden Produktionsstandort in der Ukraine zu schaffen.
Wir mussten bereits Maschinen evakuieren und nach Deutschland bringen. Die Mitarbeiter vor Ort wollen allerdings in der Ukraine bleiben und auch wir wollen an unserem Standort festhalten, berichtet Klotmann. Ein Mitarbeiter sei bereits im Krieg ums Leben kommen. Die Julius Koch GmbH unterstutzt die Witwe nun finanziell. Auch hier haben wir als Unternehmer eine Verantwortung, die wir wahrnehmen werden, sagt er. Weiterhin dient der neue Produktionsstandort in Polen dazu, das zukünftige Wachstum abzubilden, da das Unternehmen sowohl in Kreuzfeld als auch in der Ukraine derzeit nicht weiter wachsen kann.

Mit elektrischen Rauchabzügen an die Weltspitze

Wohl jeder kennt sie aus Treppenhäusern oder öffentlichen Gebäuden: die auffälligen und meist orangen Rauchabzugstaster im ikonischen quadratischen Design. Hinter den lebensrettenden Tastern steckt eine echte Erfolgsgeschichte made in Norddeutschland. Die D+H Mechatronic AG mit heutigem Sitz in Ammersbek entwickelte 1972 einen dem ersten elektromotorischen Rauchabzuge der Welt. Der wesentliche Kniff war, dass wir die Mechanik elektronisiert haben. Bis dahin waren Rauchabzugsanlagen rein mechanisch, das war sehr unkomfortabel. Die elektromotorische Öffnung war der entscheidende Technologiesprung, erzählt Dirk Dingfelder, Vorstandsvorsitzender der D+H Mechatronic AG.
In einer Garage in Hamburg-Rahlstedt gründete sein Vater Henner Dingfelder mit Klaus Hadler das Unternehmen Dingfelder und Hadler, aus dem später D+H hervorging. Mithilfe des befreundeten Ingenieurs Helmut Kern, der später zum Mitinhaber wurde, entwickelten sie eine leistungsstarke Antriebslosung zunächst mit dem langlebigen Scheibenwischermotor aus dem VW Käfer. Die Nachfrage nach dem elektronischen Rauchabzug war sofort da, unsere Vater hatten viel zu tun, erinnert sich Christoph Kern, Sohn von Helmut Kern und heutiger Vertriebsvorstand bei D+H. Uber die Jahre baute das Unternehmen dann ein Partnersystem auf zunächst in Deutschland, später weltweit. Heute ist D+H Weltmarktführer für Rauchabzugssysteme, arbeitet in mehr als 50 Ländern mit festen Vertriebspartnern zusammen und betreibt in neun Ländern eigene Niederlassungen. Neben dem Innovationsvorsprung spielt die Produktqualität für den Erfolg des Stormarner Unternehmens eine zentrale Rolle. Einige Rauchabzuge der ersten Generation seien nach rund fünfzig Jahren heute noch im Einsatz, was für die hohe Qualität spreche. Wir raten dem Kunden dann doch, die Technik mal zu erneuern, sagt Kern mit leichtem Schmunzeln. Daneben ist es auch die Losungskompetenz, die zum Erfolg beitragt: Unsere Rauchabzüge basieren auf Modularität. So können wir in kurzer Zeit individuelle Lösungen schaffen, denn die Anforderungen sind in jedem Land anders“, sagt Dingfelder.

Frühes Mitgestalten von Produktnormen

Eine weitere wegweisende Produktentwicklung gelang dem Unternehmen in den 1990er-Jahren mit einem kraftvollen Kettenantrieb, der selbst schwere Fenster automatisch öffnet und eine effiziente Belüftung ermöglicht. Das Besondere damals: die neu entwickelte rückensteife Kette verschwindet elegant im Gehäuse. Heute verbindet die D+H Mechatronic AG Rauchabzug und natürliche Lüftung in intelligenten Systemlosungen. Beispiele sind die Rauchabzugslösungim Berliner Hauptbahnhof oder zuletzt die natürliche Lüftung im neuen bioklimatischen Terminal des Flughafens auf der französischen Insel Reunion. Fragt man Dirk Dingfelder nach dem Geheimnis erfolgreicher Hidden Champions wie D+H, kommt die Antwort umgehend: Das ist das ständige Vorausdenken, man muss den Markt entwickeln und Nachfrage generieren“.
Maßgeblich für den Erfolg sei daher auch das frühe Mitgestalten von Produktnormen gewesen. Da wir uns sehr intensiv mit dem Thema Normen auseinandersetzen, können wir unsere Produkte für jedes Land passgenau konfigurieren, sagt Kern. Auch das sei ein Wettbewerbsvorteil. Bei der Internationalisierung ergaben sich immer wieder landesspezifische Herausforderungen, aber oftmals entstünden gleichzeitig auch wieder neue Möglichkeiten hier seien Marktnahe und Kundenorientierung gefragt. Dass D+H auch bei den Megatrends Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung punkten kann, zeigt die jüngste Referenz in Boston. Das Center for Computing & Data Sciences wurde mit LEED Platin zertifiziert und gilt auch dank der D+H-Lüftungslösung als Bostons größtes CO2-neutrales Gebäude.
Autor: Benjamin Tietjen
Veröffentlicht: November 2024