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20 für die A 20: Andreas Sievers
Infrastruktur entscheidet über Standortqualität: Wie der mittelständische Sportartikelhersteller VICTOR zwischen Wachstumsambitionen und Infrastrukturlücken navigiert.
Von der idyllischen Landgemeinde Horst in Schleswig-Holstein aus beliefert die VICTOR Europe GmbH 42 europäische Länder mit Sportartikeln. Vom Firmensitz aus werden sogar Spendenprojekte in Afrika sowie Verbände und Sportler in Mittel- und Südamerika betreut. Was nach einer Erfolgsgeschichte klingt, steht jedoch auf wackeligen Beinen – nicht etwa wegen mangelnder Nachfrage oder Produktqualität, sondern wegen eines fundamentalen Problems, das viele Unternehmen im ländlichen Raum kennen: unzureichende Infrastruktur.
Vom Hobby zum internationalen Player
"Es ist ein Luxus, sein Hobby zum Beruf gemacht zu haben", sagt Andreas Sievers, Geschäftsführer der VICTOR Europe GmbH, mit hörbarer Begeisterung. Seine persönliche Verbindung zu Tennis und Badminton brachte ihn in die Sportartikelbranche. Vom ursprünglichen Standort in Hamburg zog das Unternehmen in den 90er Jahren zunächst nach Elmshorn und später nach Horst – vor allem wegen verfügbarer Büro- und Lagerflächen sowie der damals noch ausreichenden Anbindung an den Hamburger Hafen.
Die A20: Mehr als nur eine Straße
Wer die Karte von Norddeutschland betrachtet, sieht eine klaffende Lücke im Autobahnnetz: Die seit über 30 Jahren geplante A20, die als Ostseeautobahn bekannt ist und einmal von der polnischen Grenze bis nach Niedersachsen führen soll, existiert in Schleswig-Holstein nur auf dem Papier und in politischen Sonntagsreden.
Für die Victor GmbH wäre diese Autobahn ein Gamechanger: "Unsere Kunden aus dem Bremer Bereich müssen derzeit über Glückstadt anreisen. Mit einer direkten Autobahnverbindung würden wir häufiger besucht werden, auch von den Partnern aus NRW oder sogar den Niederlanden", erklärt Sievers. Doch es geht um weit mehr als nur Kundenbesuche.
Fachkräftemangel durch Verkehrsprobleme
Die seit Jahrzehnten fehlende A20 erschwert nicht nur den Warenverkehr, sondern auch die Personalrekrutierung. "Die A23 in Richtung Hamburg ist oft überlastet. Wenn wir aus der Region nicht mehr genügend Personal rekrutieren können, wird es schwierig, Mitarbeiter aus Hamburg oder Niedersachsen zu gewinnen", sorgt sich der Geschäftsführer.
Dabei ist das Unternehmen auf qualifizierte Fachkräfte angewiesen, um sein internationales Geschäft weiter auszubauen und in der Wachstumsspur zu bleiben. Viele Mitarbeiter stammen aus der Region – ein Vorteil, der jedoch mit zunehmendem Wachstum allein nicht mehr ausreicht.
Logistikprobleme bremsen Innovation
Die Infrastrukturprobleme beschränken sich nicht nur auf fehlende Straßen. Auch Lagerflächen werden knapp. "Wir haben das absurde Problem, dass wir trotz unseres Erfolgs bis dato keine neue Lagerhalle bauen können, weil bestimmte Flächen aufgrund der strengen Flächennutzungspläne und Bauvorschriften nicht bebaut werden dürfen", klagt Sievers. Die Folge: Innovationen und neue Produkte müssen zurückgestellt werden, weil schlicht der Platz fehlt.
Die Corona-Pandemie und geopolitische Verwerfungen haben die Situation weiter verschärft. "Die Transportdauer für Container aus Shanghai hat sich von vier Wochen auf zwei bis drei Monate erhöht", berichtet Sievers. Grund ist die Umleitung der Schiffe außerhalb des Suezkanals, was zu höheren Kosten und längeren Vorlaufzeiten in der Planung führt.
Dänemarks pragmatischer Umgang mit Bürokratie
Mit einem Hauch von Neid blickt Sievers nach Norden: "In Dänemark kann der Neubau einer Halle innerhalb von Wochen realisiert werden, während er in Deutschland undenkbar wäre." Während dort Genehmigungsverfahren oft innerhalb weniger Monate abgeschlossen sind, ziehen sich vergleichbare Prozesse in Deutschland über Jahre hin. Die deutsche Bürokratie wird im Vergleich als hinderlich empfunden – eine Erfahrung, die viele mittelständische Unternehmer teilen dürften.
Besonders frustrierend: "Wir zahlen Steuern, schaffen Arbeitsplätze und wollen weiter wachsen – genau das, was politisch gewünscht ist. Aber dann werden uns Steine in den Weg gelegt", sagt Sievers kopfschüttelnd.
Ein regionaler Wirtschaftsmotor wird ausgebremst
Die VICTOR Europe GmbH ist nicht das einzige Unternehmen, das unter den Infrastrukturlücken leidet. "Die A20 würde die gesamte Region stärken und könnte dazu beitragen, dass sich mehr Firmen im nördlichen Niedersachsen und westlichem Schleswih-Holsten ansiedeln, wo es bisher nicht so viele Unternehmen gibt", ist Sievers überzeugt.
Auch die Verkehrsentlastung wäre erheblich: Viele Pendler und Lkw, die nach Bremen müssen, nutzen derzeit die ohnehin überlastete A23, was zu täglichen Staus führt.
Zukunftsperspektive: Standorttreue unter Vorbehalt
Trotz aller Widrigkeiten blickt Sievers zunächst positiv in die Zukunft: "Es ist unsere Mission, Dinge positiv anzugehen und zu verändern." Doch er macht auch deutlich: Sollten sich die Standortbedingungen nicht verbessern, zieht die VICTOR Europe GmbH langfristig auch einen Standortwechsel in Betracht.
Für die Politik formuliert Sievers konkrete Handlungsempfehlungen:
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Mehr Flexibilität bei der Umsetzung von Unternehmensideen
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Spürbaren Bürokratieabbau und vereinfachte Verfahren
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Beschleunigte Genehmigungsprozesse
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Zügige Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur, insbesondere den Bau der A20
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Aktive Unterstützung bei der Flächenbeschaffung für expandierende Unternehmen
Fazit: Infrastruktur als Schlüssel zum Unternehmenserfolg
Die Geschichte der VICTOR Europe GmbH zeigt exemplarisch, wie sehr die Infrastruktur über die Entwicklungschancen eines Unternehmens entscheiden kann. Was nützt die beste Produktqualität, wenn die Waren nicht effizient transportiert werden können? Was helfen innovative Ideen, wenn für deren Umsetzung die räumlichen Voraussetzungen fehlen?
Die A20 ist für Unternehmen wie die VICTOR Europe GmbH mehr als nur eine weitere Autobahn – sie ist eine Lebensader für die wirtschaftliche Entwicklung einer ganzen Region. Es bleibt zu hoffen, dass die Politik diese Botschaft versteht, bevor erfolgreiche Unternehmen ihre Standorte in Schleswig-Holstein aufgeben und in Regionen mit besserer Infrastruktur abwandern.
Gesichter hinter den Zahlen: Wie die A 20 Unternehmen und Menschen bewegt
Jedes Unternehmen hat eine Geschichte. Jede Geschichte hat ein Gesicht. Hinter den Planungen, Diskussionen und Debatten rund um die A 20 stehen Menschen – Unternehmerinnen und Unternehmer, Mitarbeitende, Familien. Sie alle verbindet eine gemeinsame Herausforderung: die tägliche Realität in einer Region, die noch auf ihre vollständige Verkehrsanbindung wartet. Wir haben 20 Unternehmen entlang der geplanten A 20-Trasse besucht und zugehört. Diese Unternehmensstorys sind Teil der Initiative „A 20 – Das wird gut" von sieben norddeutschen Industrie- und Handelskammern. Unser Ziel: eine sachliche, transparente Debatte über die A 20 führen – mit allen Fakten, allen Argumenten und im offenen Dialog mit Befürwortern wie Kritikern. Mehr zur Initiative erfahren Sie hier.
Autor: Thorsten Scholz
Veröffentlicht: Juni 2025
Die folgenden Unternehmensstorys werden in den kommenden Wochen veröffentlicht. Jede erzählt eine andere Facette der A 20-Debatte – authentisch, transparent und aus dem echten Leben gegriffen.
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Thorsten Scholz