Ostsee trifft Emotionen

Im kleinen Ostseeort Stein, wo man früher zur Olympia-Vorbereitung ruderte und heute E-Bike-Touristen den Küstenweg entlangradeln, liegt ein Gastrobetrieb, der sich nicht wie ein klassisches Restaurant anfühlt – und auch keines sein will. Das Gut Salzig ist Treffpunkt, Bühne, Begegnungsraum. Und es ist das Herzensprojekt zweier Freunde, die trotz Pandemie und Lieferkrise entschieden: Jetzt erst recht.
Von außen betrachtet wirkt das Gut Salzig wie ein gemütliches, modernes Strandrestaurant: Glasfassade, Hängesessel, Holzplanken und jede Menge Pflanzen, direkt dahinter die Ostsee. Doch der Geschäftsführer Anton Ketisch und Jonas Petong haben einen Ort geschaffen, an dem sich kulinarischer Anspruch, kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft begegnen. Die Idee dazu war ebenso naheliegend wie emotional: „Wir wollten als beste Freunde ein gemeinsames Projekt zu realisieren“, erzählt Anton Ketisch, der Erfahrung aus der Gastronomie mitbringt – unter anderem aus München und der Strandbar Hippie Fisch in Heikendorf. Jonas Petong wiederum kommt aus dem Marketing und Eventbereich – und ist in Stein aufgewachsen. „Ich bin hier groß geworden“, erzählt er. „Das Gebäude war schon immer ein gastronomischer Betrieb und früher Treffpunkt für Fasching, Vereinsfeiern, Dorfgemeinschaft. Ich wollte, dass das wiederkommt – und dass wir’s besser machen.“
Ein Treffpunkt für das ganze Dorf soll es langfristig werden, für Familien, Urlauber, für Menschen, die Lust haben, sich zu begegnen. Die Wahl des Standorts war dabei kein Zufall. Stein liegt direkt an der Ostsee, umgeben von Ferienwohnungen, Campingplätzen und einer Marina. Mit dem „SlowDown Hotel“ vor Ort entwickelte sich in den letzten Jahren ein still wachsender Tourismus – vor allem durch zunehmenden Heimattourismus der Deutschen und E-Bike-Touren, die die Region auch für ältere Gäste attraktiver machen.
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„Früher war hier ein Olympia-Stützpunkt, es gab ein Freibad, Restaurants – dann war jahrelang nichts. Jetzt entwickelt sich alles langsam wieder“, erklärt Jonas Petong. Anton Ketisch ergänzt: „Wir liegen perfekt – aber wir spüren, dass nicht viele Gäste spontan kommen. Die öffentliche Verkehrsanbindung fehlt weitgehend, Besucher müssen mit dem Auto oder Fahrrad kommen.“ Trotzdem zieht es im Sommer bis zu 3.000 Gäste täglich an den Strand – ohne Burgerbude oder verlässliches Essensangebot. Eine Marktlücke, die Gut Salzig nutzt. „Wir wollen das klassische Strandessen neu interpretieren, mit Qualität, mit Idee. Und irgendwann vielleicht sogar mit Palmen“, so Anton Ketisch.
Als die beiden Freunde das Objekt übernahmen, war das Restaurant nicht in der besten Verfassung und hatte mit Sanierungsstau zu kämpfen. Kein Personal, keine Küche, kein modernes Konzept – nur die Vision, aus dem alten Treffpunkt etwas ganz Neues zu machen. Ein großer Umbau startete, doch die Hürden ließen nicht lange auf sich warten: Lieferprobleme, Fachkräftemangel, Baustopp. „Wir haben teilweise vier Monate auf einen Schaltschrank gewartet“, erinnert sich Jonas Petong. „Die Küche kam sechs Monate später als geplant.“ Doch das größte Problem war nicht das Material – es war das fehlende Team.

Teamspirit statt Lebenslauf

„Wir hatten niemanden. Keinen Personalstamm, außer einen langjährigen, leidenschaftlichen Koch, der schon beim vorherigen Inhaber tätig war. Wir haben also fast bei null angefangen“, erinnert sich Jonas Petong an die Eröffnungszeit. Neue Teammitglieder kamen und gingen, ein dauerhaft unbeständiger Personalstamm, und auch die Rekrutierung neuer Mitarbeitender gestaltete sich schwierig, da sich viele Menschen aus gastronomischen Berufen in den letzten Jahren neu orientierten. Die Inhaber merkten schnell, dass sie einen anderen Weg gehen mussten. Sie wollten Menschen mit Leidenschaft, nicht nur Erfahrung. „Viele denken, sie brauchen Profis. Aber die besten Mitarbeitenden sind oft die, die Lust haben, sich zu entwickeln“, sagt Anton Ketisch. „Leute, die was bewegen wollen. Die nicht nur einen Cappuccino nach Schema machen, sondern bereit sind zu lernen.“
Das kleine Team besteht heute aus Quereinsteigern, Studierenden, Erfahrenen – eine bunte Mischung, die getragen wird von einer gemeinsamen Haltung: Gastfreundschaft aus Überzeugung. „Hier bleiben Leute auch mal nach Feierabend, helfen noch mit, trinken was zusammen. Nicht, weil sie müssen – sondern weil sie wollen“, so Jonas Petong stolz. Die langjährige Servicekraft Carmen stimmt zu: „Es ist körperlich anstrengend – klar, wir haben auch eine sehr große Restaurantfläche zu bedienen. Aber wir haben jetzt ein Team, das zusammenhält, lacht, feiert. Das macht den Unterschied.“
Die Herausforderung bleibt: Arbeitskräfte kommen oft aus Kiel und Umgebung, nehmen teils eine Stunde Fahrt in Kauf. „Es ist nicht immer einfach, aber wenn's passt, dann heißen wir jeden in unserer kleinen Familie willkommen“, sagt Carmen.
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Events mit Seele

Ein zentrales Element von Gut Salzig ist das Konzept der Erlebnisgastronomie. Hier wird nicht nur gespeist – hier wird gefeiert, kennengelernt, geweint und getanzt. In der Hochsaison dominieren Strandhochzeiten (bis zu 250 Personen), im Winter helfen Maskenbälle, Kinderaktionen und Themenabende, den Betrieb am Laufen zu halten. „Wir wollen Erlebnisse schaffen. Menschen zusammenbringen. Das ist unsere Währung – nicht der Umsatz pro Event, sondern die Geschichten, die bleiben“, sagt Jonas Petong. Weihnachtsmärkte, Brunch mit Livemusik, Ü30-Partys, die Liste ist lang. Besonders in der Nebensaison sind Veranstaltungen essenziell, um Betrieb und Personal zu halten. „Du brauchst Kontinuität“, erklärt Anton Ketisch. „Wenn du einmal einen Wintermarkt gemacht hast, hast du Bilder, Videos, Erfahrungen. Das hilft, um beim nächsten Mal besser zu sein.“
Erste berührende Momente blieben bereits in Erinnerung: „Nach einer Maskenparty kam eine Frau zu uns, mit Tränen in den Augen – sie hatte seit Jahren wieder ihr Abendkleid getragen. Für sie war das ein besonderes Event. Das bleibt“, erzählt Jonas Petong. Trotz intensiver Vorbereitung und aller Planung sind die Veranstaltungen oft risikoreich fürs Geschäft. Anmeldungen kommen spät, Gäste erscheinen unangekündigt oder gar nicht. „Beim ersten Wintermarkt haben wir Plakate geklebt, mit 2.000 Leuten gerechnet. Gekommen sind vielleicht 200. Das war hart – aber lehrreich. Wir sagen uns mittlerweile: Wir ziehen's durch – ob 10 Leute kommen oder 100“, sagt Mitarbeiterin Carmen.
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Urlaub, auch für den Alltag

Die langfristige Vision von Gut Salzig ist klar: Ein gastronomisches Zentrum schaffen, das das ganze Jahr über funktioniert. Mit Takeaway-Angebot, Outdoor-Gastronomie, kulturellen Formaten und einem starken Team. „Ich will, dass sich der Gast fühlt wie im Urlaub. Und dass das Team das auch spürt“, beschreibt Anton Ketisch seine Motivation.
Die Leidenschaft der beiden Gründer ist ansteckend. Wer Gut Salzig besucht, merkt schnell: Hier geht es nicht nur ums Essen. Hier geht es ums Dabeisein. „Wenn das Team stimmt, wenn die Gäste sich wohlfühlen – dann sind auch 22-Tage-Schichten irgendwie okay“, sagt Jonas Petong, schmunzelt – und wirkt dennoch ernst. Denn was hier entsteht, ist weit mehr als nur ein Restaurant.
Autorin: Julia Romanowski
Veröffentlicht: Mai 2025
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Instagram: @gutsalzig, Web: www.gut-salzig.de