28. Juli 2023

Umfrage zur Bürokratiebelastung: Regionale Unternehmen stark betroffen

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Kassel-Marburg hat Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistung nach Art und Umfang bürokratischer Belastungen befragt. Zwei Drittel der 548 regionalen Unternehmen, die an der nicht repräsentativen Online-Umfrage teilgenommen haben, fühlen sich durch diese in ihrem Handeln stark oder sehr stark ausgebremst.
Die Hauptursachen für diese Belastungen liegen laut der Befragten in den Aufbewahrungs- und Dokumentationspflichten (76 Prozent), dicht gefolgt von der Datenschutzgrundverordnung (73 Prozent). Knapp zwei Drittel fühlen sich durch statistische Meldepflichten enorm eingeschränkt, fast jeder zweite Befragte bemängelt die Belastung im Zusammenhang mit der Vergabe von Fördermitteln. Ungefähr jeder Dritte verweist auf überbordende Bestimmungen zur Arbeitssicherheit und zum Brandschutz.
Infolge limitierter Ressourcen wirken sich die Vielzahl bürokratischer Vorgaben vor allem auf kleine Unternehmen aus: Inhaber müssen häufig selbst die Vorgaben abarbeiten, während große Betriebe mehrere Mitarbeitende für diese Zwecke beschäftigen. Kleinen Mittelständlern fehlt dadurch unter anderem die Zeit für die Weiterentwicklung des Unternehmens und Kundenkontakte. Deshalb appelliert die Wirtschaft seit Jahren an die Politik, Verwaltungsverfahren zu verschlanken und zu digitalisieren sowie Genehmigungen zu vereinfachen und zu standardisieren. „Zwar ist ein gesundes Maß an Regelwerken und Regularien in guter Qualität erforderlich, um Rechtssicherheit zu schaffen und Entscheidungsprozesse nachvollziehbar zu machen“, räumt IHK-Präsident Jörg Ludwig Jordan ein. „Doch der Webfehler einer überbordenden Bürokratie zieht sich durch fast alle Wirtschaftsbereiche. Der neue Deutschland-Standard für mehr Wachstum sollte sein: einfach, schnell, innovativ.“ 
Die neue hessische Landesregierung sollte möglichst schnell nach ihrer Wahl eine langfristig angelegte und ressortübergreifende Strategie auflegen, um Bürokratie abzubauen. Die einfachsten und unkompliziertesten Lösungen sollte sie dabei als Maßstab heranziehen. Um Belastungen frühzeitig zu identifizieren und mittelstandsfreundliche Regelungen zu finden, fordert IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Arnd Klein-Zirbes die Einrichtung einer Clearingstelle Mittelstand, angesiedelt beim Hessischen Industrie- und Handelskammertag (HIHK). Mögliche ungewollte negative Effekte für den Mittelstand ließen sich so vermeiden. „Eine solche Stelle sollte darüber hinaus über ein Initiativrecht verfügen, das es ihr erlaubt, sich bei allen Gesetzesvorhaben mit Relevanz für den Mittelstand in das Verfahren einzubringen“, so Dr. Arnd Klein-Zirbes.
Ein Großteil der Unternehmen in der IHK-Umfrage benennt eine fehlende oder nicht stringente Digitalisierung entsprechender Behörden als Ursache für eine hohe bürokratische Belastung. „Die Chancen der Digitalisierung müssen viel konsequenter und zügiger genutzt werden“, sagt Andreas W. Ditze, Geschäftsführer der tripuls media innovations GmbH in Marburg und stellvertretender Vorsitzender der IHK-Regionalversammlung Marburg. Als Beispiele nennt er ein dereguliertes und digitalisiertes Vergaberecht, einen serviceorientierten Umgang der Finanzämter mit Unternehmen mithilfe digitaler Angebote sowie digitalisierte, gebündelte und beschleunigte Verwaltungsverfahren, um die Rahmenbedingungen für Erwerbsmigration zu verbessern. „Die ‚deutsche Stempelkultur‘ und der Hang zur papierhaften Verarbeitung in mindestens doppelter Ausführung behindert die Anpassungsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts“, resümiert Ditze. „Ein zügiger Bürokratieabbau mithilfe durchgängiger digitaler Verfahren hingegen entlastet die Wirtschaft und setzt neue Kräfte frei. Er wirkt wie ein Konjunkturpaket, das wir als Gesellschaft jetzt dringend gebrauchen können.“
Für Anna Friedrich, Geschäftsführerin des Best Western Ambassador in Baunatal und des Best Western Hotels Kurfürst Wilhelm I. in Kassel, sind die Anforderungen beim Datenschutz ein enormes Hemmnis. „Der Meldeschein ist so ein Beispiel. Jeder Gast muss die private beziehungsweise die geschäftliche Adresse sowie den Grund der Reise angeben. Diese sehr sensiblen Daten müssen wir lagern. Jedoch sind wir nicht verpflichtet, die Richtigkeit der Daten anhand von Ausweisdokumenten zu überprüfen“, erläutert Friedrich. Das sei weder logisch noch konsequent. „Das Ausfüllen der Scheine ist für die Gäste lästig, unserem Team raubt das Entziffern der Schrift viel Zeit“, so Friedrich weiter. Bei den Meldescheinen helfe selbst die Digitalisierung nicht weiter. „Ein wenig sinnstiftender Prozess wird nicht besser, wenn man ihn digitalisiert. Daher gehört solch unnötige Bürokratie komplett abgeschafft“, fordert die Hotelchefin. Über ein Drittel der befragten Unternehmen melden jährliche Kosten von über 10.000 Euro.  
Hintergrund
Die Umfrage zur bürokratischen Belastung wurde zwischen April und Mai 2023 branchenübergreifend per E-Mail an circa 16.000 Betriebe aus dem Bezirk der IHK Kassel-Marburg versandt. Die Beantwortung der Umfrage erfolgte anonym über ein Online-Formular. An der Umfrage beteiligten sich insgesamt 548 Betriebe.
Ansprechpartner: Daniel Hankel, Referent Infrastruktur | Mittelstand, Tel. 0561 7891-285, Mail: hankel@kassel.ihk.de