Wesentlichkeitsanalyse – Damit das Alles nicht zu viel wird – Teil 1

Eine effektive Nachhaltigkeitsstrategie ist unverzichtbar für Unternehmen, die auf lange Sicht erfolgreich sein möchten. Eine wesentliche Grundlage hierfür bildet die Wesentlichkeitsanalyse, welche die Priorisierung der wichtigsten Nachhaltigkeitsthemen ermöglicht. In diesem Artikel zeigen wir auf, wie eine Wesentlichkeitsanalyse durchgeführt werden kann und welchen Nutzen sie für Unternehmen und ihre Stakeholder bringt.
In den letzten zwei Ausgaben haben wir die Fragen geklärt:
  • Wann anfangen? → JETZT
  • Womit? → Möglichst einfach und dabei die Mitarbeitenden einbinden.

Doch was bedeutet nachhaltige Unternehmensführung?

Nachhaltiges Wirtschaften umfasst alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit: Ökonomie, Ökologie und soziale Aspekte. Das bedeutet, dass nachhaltige Unternehmen in ihrem täglichen Geschäft so wirtschaften müssen, dass sie ökonomisch erfolgreich sind, und dabei Umweltaspekt sowie soziale Aspekte berücksichtigen. Erfolgreich nachhaltige Unternehmen sind die, die ihr Geschäftsmodell so (um)gestalten, dass das Unternehmen auch unter sich ändernden Bedingungen langfristig erfolgreich ist.
Die Themenvielfalt im Bereich Nachhaltigkeit lässt sich gut an den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen (UN) erkennen. Die Länder dieser Welt haben sich im Jahr 2015 darauf geeinigt, bis zum Jahr 2030 folgende 17 Ziele (mit dazugehörigen 169 Unterzielen) zu erreichen:
Diese 17 Themenfelder decken die möglichen Nachhaltigkeitsaspekte ab, die ein nachhaltigeres Unternehmen für die weiteren Analysen berücksichtigen sollte.
Natürlich können und sollten schnell und einfach umsetzbare Ideen weiterhin umgesetzt werden (siehe unseren vorherigen Artikel). Aber um dauerhaft nachhaltig zu wirtschaften, muss ein Unternehmen auch die „großen“ und komplizierten Aufgaben angehen, und dabei zuerst die Themen mit der größten Relevanz!
Um die (knappen) verfügbaren Ressourcen für die wichtigen Themen zu nutzen, ist zu Beginn eine Wesentlichkeitsanalyse unter Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus der Produkte, Dienstleistungen und aller weiteren unternehmerischen Tätigkeiten (beispielsweise Verwaltung et cetera) notwendig. Das beginnt bei der Rohstoffgewinnung, streckt sich über die gesamte Lieferkette und die eigene Produktion, den Betrieb und die Instandhaltung bis zur Entsorgung der Produkte. Aufgrund der unüberschaubaren Vielfalt an Themen kann durch eine Wesentlichkeitsanalyse sichergestellt werden, dass die geplanten und umgesetzten Maßnahmen des Unternehmens die wirklich relevanten Bereiche umfassen – also die mit der größten Hebelwirkung.
Immer häufiger wird vom Gesetzgeber oder bei Nachhaltigkeitsberichten eine Betrachtung der „Doppelten Wesentlichkeit“ gefordert. Damit sind zwei Dimensionen gemeint:

Wie aber konkret vorgehen?

1. In einem ersten Schritt sollte die Verantwortlichkeit für das Thema Nachhaltigkeit klar benannt werden (zum Beispiel in Person des/der Nachhaltigkeitsmanager:in). Diese Person wird der „Kümmerer“, behält den Überblick und organisiert das weitere Vorgehen. Sie ist nicht für die Umsetzung aller Aufgaben verantwortlich, sondern muss anderen Personen die praktische Verantwortung übertragen und die Durchführung erwirken. (Ähnlich zu den Aufgaben eines Managementbeauftragten für die ISO 9001, ISO 140001 oder ISO 50001, der in vielen Unternehmen bereits etabliert ist.) Im Idealfall kennt die/der Nachhaltigkeitsmanager:in bereits das Unternehmen, ist intern gut vernetzt und hat eine intrinsische Motivation für Nachhaltigkeit.
2. Dann erfolgt ein Brainstorming der/des Nachhaltigkeitsmanager:in mit allen Abteilungen (zum Beispiel: Personal, Einkauf/Beschaffung, technische Abteilungen, Verkauf/Kundenservice, Geschäftsführung, Rechtsabteilung, …), um ein Bild der Themenvielfalt zu erhalten. Dabei stehen zunächst folgende Fragen im Fokus:
  • Wer sind unsere wichtigsten Stake­holder/Anspruchsgruppen?
  • Was fordern oder erwarten unsere Stakeholder von uns?
  • Welche Themen sind schon bekannt? Was kommt zukünftig an neuen (gesetzlichen) Anforderungen dazu?
  • Welche gesellschaftlichen Anforderungen haben sich in den letzten Jahren neu ergeben?
  • Gibt es technische Entwicklungen, von denen wir profitieren können?
  • Welche Auswirkungen können sich kurz-, lang- oder mittelfristig durch den Klimawandel ergeben?
  • Wie sind unsere Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschen in der direkten Umgebung?
Dabei kann es sich zunächst um kurze Gespräche handeln, bei denen alle möglichen Themen gesammelt und in einer Sammlung (wie zum Beispiel Liste, Datenbank, Cluster) festgehalten werden.
Diese Liste wird zu Beginn sicherlich unvollständig und vielleicht auch etwas unübersichtlich sein. Das ist aber auch nicht bedeutsam. Die wichtigsten Anforderungen sind in der Regel im Unternehmen bereits bekannt und werden so zunächst erfasst und dokumentiert. Darum geht es, „Mut zur Lücke“ ist in diesem Schritt durchaus gewollt.
Stakeholderanalyse
Im Verlauf der Gespräche mit den verschiedenen Abteilungen sollten immer die Fragen gestellt werden:
•  Welche Stakeholder haben wir? (Zum Beispiel Geschäftsführung, Führungskräfte, Mitarbeitende in den verschie­denen Abteilungen, Betriebsrat, Kunden, Gesetzgeber, NGOs, Behörden, Nachbarn, Verbände, Investoren, Fremdkapitalgeber, …)
•  Welche Bedeutung haben diese jeweils (Einfluss, Interessenlage, Unterstützungsangebot et cetera)? Wer sind unsere bedeutsamsten/wichtigsten Stakeholder?
•  Welche Anforderungen/Erwartungen haben diese Stakeholder an das Unternehmen? (Zum Beispiel Geschäftsführung → Erreichung von Unternehmenszielen, Investoren → Rendite, Mitarbeitende → sicherer und attraktiver Arbeitsplatz)
3. Die daraus gesammelten Themen sollten so gewichtet werden, dass deutlich wird, was für das Unternehmen, die Stakeholder oder mit Bezug auf das Umfeld die höchste Bedeutung beziehungsweise Relevanz und damit Auswirkung hat. Eine weitere Möglichkeit stellt die Clusterung dar, um aufzuzeigen, welche Maßnahmen gleich mehrere Nachhaltigkeitsaspekte abdecken würden. Diese zusätzliche Betrachtung vom Ende her lohnt sich, um schnell Entscheidungen zu treffen. Das sind die WESENTLICHEN Themen, welche zuerst bearbeitet werden sollten. Die Gewichtung erfolgt zu Beginn oftmals nach „Bauchgefühl“, erst in weiteren Schritten sollten vergleichbare Kriterien entwickelt werden.
Als Ergebnis der Gewichtung kann beispielsweise eine Liste entstehen, bei der die relevanten Themen höher gewichtet werden als andere.
Damit erhalten Sie einen Überblick über mögliche Themen mit einer ersten Gewichtung, womit feststeht, welche Bereiche des Unternehmens zukünftig besonders im Fokus stehen sollten.
Die Darstellung kann auch in einer Wesentlichkeitsmatrix erfolgen, doch dazu mehr in unserer nächsten Ausgabe.
Initiiert von:
Dr. Julia Norden, AGIMUS GmbH Umweltgutachterorganisation & Beratungsgesellschaft;
Sabine Sternberg, Jenko Sternberg Design GmbH und Anna-Careen Urban, pionira GmbH