Infrastrukturprojekte der Region im Rückblick: Ausbau der Weddeler Schleife

„Ein Meilenstein für die Schiene im Land.“ Mit diesen deutlichen Worten eröffnete Niedersachsens Minister für Wirtschaft, Bauen, Verkehr und Digitalisierung Olaf Lies im vergangenen März die Festivitäten zum zweigleisigen Ausbau der Weddeler Schleife. Grund zum Feiern gab es immerhin genug, denn mit der doppelgleisigen Trassierung konnte das Nadelöhr im Schienenverkehr zwischen Weddel und Fallersleben-Sülfeld endlich geschlossen werden. Der Weg dorthin war jedoch äußerst steinig: Über 25 Jahre mussten bis zum Ende der Eingleisigkeit vergehen. Wer nun davon ausgeht, dass diese Zeit lediglich für die Planung und den Ausbau in Anspruch genommen wurde, irrt, denn das Planfeststellungsverfahren zum Gesamtausbau lag bereits 1996 vor – damit sogar weit vor der Einweihung des ersten Bauabschnitts im September 1998. Zur großen Ernüchterung musste dann festgestellt werden, dass ein Gleis selbst für damalige Verhältnisse nicht ausreichen würde. Wie konnte die offenkundige Dringlichkeit vor allem aus wirtschaftlichen und infrastrukturtechnischen Gesichtspunkten derart falsch eingeschätzt werden? Und weshalb musste das Projekt ein Vierteljahrhundert auf seine Fertigstellung warten? Ein Rückblick.
Die Erweiterung der 20,505 Kilometer langen Bestandsstrecke hat mehrere positive Effekte für die Wirtschaft in der Region. Sie ermöglicht eine deutliche Ausweitung des Regionalverkehrs zwischen Braunschweig und Wolfsburg und schafft darüber hinaus enorme Kapazitäten für den Güterverkehr. Im Fernverkehr entlastet sie zudem die hoch frequentierte Verbindung Berlin-Hannover/Frankfurt und erlaubt eine Streckengeschwindigkeit von bis zu 160 km/h. Trotz großer Freude über die Fertigstellung unterstreicht der Verlauf bis zum Abschluss des Projekts, dass die Geschwindigkeit derartiger Infrastrukturvorhaben inakzeptabel ist.
Die Vergangenheit hat häufig genug bewiesen, dass die Lobby für die Schiene auf äußerst wackeligen Beinen steht. Diesen Umstand gilt es umzukehren.

Adalbert Wandt


„Nur ein Gleis zu bauen entpuppte sich früh als großer Fehler. Alle wussten es, alle haben davor gewarnt. Man wurde am Ende jedoch nicht erhört“, erzählt Adalbert Wandt, ehemaliger Geschäftsführer der Wandt Spedition, damals Vizepräsident und langjähriges Mitglied der Vollversammlung sowie des Verkehrsausschusses der IHK Braunschweig.

Knapper Bundeshaushalt verhindert vollumfänglichen Ausbau

Um die Weddeler Schleife pünktlich zur geplanten Eröffnung der Schnellfahrtstrecke Hannover-­Berlin im Jahr 1998 fertigzustellen, suchte man nach Einsparmöglichkeiten, um den ohnehin angespannten Bundeshaushalt nicht zusätzlich zu belasten. Eine Wirtschaftlichkeitsanalyse der Deutschen Bahn ergab, dass ein vorläufiger eingleisiger Ausbau die ursprünglich veranschlagten Kosten von 300 bis 350 Millionen D-Mark um 50 bis 100 Millionen reduzieren könnte.
Die eingleisige Variante stellte sich nach Fertigstellung jedoch als Engpass für Linien zwischen Frankfurt und Berlin im Schienenpersonenfernverkehr heraus. Auf der alternativen Route über Erfurt existierten zudem keine zweigleisigen Abschnitte, um Züge im Notfall umleiten zu können. Darüber hinaus manifestierte sich der eingleisige Ausbau auch für den Bedarf im Schienenpersonennahverkehr und Schienengüterverkehr als unzureichend – ein Desaster mit Ansage. „Man begann damit, sich mit dem halbgaren Ausbau zu arrangieren, bis Volkswagen einige Jahre später über Kapazitätsengpässe klagte“, erinnert sich Wandt und ergänzt: „Seit 1998 erwarteten die Betriebe aus der Region den Umbau. Das zweite Gleis werde bald kommen, hieß es damals schon aus dem Verkehrsministerium, aber die Anrainer mussten häufig vertröstet werden.“ Vorausschauend wurde immerhin geplant: Der Bahnkörper sowie die meisten Brückenbauwerke der Schleife wurden direkt für eine zweigleisige Trasse ausgelegt. Auch bei den Lärmschutzmaßnahmen berücksichtigte man die Option einer späteren Erweiterung.

Kommunen, Kammern und Konzerne schmieden Pakt

In einer gemeinsamen Erklärung im Frühling 2013 forderten die Oberbürgermeister der Städte Braunschweig, Hildesheim, Salzgitter und Wolfsburg, die Landräte der Kreise Peine, Gifhorn, Wolfenbüttel, Helmstedt und Goslar, der Regionalverband Großraum Braunschweig, die Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammern Braunschweig und Lüneburg-Wolfsburg, der Vorsitzende des VW-Konzernbetriebsrates, die Geschäftsführung der Volkswagen Logistics GmbH, die Allianz für die Region GmbH und der niedersächsische Wirtschaftsminister das Bundesverkehrsministerium dazu auf, den zweigleisigen Ausbau im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans 2015–2030 zu priorisieren.
2016 brachte die Vollversammlung sowie das Präsidium der IHK Braunschweig mit Unterstützung des damaligen Braunschweiger Oberbürgermeisters Ulrich Markurth eine Resolution auf den Weg, die auf direktem Wege dem damaligen Verkehrsminister Alexander Dobrindt überbracht wurde. Darin wurde unmissverständlich auf die Notwendigkeit des zweigleisigen Ausbaus hingewiesen. „Durch meine Position als Präsident des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) konnten wir einen direkten Kontakt zu den Ministerien herstellen und das Schreiben der IHK an den richtigen Stellen in Umlauf bringen“, so Adalbert Wandt.
Nur ein Gleis zu bauen entpuppte sich früh als großer Fehler.

Adalbert Wandt

Diese gemeinschaftliche Anstrengung brachte tatsächlich den Stein ins Rollen. Mit Nachdruck wurde das Projekt über Jahre ins kollektive Bewusstsein regionaler und nationaler Akteure berufen und die Dringlichkeit einer Erweiterung anhand von Wirtschaftlichkeitsanalysen zementiert. Eine nachträgliche Überprüfung der DB Netz AG ergab im Herbst 2017 nicht überraschend, dass die ursprünglichen Planfeststellungsbeschlüsse weiterhin Gültigkeit haben.

Planungen nehmen Fahrt auf

„Spätestens 2020 soll alles fertig sein“, beteuerte Enak Ferlemann, damals Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, bereits Anfang 2016 die Bemühungen des zweigleisigen Ausbaus. Dass am Ende alles viel länger dauern würde, hätten selbst Pessimisten in Abrede gestellt. Im November 2017 wurden im Zuge der Überarbeitung der ursprünglichen Planungsunterlagen Vermessungs- und Kartierungsarbeiten aufgenommen. Bis Mitte 2019 gelang es, sämtliche bisher nur für den eingleisigen Betrieb konzipierten Anlagen für eine zweigleisige Nutzung neu zu planen, besonders im Fokus standen dabei Brücken sowie die Leit-, Sicherungs- und Oberleitungstechnik. Anfang 2020 wurde der Ausbau der Weddeler Schleife zudem im ersten Potenzialkonzept zum Deutschlandtakt festgehalten. Dass die Bagger erst ab 2021 anrollen durften, war zunächst der unklaren Finanzierungsplanung geschuldet.
Im Mai 2021 dann der Durchbruch: Die finanziellen Mittel konnten in einem Vertrag zwischen der Deutschen Bahn, dem Land Niedersachsen und dem Regionalverband Großraum Braunschweig gesichert werden. Die kalkulierten Gesamtkosten lagen bei 150 Millionen Euro. Die schlechte Nachricht: Das Projekt würde erst 2024, bestenfalls Ende 2023 fertiggestellt.

Möglicher Finanzierungsstopp erhitzt Gemüter

Im Sommer 2022 stand der Ausbau der Weddeler Schleife plötzlich auf der Kippe: Das Bundesministerium der Finanzen und das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) zogen in Erwägung, die für 2023 vorgesehenen 73 Millionen Euro nicht freizugeben. Das BMDV rechtfertigte die Zurückhaltung wider Erwarten mit großen Zweifeln an der Wirtschaftlichkeit des geplanten zweiten Gleises für den Fern- und Güterverkehr – ein Schock für die Region. „Der drohende Finanzierungsstopp schlug ein wie eine Bombe“, erinnert sich Adalbert Wandt. „Der Widerstand zahlreicher regionaler Stakeholder konnte den infrastrukturtechnischen Super-GAU zum Glück abwenden.“ Die fehlenden Mittel wurden nach teils heftigen Debatten schließlich im Dezember 2022 freigegeben. „Die Finanzierungsproblematik darf, unter Einbeziehung weiterer politischer Unzulänglichkeiten, als einer der Hauptgründe für die Verzögerung des Ausbaus erachtet werden“, betont Wandt. So sei auch fehlender politischer Wille und eine mangelnde Bereitschaft zur Ertüchtigung des Schienennetzes, insbesondere im Norden, ursächlich für das politische Hin und Her. Die Braunschweiger Zeitung fällte ein ähnliches Urteil, als sie die Querelen als „Musterbeispiel deutscher Bräsigkeit“ bezeichnete.

„Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Region“

Bei der Eröffnungsfeier der Weddeler Schleife in Lehre am 25. März 2024 merkte man sämtlichen Beteiligten die Erleichterung an. Auch Olaf Lies, der sich in der Vergangenheit häufig für den Ausbau aussprach und diesen politisch vorantrieb, wirkte fast schon erlöst: „Besonders im Kontext der starken Verflechtung mit der Automobilindustrie, insbesondere Volkswagen, ist eine effiziente Schieneninfrastruktur entscheidend: Der Ausbau der Weddeler Schleife verbessert die Anbindung wichtiger Produktionsstandorte und Logistikzentren, was zu einer reibungsloseren Versorgung und einem effizienteren Warentransport führt. Dies trägt maßgeblich zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Region bei und festigt die Position Niedersachsens als Wirtschaftsstandort.“ Auch der Nahverkehr kann durch die Einführung eines Halbstundentakts aufatmen und seine Kapazitäten vollumfänglich ausschöpfen. Zuvor mussten während der Vollsperrung Tausende von Pendler mit Bussen im Schienenersatzverkehr auskommen.
Welche Lehren können nun aus der ganzen Posse gezogen werden? Adalbert Wandt identifiziert den bisherigen Umgang mit Infrastrukturprojekten als mutlos und zaudernd, besonders die Schiene ist betroffen: „Wenn die Verkehrswende gelingen soll, auch mit besonderem Augenmerk auf den multimodalen Verkehr, dann muss in diesem Land einfach mehr getan werden. Die Vergangenheit hat häufig genug bewiesen, dass die Lobby für die Schiene auf äußerst wackeligen Beinen steht. Diesen Umstand gilt es umzukehren.“
jk
1/2025