Fachkräftemangel

Der Mangel ist riesig und wird noch wachsen

Silke Lange ist Juniorprofessorin für Berufs- und Wirtschaftspädagogik an der Universität Osnabrück. Im WIR-Interview spricht sie über die Krisenlage an den Berufsschulen in Mecklenburg-Vorpommern. 
Silke Lang
Silke Lang hat lange als als Berufsschullehrerin an der Beruflichen Schule Alexander Schmorell in Rostock gearbeitet.
Was macht den Beruf des Berufsschullehrers spannend und attraktiv?
Das Lehramt an berufsbildenden Schulen (BbS) ist das wohl vielfältigste Lehramt in Deutschland. Vielfalt – das gilt für die Bildungsgänge, in denen die Lehrkräfte unterrichten, die Schüler, mit denen sie arbeiten, die Inhalte, die sie unterrichten und letztlich auch für die Kollegen, mit denen sie zusammenarbeiten. Darüber hinaus ist vor allem die soziale Verantwortung ein starkes Motiv, sich für ein Lehramtsstudium zu entscheiden. 
Warum können wir nicht ausreichend  Lehrkräfte für diesen Beruf gewinnen? Wie groß ist der Mangel?
Der Mangel ist riesig und wird noch wachsen. Der Weg in den Schuldienst ist lang. Und für Menschen, die bereits eine Ausbildung absolviert haben, ist es nicht immer attraktiv, die alimentierte Berufstätigkeit gegen ein Studium einzutauschen, das mit hohen Unsicherheiten und Kosten verbunden ist. Darüber hinaus ist der Beruf des Berufsschullehrers vergleichsweise unbekannt. Während wir Lehrer an allgemeinbildenden Schulen alle kennen, schließlich wurden wir von ihnen unterrichtet, trifft das auf Berufsschullehrer nicht für alle jungen Menschen zu. 
Was macht Mecklenburg-Vorpommern gut und was kann das Land bei der Gewinnung von Berufsschullehrkräften besser machen?
MV hat umfangreiche Imagekampagnen, mit denen für das Lehramt an BbS geworben wird. Diese sorgen auch über MV hinaus für Aufmerksamkeit. Trotzdem gelingt es nicht, die ausgeschriebenen Stellen adäquat zu besetzen. Wir haben eine Studie zum Lehrkräftearbeitsmarkt an BbS durchgeführt und mussten feststellen, dass die Erfolgsquoten der Stellenausschreibungen in keinem beobachteten Bundesland so schlecht waren, wie in MV. 
Ein wichtiger Faktor für die Besetzung von Stellen ist die Ausbildung des entsprechenden Nachwuchses. Leider gibt es hierzu viel zu wenige Verlaufsdaten. Wir wissen kaum etwas über erfolgreiche Studienverläufe, was dann im Übergang in den Vorbereitungsdienst und schließlich im Übergang in den Schuldienst zahlenmäßig passiert, ist völlig unbekannt.
Was muss bei der Gestaltung von Studiengängen geschehen?
Die Studierenden im beruflichen Lehramt sind vielfältiger als in anderen Studiengängen. Darauf müssen Studiengangskonzeptionen Rücksicht nehmen. Teilzeitstudienangebote und berufsbegleitende Angebote sprechen Personen an, die bereits private Verpflichtungen haben. Aber auch das regionale Angebot spielt eine Rolle. Wenn ich privat eingebunden bin, ist meine Bereitschaft geringer, zum Studium in eine andere Stadt zu ziehen. 
Was muss man tun, damit der Seiteneinstieg ins Berufsschullehreramt für Berufspraktiker attraktiv ist?
Der Lehrkräftemangel an BbS ist nicht neu, der Seiteneinstieg auch nicht. Ich würde sagen, er ist mittlerweile ein regulärer Zugang zum beruflichen Schuldienst. Dennoch ist über den Seiteneinstieg und insbesondere den Verbleib der Seiteneinsteiger wenig bekannt. Es gibt ein paar Studien, diese basieren aber überwiegend auf Interviews und sind nicht repräsentativ. Diese Studien zeigen, dass Unterstützung und Qualifizierung wichtige Bausteine sind, um die Seiteneinsteiger im Schuldienst zu halten. 
Aus unserer Sicht muss man schon in der Berufs- und Studienorientierung in der Schule ansetzen, um Berufsschullehrer zu gewinnen. Welche Anknüpfungspunkte sehen Sie da?
Natürlich gehört auch für mich eine vernünftige Berufs- und Studienorientierung in die Schule, und zwar in alle Schulen von der Hauptschule bis ins Gymnasium. Klar muss da differenziert werden, aber Hauptschule heißt heute nicht mehr, dass jemand nicht studieren kann. Und andersrum heißt Gymnasium nicht, dass man studieren muss. 
Für mich wäre zudem wichtig, dass die Berufs- und Studienorientierung von Personen übernommen wird, die über Erfahrungen aus beiden Bereichen verfügen. Die Lehrkräfte an den allgemeinbildenden Schulen haben i. d. R. keine Erfahrungen im berufsbildenden Bereich und wissen wenig über die Möglichkeiten, aus der Berufsbildung heraus zu studieren. 
Welche Chancen bietet die Digitalisierung, den Berufsschullehrermangel abzufedern?
Ich glaube nicht, dass die Digitalisierung die Berufsschule in irgendeiner Form ersetzen kann. Das hat uns auch Corona klar gezeigt. Die Schüler sind auch gar nicht darauf vorbereitet, selbstorganisiert und digital zu lernen. Das wird sich kurzfristig auch nicht ändern.
Potential sehe ich aber darin, die Lehrkräfte in der Unterrichtsvorbereitung zu entlasten und somit Lehrerstunden für den Unterricht zu gewinnen. Die Digitalisierung bietet hierfür viele Möglichkeiten. Würde jede Lehrkraft nur eine Stunde mehr unterrichten, wären das in MV gemessen an den Lehrkräften im Schuljahr 2018/19 insgesamt 1.508 Unterrichtsstunden wöchentlich mehr. Nicht die Lösung, aber ein Anfang.