April 2024 | Schwerpunkt Europawahl

»Unternehmen schätzen den EU-Binnenmarkt«

IHK-Referent Tobias Klein, verantwortlich für Europathemen und die Koordination des Enterprise Europe Networks M-V, spricht im Interview über die Potenziale internationaler Geschäfte für regionale Unternehmen.
WIR-Redaktion: Herr Klein, das Enterprise Europe Network Mecklenburg-Vorpommern berät Unternehmen rund um die Themen Innovation und Internationalisierung. Wie hoch ist das Bestreben der Unternehmen aus MV, sich international aufzustellen? 
Tobias Klein: Die Außenhandelsstatistik spiegelt die messbaren Daten am besten wider. Gefühlt ist das Interesse der Unternehmen aus MV am internationalen Geschäft nach der schwierigen Coronazeit sehr groß. Mit Blick auf die reinen Zahlen der Außenhandelsstatistik haben wir als Land in den letzten Jahren neue Export- und Importrekorde erzielt. Ganz konkret merken wir großes Interesse bei internationalen Veranstaltungen, wie etwa beim kommenden Baltic Sea Business Day am 18. April in Rostock. Hier ist der Anmeldestand sehr groß.
Auch bei der Organisation von Unternehmensreisen zur Anbahnung neuer Geschäfts- und Kooperationskontakte verzeichnen wir in den letzten Jahren großes Interesse. Die IHK zu Rostock und das Enterprise Europe Network führen pro Jahr mehre Unternehmensreisen durch. Hier ist ein deutlich gestiegenes Interesse zu spüren. 
Welche Fragen bewegen die regionale Wirtschaft in Sachen Internationalisierung besonders?
Von übergeordnetem Interesse sind die großen medialen Themen und ihre Auswirkungen auf die regionale Wirtschaft – sei es der Krieg Russlands gegen die Ukraine, die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten, die anstehende Präsidentschaftswahl in den USA oder der schwelende China-Taiwan Konflikt. Die international agierenden Unternehmen aus der Region verfolgen die politischen Weltgeschehnisse und ziehen daraus Schlussfolgerungen für ihr Handeln, vor allem hinsichtlich der Sicherung von Lieferketten und Absatzmärkten. Das Ziel ist es, sich möglichst breit und diversifiziert zu positionieren.
Wenn es zum realen internationalen Geschäft kommt, dann besitzt der Europäische Binnenmarkt vor allem bei den KMU eine deutliche Präferenz.
Hier werden vor allem die Einfachheit und Sicherheit der Geschäftsmöglichkeiten sehr geschätzt. Internationalisierung ist aber nicht nur ein Thema für Unternehmen mit internationalem Geschäft, sondern auch allgemein bei der Gewinnung internationaler Arbeitskräfte von Relevanz, wie etwa im Bereich der Pflege oder im Gesundheitssektor beim medizinischen Personal. Der bestehende Fachkräftemangel in vielen Branchen erfordert es, auch hier international zu denken und nach länderübergreifenden Lösungsansätzen zu schauen.  
Gibt es Branchen, die sich beim Ausbau internationaler Geschäftsbeziehungen besonders hervortun?
Es gibt Branchen, die in ihren geschäftlichen Aktivitäten per se international ausgerichtet sind, etwa die Maritime Industrie, die Medizinproduktehersteller oder die Logistiker. Auch das produzierende Gewerbe besitzt ab einer gewissen Größe hohes Interesse an internationalen Zulieferern. In MV ist zudem die Ernährungswirtschaft international gut vertreten. Darüber hinaus gibt es einzelne Unternehmen, die in ihrer Branche so groß sind, dass der nationale Markt zu klein ist, wie zum Beispiel Nordex aus Rostock, der Chemiekonzern Yara mit seinem Düngemittelwerk in Poppendorf oder die Mecklenburger Metallguss GmbH in Waren.      
In welchen Ländern sind die regionalen Unternehmen besonders aktiv?
Für die Unternehmen aus MV spielt traditionell der Ostseeraum eine übergeordnete Rolle. Hier sind die geografische und kulturelle Nähe sowie das historische Verständnis voneinander sehr hilfreich. In der vorläufigen Handelsstatistik für 2023 sind unter den Top 10 Ländern beim Handelsvolumen vier aus dem Ostseeraum: Dänemark, Finnland, Schweden und Polen.
Seit dem EU-Beitritt Polens vor 20 Jahren hat sich unser Nachbarland zum wichtigsten Handelspartner für MV entwickelt. Darüber hinaus hat der Export in die USA im letzten Jahr um beachtliche 45 Prozent zugenommen. Die USA sind damit zum wichtigsten Exportland für MV geworden. Die Volksrepublik China hat aufgrund ihrer wirtschaftlichen Krise sowohl bei der Ein- als auch bei der Ausfuhr an Bedeutung verloren und landet mit einem Gesamthandelsvolumen von 885 Millionen Euro nur noch auf Platz 6 der Statistik. 
Generell lässt sich sagen, dass Europa, abgesehen von den USA und China, und hier vor allem die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die wichtigsten Länder für die Unternehmen aus MV sind. Wesentliche Vorteile ergeben sich durch die einheitlichen Regeln des Europäischen Binnenmarktes.
Welche Länder könnten in Zukunft noch größeres Potenzial entwickeln?
Frankreich mit über 65 Millionen Einwohnern besitzt einen sehr großen Markt, dem die Unternehmen aus Mecklenburg-Vorpommern oft nur wenig Beachtung schenken. Hier wird sicher in Zukunft noch sehr großes Potenzial liegen. Auf dem Weltmarkt wird Indien als das bevölkerungsreichste Land der Erde an Bedeutung für den Handel gewinnen. Indien besitzt eine sehr junge und oft auch gut ausgebildete Bevölkerung, die größtenteils gut Englisch spricht. Zudem werden langfristig einzelne afrikanische Länder eine größere Rolle spielen. Hier wird die politische Stabilität in den Ländern von entscheidender Bedeutung sein.