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Deutsch-Chinesische Handelsbeziehungen – Partnerschaft oder Systemrivalität?
Die Erfahrungen aus dem vor dem 24. Februar letzten Jahres größtenteils unterschätzten Russland-Ukraine-Konflikt zeigen deutlich, dass politische Drohungen und Willensäußerungen autokratischer Machthaber zukünftig noch ernster genommen werden müssen. Das Handel die Welt befriedet, scheint sich als überholte Strategie im Umgang mit autokratischen Regimen herausgestellt zu haben. Was das für die Zusammenarbeit mit China bedeutet und wie Deutschland damit umgehen wird, diskutiert aktuell auch unsere Bundesregierung.
© lightboxx/123rf.com
Seit dem Krieg in der Ukraine wird vermehrt die Frage aufgeworfen, wie man zukünftig umgehen will mit Autokratien und unseren Abhängigkeiten dorthin. Da die aktuelle Regierung durchaus chinakritisch eingestellt ist und die aktuellen Entwicklungen in der Volksrepublik Grund zur Besorgnis geben, scheint eine deutsche China-Strategie mehr als notwendig. Denn, wie bewertet die Regierung die Entwicklungen in China und was lässt sich für Unternehmen daraus ableiten? Wie kann die Zusammenarbeit mit solchen Systemen/Ländern zukunftssicher gestaltet werden und welche Chancen als auch Risiken verbergen sich hinter dieser Zusammenarbeit?
Bereits am 21.11.2022 veröffentlichte die Bundesregierung als Antwort auf eine kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zum aktuellen Stand der China-Strategie, dass die Verringerung „übermäßiger wirtschaftlicher Abhängigkeiten“ in der Strategie eine maßgebliche Rolle spielen werde. Wie auch in der EU-China-Politik werde man einen mehrdimensionalen Ansatz verfolgen: „sowohl unter Berücksichtigung unseres anhaltenden Interesses an Zusammenarbeit mit China als auch angesichts der Herausforderungen der zunehmenden weltweiten systemischen Rivalität mit China“. Begriffe wie „Partnerschaft“ und „Systemrivalität“ sind grundsätzlich eher widersprüchlich, rücken mit dieser Antwort im Kontext globaler Handelsbeziehungen jedoch zukünftig wieder verstärkt in den Fokus. Die Veröffentlichung der Strategie ist für das erste Quartal 2023 angekündigt.
Hintergrund/Was ist passiert?
Seit dem Amtsantritt Xi Jinpings als chinesischem Staatspräsidenten im Jahr 2013 ist das Handeln Chinas innen- als auch außenpolitisch stetig ideologischer geworden. Es werden Jinping Ziele nachgesagt, wie die Ideologie, dass „alles unter dem Himmel“ von China kontrolliert werden solle. Auch eine stärkere digitale Überwachung der Bevölkerung, repressives Vorgehen gegen Minderheiten wie die Uiguren, die Niederschlagung der Demokratie in Hongkong sowie eine für die aktuelle Amtszeit als zentrales Ziel angekündigte, nötigenfalls militärische Annexion Taiwans sind Ziele, die er zweifelsohne verfolgt. Die Kombination dieser Vorhaben mit Aussagen wie „keine Lieferkette ohne China“ zeigen, dass die Volksrepublik spürbar danach strebt, wirtschaftlich als auch geopolitisch zur Großmacht aufzusteigen.
Eine aktuelle Geschäftsklimaumfrage der AHK Greater China ergab, dass diese Entwicklungen bereits Einfluss nehmen und das Vertrauen in den chinesischen Markt einen historischen Tiefstand erreicht hat. Bereits 49 Prozent der befragten in China agierenden deutschen Unternehmen finden, dass China im Vergleich zu anderen Märkten an Attraktivität verloren hat. Nur 51 Prozent von ihnen beabsichtigen, Investitionen in China in den nächsten zwei Jahren auszubauen, verglichen mit 71 Prozent im letzten Jahr.
Als größte Herausforderungen wurden Chinas Null-COVID-Politik und geopolitische Spannungen genannt. Aber auch regulatorische Hürden bleiben bestehen: Für Unternehmen sind aktuell die bestehende Rechtsunsicherheit (33 Prozent), Internetzugangs-Restriktionen (31 Prozent) sowie Cyber- und Datenschutzvorschriften (26 Prozent) die größten regulatorischen Herausforderungen. Initiativen wie „Made in China 2025“ und das Streben des Landes nach mehr Eigenständigkeit verschaffen lokalen Wettbewerbern einen Vorsprung. Die Reaktion der Unternehmen auf die frühere Null-COVID-Politik und die zunehmenden geopolitischen Spannungen besteht laut eigenen Aussagen in einer verstärkten Diversifizierung außerhalb Chinas und einer intensiveren Lokalisierung innerhalb des Landes.
Abhängigkeit in Zahlen/Wie abhängig sind wir schon?
Die Zahlen des Institutes der deutschen Wirtschaft sowie des Statistischen Bundesamtes Destatis sprechen aktuell noch eine andere Sprache und zeigen eine sehr starke und eher zunehmende Abhängigkeit von der Volksrepublik China.
Im Jahr 2021 wurden nach endgültigen Ergebnissen von Destatis Waren im Wert von 246,5 Milliarden Euro zwischen Deutschland und der Volksrepublik China gehandelt (Exporte und Importe). Die Volksrepublik China war damit zum sechsten Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner. Auf den Rängen zwei und drei folgten die Niederlande (206,2 Milliarden Euro) und die Vereinigten Staaten (194,3 Milliarden Euro). Das wichtigste Abnehmerland Deutschlands waren die Vereinigten Staaten gefolgt von der Volksrepublik China und Frankreich. Nach Deutschland importiert wurden jedoch die meisten Waren aus der Volksrepublik China, den Niederlanden und den Vereinigten Staaten (Grafik 1).
Die höchsten Exportüberschüsse wies Deutschland 2021 mit den Vereinigten Staaten (49,7 Milliarden Euro) aus. Mehr importiert als dorthin exportiert wurden Waren aus China. Für dieses Land wies der Außenhandel einen Importüberschuss von 39,4 Milliarden aus.
Auch im Jahr 2022 nahmen die deutschen Importe gegenüber den Exporten erneut zu, sodass voraussichtlich zum sechsten Mal in Folge der deutsche Exportüberschuss sinken wird. Besonders getrieben wird dies durch die nach wie vor wachsenden Anteile deutscher Warenimporte aus der Volksrepublik China. Das Institut der deutschen Wirtschaft analysierte darüber hinaus, dass neben Rohstoffen zunehmend mehr Vorprodukte nach Deutschland eingeführt werden. Auch in diesem Kontext nimmt der Anteil chinesischer Vorprodukte im Vergleich zu bezogenen Vorprodukten aus anderen Ländern überproportional zu. Häufig handelt es sich hier um elektronische Bauteile wie Halbleiterbauelemente und elektronische integrierte Schaltungen.
Verhältnismäßig günstige Lohn- und Fertigungskosten sowie Rohstoffpreise in China sorgen trotz den aus der Geschäftsklimaumfrage zitierten Unsicherheiten für den erheblichen weiteren Ausbau der deutsch-chinesischen Geschäftsbeziehungen (Grafik 2 + 3).
Die Zahlen zeigen eindrucksvoll, dass sich die deutschen Abhängigkeiten von Rohstoffen und kritischen Vorprodukten in den letzten Jahren weiterhin verstärkt haben, obwohl bereits zu Corona-Anfängen deutlich wurde, wie hoch der Preis für eine vollständige Verlagerung einzelner Produktionen in das Ausland sein kann. Rückblickend war es doch erschreckend, wie die plötzliche Verknappung von in ihren Produktionsländern selbst benötigten Desinfektionsmitteln, Einmalhandschuhen und Medikamenten das deutsche Gesundheitssystem zusätzlich zur gerade aufkeimenden Pandemie schwächte. Auch die Lieferkettenproblematik unter anderem in Folge der Zero-COVID-Strategie Chinas führte in einzelnen Branchen zu Produktionsausfällen aufgrund nicht lieferbarer Komponenten.
Was ist zu tun?
Das ausgegebene chinesische Ziel „Keine Lieferkette ohne China“ macht sehr wohl deutlich, wie die wirtschaftspolitische Zielsetzung der Volksrepublik aussieht. Auch Unternehmen sollten vor diesem Hintergrund die Zusammenarbeit mit China grundsätzlich langfristig und nicht nur über den kurzfristigen Profit betrachten.
Abschottungstendenzen werden hier dennoch genauso wenig eine Lösung sein wie zu hohe einseitige Abhängigkeiten. Die eigene Wettbewerbsfähigkeit wird insbesondere durch die Diversifikation auf Seiten der Lieferanten als auch Abnehmer gestärkt werden können. Denn, nicht nur am Finanzmarkt ist die Diversifikation eine erfolgreiche Strategie zur Risikostreuung und Minimierung von Klumpenrisiken.
Unternehmen, groß wie auch klein, sollten sich heute schon konkret fragen, wie hoch ihre Anteile an chinesischen Zulieferungen sind. Gibt es alternative Beschaffungsmärkte für Vorprodukte oder Rohstoffe beispielsweise in ASEAN, Südamerika, der Türkei oder auch Europa? Bestehen dorthin bereits Vertragsbeziehungen und können etwaige höhere Einkaufskosten bereits durch die Nutzung von Zoll-Präferenzen oder der zollfreien innergemeinschaftlichen Lieferung aufgefangen werden? Wie hoch sind die Abhängigkeiten auf der Abnehmerseite? Gibt es Alternativmärkte, auf die im Notfall ausgewichen werden kann?
Der Außenwirtschaftschef der DIHK, Dr. Volker Treier, forderte bei einer Sitzung der Außenwirtschaftsreferenten in Richtung Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz eine stärkere Unterstützung betroffener Unternehmen und das Beseitigen von Hürden bezüglich der Diversifikation. Eine komplette Abwendung von China könne und wolle sich niemand leisten. Es bestehe aus der Praxis heraus allerdings die Befürchtung, dass wir in der Diversifizierung erst gar nicht so weit kommen. Aktuell fehle es an weiteren Freihandelsabkommen und, da Standards des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes in einzelnen alternativen Zuliefermärkten zum Teil nicht eingehalten würden, könnten Unternehmen teilweise nicht so schnell diversifizieren, wie es aktuell eigentlich notwendig wäre.
Vielmehr als zuvor gilt es folglich, als vereintes Europa eine entschlossene Handelspolitik in Kombination mit einer erlebbaren Außenwirtschaftsförderung zur Erschließung alternativer Zuliefer- als auch Abnehmermärkte voranzutreiben. Insbesondere Märkte wie Südamerika und Indien sind aktuell unterproportional in den Handelsbeziehungen vertreten. Abkommen, die weitgehend ausverhandelt sind, – wie beispielsweise MERCOSUR, CETA, Neuseeland, Australien – müssen dringend abgeschlossen werden.
Operativ machen es darüber hinaus einzelne Großunternehmen vor und gehen, ähnlich zu Apple, nach Indien, um dort eine von China unabhängige weitere Produktion vorzuhalten. Die Auslandshandelskammern im asiatischen Raum arbeiten schon heute eng zusammen, klären auf und gehen mit betroffenen Unternehmen in die Analyse, wie risikoreich das bestehende Chinageschäft ist. Obwohl ein echtes Decoupling von China weder gewollt noch möglich ist, ist ein „einfach so weiter“ ebenfalls keine Alternative. Im schlimmsten Fall führt dann erst ein etwaiger Sanktionsdruck zu Ersetzungsdruck – und das wäre eine eher risikoreiche Alternative für unsere Wirtschaft.
dw
Ausgewählte Initiativen zur Beschaffungsmarktsuche:
Nearshoring – Sourcingchancen auf dem Westbalkan
Das AHK Industrial Suppliers Forum
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