Der Clean Industrial Deal unter der Lupe
Wie Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit vereinen?
Angesichts großer Herausforderungen am Standort Europa und eines intensiven internationalen Wettbewerbs hat die EU-Kommission einen „Deal für eine saubere Industrie“ vorgelegt, mit dem der CO₂-Ausstieg zum Wachstumsmotor für die europäische Wirtschaft werden soll.
Viele der darin beschriebenen Initiativen fassen die richtigen Ziele ins Auge, doch bei der Umsetzung gibt es noch Fragezeichen.
Viele der darin beschriebenen Initiativen fassen die richtigen Ziele ins Auge, doch bei der Umsetzung gibt es noch Fragezeichen.
Thorben Petri ist Referatsleiter für Europäische Wirtschaftspolitik bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer.
Die Attraktivität des Standorts Europa hat gerade in den Augen der Industriebetriebe in den letzten Jahren abgenommen. Dies bestätigten 66 Prozent der Firmen im IHK-Unternehmensbarometer zur EU-Wahl. Ob steigende Energiekosten, bürokratische Belastungen oder eine fehlende Infrastruktur – viele der Herausforderungen, von denen Unternehmen berichten, hat Mario Draghi 2024 in seinem umfassenden und in vielen Teilen analytisch richtigen Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der EU dargelegt.
Eine gute Standortpolitik für die Breite der Wirtschaft ist die beste Industriepolitik.Thorben Petri
Darauf basierend hat die EU-Kommission nun mit dem Clean Industrial Deal (CID) Maßnahmen angekündigt, die Industriebetrieben in Europa verbesserte aber vor allem auch passgenaue Rahmenbedingungen bieten sollen. Die Kommission hebt hervor, dass „Europas industrielle Basis zentral für Wohlstand und essenziell für die länderübergreifende Wettbewerbsfähigkeit insgesamt ist“. Demnach sollen die entsprechenden Maßnahmen die Dekarbonisierung zum primären Wachstumsmotor transformieren und den „Business Case“ des Green Deals abermals in den Fokus rücken.
Wird der Clean Industrial Deal nun die Themen Wettbewerbsfähigkeit und Dekarbonisierung besser vereinen können als der Green Deal selbst? Zahlreiche Initiativen des CID verfolgen die richtigen Ziele, die konkrete Umsetzung bleibt jedoch vergleichsweise vage. Nicht überraschend muss aus Sicht der deutschen und europäischen Wirtschaft die Ausgestaltung der Maßnahmen mit Bedacht, technologieoffen und zielgerichtet erfolgen. Zusätzliche Belastungen durch neue kleinteilige Regulierungen, die unternehmerische Kapazitäten binden und Kosten erhöhen, sollte die Politik dagegen vermeiden. Die Kernbotschaft lautet somit: Eine gute Standortpolitik für die Breite der Wirtschaft ist die beste Industriepolitik.
Zu den Initiativen zählen ein Legislativpaket zum Ausbau grenzüberschreitender Stromnetze, einschließlich der Übertragungs- und Verteilernetze.
Zunächst fokussiert sich der CID auf zwei Sektoren: die energieintensiven Industrien und den Clean-Tech-Sektor. Erstere sind laut CID hohen Energiekosten und Überkapazitäten aus Drittstaaten ausgesetzt. Von dem Clean-Tech-Sektor erhofft sich die Kommission eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Dekarbonisierung Europas. Inwiefern der CID dabei die gesamten Wertschöpfungsketten berücksichtigt, ist noch offen. Ein ganzheitlicher Ansatz sollte bei der Fortentwicklung der Maßnahmen jedoch unbedingt maßgeblich sein, um die industrielle Basis in der Breite langfristig und Innovationen über den Clean-Tech-Sektor hinaus zu stärken. Nicht nur einzelne Branchen sollten perspektivisch durch die Initiativen Verbesserungen erfahren, sondern das gesamte industrielle Ökosystem mit seinen Kunden, Zulieferern und Dienstleistern.
Ansätze für niedrige Energiepreise und „grüne“ Produkte
Der CID ist bisher nur eine Ankündigung der Kommission, in verschiedenen Handlungsfeldern aktiv zu werden. An erster Stelle steht das Ziel, die Energiepreise zu senken. Die Kommission hat daher zeitgleich mit dem CID den sogenannten „Aktionsplan für bezahlbare Energie“ vorgelegt. Dieser soll bis zum Jahr 2040 Gesamteinsparungen in Höhe von 260 Milliarden Euro generieren.
Darüber hinaus verfolgt der Plan das Ziel, Transformationsrisiken finanziell abzufedern – unter anderem durch eine Kooperation mit der Europäischen Investitionsbank, etwa bei Garantieübernahmen für Direktstromvermarktungen. Langfristig strebt der Aktionsplan eine Vertiefung der Energieunion an. Zu den entsprechenden Initiativen zählen ein Legislativpaket zum Ausbau grenzüberschreitender Stromnetze, einschließlich der Übertragungs- und Verteilernetze, sowie eine strategische Neuausrichtung der Energieimporte, insbesondere im Bereich von LNG-Gas. Ergänzend ist eine künftige Überarbeitung der Governance-Verordnung zur Energieunion vorgesehen.
Darüber hinaus verfolgt der Plan das Ziel, Transformationsrisiken finanziell abzufedern – unter anderem durch eine Kooperation mit der Europäischen Investitionsbank, etwa bei Garantieübernahmen für Direktstromvermarktungen. Langfristig strebt der Aktionsplan eine Vertiefung der Energieunion an. Zu den entsprechenden Initiativen zählen ein Legislativpaket zum Ausbau grenzüberschreitender Stromnetze, einschließlich der Übertragungs- und Verteilernetze, sowie eine strategische Neuausrichtung der Energieimporte, insbesondere im Bereich von LNG-Gas. Ergänzend ist eine künftige Überarbeitung der Governance-Verordnung zur Energieunion vorgesehen.
Eines der Hauptziele des CID ist die Mobilisierung von privaten und öffentlichen, klimaneutralen Investitionen.Thorben Petri
Kurzfristige Entlastungen sind von diesem Vorgehen allerdings weniger zu erwarten, denn die Umsetzung obliegt den Mitgliedstaaten, beispielsweise bei der Senkung der Energiesteuern auf das gesetzlich festgelegte, europäische Minimum. Hier ist der Spielraum noch nicht ausgeschöpft – das gilt auch beim Antreiben von Maßnahmen wie zum Beispiel bei Planungs- und Genehmigungsverfahren. Der von der EU-Kommission angekündigte Industrial Decarbonisation Acclerator Act, der die energieintensive Industrie bei der Dekarbonisierung unterstützen und bis Ende 2025 vorgestellt werden soll, könnte daher maßgeblich zur Beschleunigung beitragen.
Mithilfe von Leitmärkten möchte die Kommission zudem Anreize für grüne Investitionen setzen – insbesondere zur Schaffung von Märkten für grüne Produkte. Darüber hinaus plant sie, nichtpreisliche Nachhaltigkeits-, Resilienz-, oder auch Cybersicherheits-Kriterien bei der öffentlichen Beschaffung einzuführen und so die Nachfrage zu stärken. Gleichzeitig erwägt sie, derartige Parameter in einschlägige Produktvorschriften zu integrieren.
Mithilfe von Leitmärkten möchte die Kommission zudem Anreize für grüne Investitionen setzen – insbesondere zur Schaffung von Märkten für grüne Produkte. Darüber hinaus plant sie, nichtpreisliche Nachhaltigkeits-, Resilienz-, oder auch Cybersicherheits-Kriterien bei der öffentlichen Beschaffung einzuführen und so die Nachfrage zu stärken. Gleichzeitig erwägt sie, derartige Parameter in einschlägige Produktvorschriften zu integrieren.
Bis 2030 ist geplant, den Anteil zirkulärer Materialien auf 24 Prozent zu steigern.Thorben Petri
Aus Sicht der deutschen Wirtschaft sind strategische Vergabevorgaben zur Förderung grüner Leitmärkte nur dann mit Wirtschaftlichkeit und Wettbewerb vereinbar, wenn qualitative Kriterien auftragsbezogen sind und wenn sie vom öffentlichen Auftraggeber einfach kontrolliert beziehungsweise vom Anbieter einfach dokumentiert werden können. Die Einführung von notwendigen Vorgaben im Vergaberecht im Sinne strategischer Beschaffung sei laut der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) unnötig, da öffentliche Auftraggeber bereits jetzt die Möglichkeit haben, auftragsbezogene Vorgaben zu setzen.
Initiativen für „klimaneutrale“ Investitionen
Eines der Hauptziele des CID ist die Mobilisierung von privaten und öffentlichen, klimaneutralen Investitionen. Insgesamt hat die Kommission einen Bedarf von 480 Milliarden Euro pro Jahr für die Bereiche Energie, industrielle Innovation, Wachstum und Transportsysteme errechnet. Im Rahmen des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) soll daher ein Wettbewerbsfähigkeitsfonds geschaffen werden. Kurzfristig sollen aus dem derzeitigen MFR noch eine Milliarde Euro an Garantien verfügbar gemacht werden. Ein weiterer Vorschlag ist zudem die Einführung einer „Industrial Decarbonisation Bank“, die sich vor allem durch Einnahmen des Emissions Trading System (ETS) finanzieren soll.
Bei der Errichtung einer derartigen Institution ist es insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen wichtig, dass das Abrufen von Mitteln schrankenlos möglich ist und diese nicht durch komplizierte und bürokratische Verfahren de facto ausgeschlossen werden. Das Motto für die Initiativen muss daher lauten: „Think small first!“. Darüber hinaus stellt die oberste EU-Behörde die Etablierung eines CID-Beihilferahmens in Aussicht, der den Mitgliedstaaten und Unternehmen mehr Planungssicherheit bieten soll. Grundsätzlich sind öffentliche Ausgaben zur Verbesserung der allgemeinen Standortbedingungen gegenüber Subventionen für einzelne Unternehmen vorzuziehen. Im Sinne eines effizienten Mitteleinsatzes sollten Unterstützungsmaßnahmen allenfalls langfristige wirtschaftspolitische Ziele in der Anfangsphase unterstützen, quasi als Anschubfinanzierung.
Förderung von Kreislaufwirtschaft und Rohstoffen
Auch die Kreislaufwirtschaft soll im CID eine tragende Säule bilden. Bis 2030 ist geplant, den Anteil zirkulärer Materialien auf 24 Prozent zu steigern – ein entscheidender Schritt, um ökologische Nachhaltigkeit, wirtschaftliche Resilienz und hochwertige Arbeitsplätze zu fördern. Bei der Umsetzung der vorgesehenen Maßnahmen ist es essenziell, dass der Gesetzgeber dauerhaft Technologieoffenheit wahrt – etwa im Hinblick auf chemisches Recycling oder die Aufbereitung biobasierter Kunststoffe – und zugleich bürokratische Hürden so gering wie möglich hält. Das gilt insbesondere für den Circular Economy Act und die neuen Anforderungen der Ökodesign-Verordnung: Sie dürfen Betriebe, insbesondere kleine und mittlere, nicht in ihrer Innovationskraft einschränken oder durch übermäßige Regulierung ausbremsen.
Die Belange kleiner und mittlerer Unternehmen sollten auch bei den Rohstoff-Initiativen Anwendung finden. Maßnahmen aufseiten des Staates, wie zum Beispiel Vorgaben zur Lagerhaltung, würden aus Sicht der gewerblichen Wirtschaft über das Ziel hinausschießen. Fest steht daher auch, dass eine gelungene und an den Bedürfnissen der Unternehmen ausgerichtete Umsetzung des Critical Raw Materials Act vonnöten ist.
Die Belange kleiner und mittlerer Unternehmen sollten auch bei den Rohstoff-Initiativen Anwendung finden. Maßnahmen aufseiten des Staates, wie zum Beispiel Vorgaben zur Lagerhaltung, würden aus Sicht der gewerblichen Wirtschaft über das Ziel hinausschießen. Fest steht daher auch, dass eine gelungene und an den Bedürfnissen der Unternehmen ausgerichtete Umsetzung des Critical Raw Materials Act vonnöten ist.
Sicherstellung von fairem Handel und Fachkräften
Um strategische Abhängigkeiten zu reduzieren und den Zugang zu kritischen Rohstoffen, sauberer Energie und zukunftsweisenden Technologien zu sichern, plant die Kommission die Einführung sogenannter Clean Trade Investment Partnerships (CTIPs) mit Drittstaaten. Diese Partnerschaften sollen den Weg für eine engere regulatorische Zusammenarbeit ebnen und damit den Aufbau nachhaltiger, resilienter Wertschöpfungsketten gezielt unterstützen.
Entsprechend könnten CTIPs den europäischen Privatsektor stärken und bei der Markterschließung unterstützen, wenn sich die Partnerschaften als praxisnah, zielgerichtet und unbürokratisch erweisen. Dafür sollten die Wirtschaft in die Ausgestaltung miteinbezogen und die CTIPs mit klaren Projekten unterlegt werden. Nur wenn konkrete Business Cases sowie einfache Zugänge zu den an die Partnerschaft geknüpften Projekten für Betriebe entstehen, können CTIPs zur Wettbewerbsfähigkeit Europas beitragen und als Katalysator für engere wirtschaftliche Kooperation zwischen den Partnerländern dienen.
Entsprechend könnten CTIPs den europäischen Privatsektor stärken und bei der Markterschließung unterstützen, wenn sich die Partnerschaften als praxisnah, zielgerichtet und unbürokratisch erweisen. Dafür sollten die Wirtschaft in die Ausgestaltung miteinbezogen und die CTIPs mit klaren Projekten unterlegt werden. Nur wenn konkrete Business Cases sowie einfache Zugänge zu den an die Partnerschaft geknüpften Projekten für Betriebe entstehen, können CTIPs zur Wettbewerbsfähigkeit Europas beitragen und als Katalysator für engere wirtschaftliche Kooperation zwischen den Partnerländern dienen.
Dass Themen wie Ausbildung und Weiterbildung eine zentrale Rolle bei der Transformation spielen, steht außer Frage. Bei den angekündigten Initiativen wie der Union of Skills, der Skills Portability Initiative und der Quality Jobs Roadmap ist jedoch stets darauf zu achten, dass das in den Verträgen verankerte Prinzip, dass Bildung Kompetenz der Mitgliedstaaten ist, weiterhin gewahrt bleibt.
Autor: Thorben Petri, Referatsleiter Europäische Wirtschaftspolitik bei der DIHK
6/2025