05.05.2023

Wirtschaftsstandort Deutschland ein Sanierungsfall?

Unternehmen diskutieren mit stellvertretendem CDU-Bundesvorsitzenden

Austausch von Argumenten statt von Positionen – unter diesem Motto stand eine bestens besuchte Veranstaltung des IHK-Gremiums Lichtenfels auf Kloster Banz mit Dr. Carsten Linnemann, dem stellvertretenden Bundesvorsitzendem der CDU zur aktuellen wirtschaftspolitischen Lage in Deutschland

"Es wird viel zu viel übereinander geredet und zu wenig miteinander", kritisiert Michael Möslein, stellvertretender Vorsitzender des IHK-Gremiums und Moderator des Abends. "Nicht mit uns! Wir wollen den Austausch, wir wollen die Diskussion!"

Dr. Linnemann wurde seinem Ruf gerecht und sprach die Themen an, die den Unternehmen mehr denn je am Herzen liegen: Etwa die Zukunft des Industriestandortes Deutschland, den Fachkräftemangel und die ausufernde Bürokratie. Er zeigt deutlich auf, was aus seiner Sicht falsch läuft: "Deutschland macht sich zum Sanierungsfall. Uns ist längst die Mentalität des Machens abhandengekommen!" Stattdessen habe sich eine Vollkasko-Mentalität breitgemacht, wo jeder nur seine Rechte sehe, aber nicht seine Pflichten. Linnemann: "Wir müssen wieder mehr auf Eigenverantwortung setzen."

Obwohl die Beschäftigtenzahl deutschlandweit in den vergangenen zehn Jahren um fünf Millionen gestiegen sei, stagniere die erbrachte Gesamtarbeitszeit. So bequem diese Entwicklung für den Einzelnen sei, Wachstum entstehe nur durch Arbeit. Diesem Trend entgegenzuwirken sei sehr schwer, wie zuletzt auch NRW-Bildungsministerin Dorothee Feller feststellen musste, als sie sich gegen mehr Teilzeit bei Lehrern ausgesprochen hatte, so Dr. Linnemann.

Drei Kernprobleme wirken bis ins kommende Jahrzehnt nach

Dr. Linnemann: "In zehn Jahren werden wir uns immer noch mit den drei Kernproblemen herumschlagen, die uns bereits heute das Leben schwer machen: Die Inflation, den Fachkräftemangel und die Deindustrialisierung Deutschlands."

Wegen ständig neuer "Sondervermögen" steige die Verschuldung des Staates. Wegen der Geldpolitik der EZB sei außerdem zu viel Geld im Umlauf. Beides führe letztendlich dazu, dass die Inflationsrate über Jahre auf einem hohen Niveau verharren werde, befürchtet der Volkswirt.

Fachkräftemangel: Zuwanderung alleine reicht nicht

Da in den kommenden Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen, werden in zehn Jahren 25 bis 30 Prozent der benötigten Fachkräfte fehlen. "Diese Lücke lässt sich alleine durch Fachkräftezuwanderung nicht schließen!", so Dr. Linnemann. "Wir müssen das System umstellen, Arbeit muss wieder belohnt werden." Er verweist auf das Vorbild Dänemark und die Arbeitspflicht in den Niederlanden.

Erschütternd sei in diesem Zusammenhang die hohe Zahl an Schulabgängern ohne Schulabschluss. Er fordert deshalb einen Sprachtest bei Vierjährigen und im Falle unzureichender Kenntnisse den verpflichtenden Besuch einer Vorschule. "So geben wir den jungen Menschen von heute eine Perspektive für morgen", so Dr. Linnemann.

Aktuell habe die Industrie einen Anteil an der Bruttowertschöpfung gut 20 Prozent, in zehn Jahren wird der Anteil auf 13 bis 14 Prozent sinken, wenn der Standort Deutschland nicht kurzfristig wieder wettbewerbsfähig gemacht werde. "Fast ein Drittel der Unternehmen, die derzeit im Ausland investieren, tut dies nicht wegen der Erschließung eines Marktes, sondern um Kosten zu sparen", warnt Dr. Linnemann und beruft sich auf eine aktuelle Umfrage der DIHK (Deutsche Industrie- und Handelskammer e.V.).

"Unsere Industrie steckt mittendrin in einer Transformation. Das letzte, was unsere Unternehmen brauchen können, sind weitere wettbewerbsverzerrende Auflagen", mahnt Dr. Michael Waasner an, Präsident der IHK für Oberfranken Bayreuth. Als Beispiel nennt er das am 19. April verabschiedete Energieeffizienzgesetz. Hier steht nicht mehr eine CO2-Minderung der Industrie im Fokus, sondern die Absenkung des Energieverbrauchs. "Die Belastungen werden sich in den kommenden Jahren in der Breite der Unternehmen voll auswirken: Steigende Energiekosten durch weiter verknapptes Angebot, dazu höhere Zinsen, gestiegene Personalkosten und zusätzlich Kosten durch weitere restriktive Bürokratie wie Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und Nachhaltigkeitsberichterstattung.“

Technologieoffenheit wichtig!

"Niemand weiß, welche Technologien oder Anwendungen in zehn Jahren das Rennen machen. 2010 hat auch noch niemand gewusst, welche Rolle etwa das Smartphone heute spielen wird", macht Linnemann deutlich. "Wir können Forschung und Wissenschaft nicht vorschreiben, wie sie zu arbeiten haben und welche Technologien sie vorantreiben." Mit solchen Vorgaben lande der Standort Deutschland schnell in einer Sackgasse.

Unternehmerinnen und Unternehmer frustriert

Viel Frust hat sich bei den Unternehmen aufgestaut, wie sich in deren Redebeiträgen zeigt. Umso mehr stiegen die Aussagen von Dr. Linnemann auf Zustimmung, wie die intensive Diskussion im Kaisersaal auf Kloster Banz zeigt, wie Dr. Waasner deutlich macht.

Auf die Frage von Michael Möslein, stellvertretendem Vorsitzenden des IHK-Gremiums Lichtenfels und Moderator der Diskussion, bestätigt MdB Emmi Zeulner, dass immer mehr Unternehmerinnen und Unternehmer mit ihren Sorgen auch auf sie zukommen. Die Spanne reiche von fehlenden Arbeitskräften in der Pflege und in anderen Wirtschaftsbereichen, die stockende Digitalisierung, und vor allem die immer stärker fordernde Bürokratie, die viele Unternehmen schlicht personell überfordere. Sehr große Sorgen macht sie sich über die steigenden Lohnnebenkosten. Deshalb sei auch der von Dr. Linnemann ins Spiel gebrachte Abbau des "Mittelstandsbauches" und des Soli ein elementarer Punkt.

Sehr positiv beurteilt Dr. Linnemann einen Vorschlag aus dem Publikum, dass Menschen, die über das 67. Lebensjahr hinaus arbeiten wollen, finanziell nicht zu bestrafen, sondern dies viel mehr zu fördern. Er schlägt dazu die Einführung einer steuerfreien "Aktivrente" vor. "Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht hat, aber freiwillig gerne weiter arbeiten möchte, müsste demnach nur noch die Sozialbeiträge entrichten. Das wäre ein attraktiver und wirkungsvoller Anreiz, länger zu arbeiten", so der Abgeordnete.

Mehr Mut für Reformen von unten

Darauf angesprochen, dass Staat und Verwaltung der Mut fehle, Neues anzupacken, macht Dr. Linnemann deutlich, dass ein Oberbürgermeister oder ein Landrat, der Probleme unkonventionell lösen wolle, schnell mit einem Bein im Gefängnis stehe. Er schlägt deshalb einen Reformprozess von unten nach oben vor: "Jedes kreisfreie Stadt, jeder Landkreis in Deutschland soll zwei Jahre lang ein Modellvorhaben testen können. "Was nichts taugt: Weg damit! Wenn wir dann alle erfolgreichen Modellvorhaben bundesweit umsetzen, bringt uns das enorm voran", plädiert Dr. Linnemann für mehr Mut bei Reformen.

Von den rund 50 Unternehmerinnen und Unternehmern erhält er für seine klaren Aussagen viel Zustimmung und Applaus.