23.02.2023

Ein Jahr Krieg in der Ukraine

Interview mit IHK-Präsidenten Dr. Michael Waasner

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat der Krieg in der Ukraine auf Oberfranken?

Die aufkeimende Erholung nach der Corona-Krise wurde durch den Krieg in der Ukraine abrupt unterbrochen. Die Auswirkungen des Krieges sind bis nach Oberfranken deutlich zu spüren, wenngleich diese natürlich in keiner Weise vergleichbar sind mit der Situation in der Ukraine selbst. Ob es in Oberfranken um die enormen Preissteigerungen bei Energie oder Rohstoffen geht, um die damit verbundene Inflation, die Material- und Rohstoffknappheit oder die stockenden Lieferketten – in den meisten Fällen ist der Krieg in der Ukraine der entscheidende Auslöser oder verstärkt bereits in den Gang gekommene Entwicklungen signifikant.

Wirkt sich der Krieg auch auf das Wirtschaftswachstum in Deutschland aus?

Der Krieg bleibt nicht ohne Konsequenzen auf das deutsche Wirtschaftswachstum. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer, Dachorganisation der IHKs, schätzt den kriegsbedingten Verlust bis Ende 2023 auf rund 160 Milliarden Euro, was rund 4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes entspricht.

Wie haben sich die Energieimporte entwickelt?

Allein der Wert der deutschen Energieimporte ist aufgrund der Preissteigerungen von 2021 auf 2022 um 89 Prozent auf 156 Mrd. Euro gestiegen. Das bekommen Unternehmen und Endverbraucher sehr deutlich zu spüren.

Die exorbitanten Preissteigerungen führten auch dazu, dass etwa der Wert der Einfuhr von russischem Erdgas trotz einer Halbierung der importierten Menge im 2. Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahr um 23 Prozent auf 2,7 Milliarden Euro gestiegen ist. Erst im dritten Quartal waren auch die Zahlungen an Russland für Erdgas rückläufig, bevor die Importe im 4. Quartal komplett eingebrochen sind.

Nach Berechnungen der IHK für Oberfranken Bayreuth entsprach die Gasmenge, die im gesamten 4. Quartal 2022 direkt aus Russland importiert wurde, in etwa der Menge, die ein Jahr zuvor in weniger als einer Stunde nach Deutschland floss.

Lassen sich Aussagen treffen, wie sich die Exporte nach Russland entwickelt haben?

Konkrete Zahlen für das gesamte Jahr 2022 lassen sich bislang nur für das Bundesgebiet treffen. Hier gingen die Exporte gegenüber 2021 um 45 Prozent auf 14,6 Milliarden Euro zurück.

Für Exporte in Nicht- EU- Länder benötigen Unternehmen Ursprungszeugnisse, die von den IHKs ausgestellt werden. Die Anzahl dieser von der IHK für Oberfranken erfolgten Bescheinigungen für Exporte mit dem Bestimmungsland Russland ist 2022 spürbar zurückgegangen. Lag deren Zahl 2021 im Schnitt bei gut 130 pro Monat, ist dieser Wert ab April 2022 auf durchschnittlich knapp 60 gesunken und erreichte im Dezember 2022 mit 22 den seit Jahrzehnten niedrigsten Wert.

Wie haben sich 2022 die Handelsbeziehungen mit der Ukraine entwickelt?

Die Exporte in die Ukraine gingen gegenüber 2021 um elf Prozent zurück, die Importe stiegen sogar um ein Prozent. Angesichts der Rahmenbedingungen blieb der Handel auf den ersten Blick vergleichsweise stabil. Hier gilt es aber zu bedenken, das dies in erster Linie auf die stark gestiegenen Preise zurückzuführen ist, vor allem beim Getreide. Ein Vergleich mit der gesamten Import- und Exportleistung der deutschen Wirtschaft relativiert diese Werte spürbar. Bei den deutschen Exporten war der Anteil der Ukraine um rund 22 Prozent rückläufig, bei den Importen um rund 19 Prozent, so die Berechnungen der IHK für Oberfranken Bayreuth.

Welche Auswirkungen hat der Krieg auf den deutschen bzw. oberfränkischen Arbeitsmarkt?

Über eine Million Menschen sind seit Kriegsbeginn aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet, rund 150.000 davon sind in Bayern registriert. Seit Beginn des Krieges sind in Deutschland rund 65.000 Ukrainerinnen und Ukrainer mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigt als vor Beginn der Kämpfe, so die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Hinzu kommen rund 21.000 in Minijobs.

Von den neu gewonnenen Arbeitskräften profitieren auch die oberfränkischen Unternehmen. Eine größere Zahl von Ukrainerinnen und Ukrainern ist bereits auf der Suche nach Arbeit oder in Beschäftigung, auch erste Ausbildungsverträge wurden unterschrieben.

Der Anteil an Personen mit gutem Bildungsniveau ist in dieser Gruppe überdurchschnittlich hoch, weshalb viele Unternehmen hoffen, dass die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine in der Arbeitsmarktvermittlung in den kommenden Monaten spürbar nach oben geht.

Größter Knackpunkt bleiben die Sprachkenntnisse. Diese sind etwa im Service und im Dienstleistungsbereich elementare Voraussetzung.

Ein Großteil der Geflüchteten sind Frauen, was bedeutet das für den Arbeitsmarkt?

Da ein Großteil der Geflüchteten Frauen mit Kindern sind, ist eine Integration der Kinder in Kitas, Kindergärten und Schulen Voraussetzung dafür, dass die Frauen überhaupt nach einer Arbeit suchen können.

Welche Weichen muss die Politik stellen?

Dank der "Massenzustromrichtlinie" entfällt für Bürger der Ukraine das zeitaufwändige Asylverfahren mit ungewissem Ausgang. Diese Richtlinie läuft aber im März 2024 aus. Sowohl die Betroffenen als auch die Unternehmen brauchen Rechts- und Planungssicherheit. Die Bundespolitik muss deshalb zeitnah abklären, was nach diesem Datum ist.