Gitta Connemann: „Wir nehmen die Warnungen und Hilferufe aus dem Mittelstand ernst“
Trotz Regierungswechsel bleibt Deutschlands wirtschaftliche Lage angespannt. Steigende Insolvenzzahlen, ausbleibende Investitionen und unklare wirtschaftliche Rahmenbedingungen könnten erneut für ein Jahr ohne Wachstum sorgen. Auch die neue Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, Gitta Connemann (CDU), blickt mit Sorge auf diese Entwicklung. Wir haben sie gefragt, was die Bundesregierung dagegen tun möchte.
Gitta Connemann ist seit 2002 Mitglied des Deutschen Bundestags und seit 2025 Parlamentarische Staatssekretärin.
DIHK: Sie sind seit Ende Mai die Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung und seit 2021 im Übrigen auch Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion. Woher stammt die Motivation, sich für kleinere und mittlere Unternehmen einzusetzen?
Gitta Connemann: Schon unser Elternhaus hat mich mittelständisch geprägt. Ich bin in der Landwirtschaft groß geworden. Und auch Höfe sind Betriebe. Ich habe von klein an erlebt, welche Verantwortung, welche Probleme, aber auch welche Freiheiten mit dem Unternehmertum verbunden sind. Meine Brüder und ich haben früh die betriebliche Wirklichkeit anhand von Mitarbeit und harter Zahlen kennengelernt. Später habe ich in einem inhabergeführten Schuhgeschäft eine Ausbildung zur Verkäuferin gemacht, nach Jurastudium und Referendariat in einer mittelständischen Kanzlei gearbeitet und mich dann als Rechtsanwältin selbstständig gemacht. Der Mittelstand zieht sich also wie ein roter Faden durch mein Leben.
Was haben Sie aus diesen Erfahrungen mitgenommen?
Connemann: Vor allem, was es heißt, persönlich Verantwortung zu tragen. Anders als Kapitalgesellschaften haften Einzelunternehmen oder Personengesellschaften uneingeschränkt mit ihrem Privatvermögen. Eine falsche Entscheidung kann die Altersvorsorge kosten. Aber Mittelständler sind eben Unternehmerinnen und Unternehmer und lassen sich davon nicht schrecken. Ich erlebe das in meiner Heimat, in der kleine und mittlere Betriebe das Rückgrat der Wirtschaft abbilden. Wir stehen und fallen mit dem Mittelstand – so wie viele andere Regionen in Deutschland auch.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage des Mittelstands?
Connemann: Wir befinden uns in einer historischen Wirtschaftssituation. Unsere Unternehmen müssen einen toxischen Cocktail verdauen, der sich aus den Spätfolgen der Pandemie, den Energiepreisverteuerungen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine und diversen Standortnachteilen mixt. Die Zahl der Insolvenzen steigt, die Zahl der Betriebsaufgaben auch. Investitionen werden immer weniger. Besonders kleine und mittlere Betriebe sind von Liquiditätsengpässen betroffen. Diese spüren Belastungen wie überbordende Bürokratie, fehlende Fachkräfte und steigende Kosten am stärksten.
Was hat die neue Bundesregierung in ihren ersten Monaten unternommen, um die Lage zu verbessern?
Connemann: An erster Stelle: Wir sprechen wieder mit dem Mittelstand. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, war es aber zuletzt nicht mehr. Jetzt sitzt die Praxis wieder mit am Tisch. Uns ist zudem bewusst, dass 99 Prozent aller Betriebe in Deutschland entweder kleine oder mittlere sind. Und wir nehmen die Warnungen und Hilferufe aus dem Mittelstand ernst. Viele sitzen auf gepackten Koffern, sind bereits vollkommen erschöpft oder einfach nur frustriert. Aber sie geben uns eine Chance, die wir jetzt nutzen müssen.
Aber welche Maßnahmen haben sie konkret beschlossen, die dem Mittelstand weiterhelfen?
Connemann: Wir haben als Bundesregierung bereits 60 Vorhaben auf den Weg gebracht. Etliche davon kommen dem Mittelstand unmittelbar zugute – und setzen wichtige Wachstumsimpulse. Ich persönlich halte den Investitionsbooster für äußerst wichtig, der seit dem 19. Juli in Kraft ist. Dadurch können Betriebe ihre Investitionen ab sofort schneller und einfacher steuerlich geltend machen. Das setzt Liquidität frei und Investitionsentscheidungen können kurzfristig angestoßen werden. Auch vom Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität wird der Mittelstand profitieren.
Aber die Stromsteuerentlastung kommt dem Mittelstand nicht so zugute, wie viele es erhofft haben …
Connemann: Von der Stromsteuerentlastung profitieren auch mittelständische produzierende Firmen. Schon ab einem Stromverbrauch, der dem von vier Familien entspricht, greift die Entlastung. Ich habe Verständnis für die Enttäuschung, dass die Entlastung nicht für alle kommt. Es ist offenbar der Eindruck entstanden, dass diese für alle sofort kommen wird. Aber schon im Koalitionsvertrag stand das Thema stets unter einem Haushaltsvorbehalt. Hinzu kam eine unglückliche Kommunikation. Wir haben dafür die Gasspeicherumlage abgeschafft und die Netzentgelte abgesenkt. Davon profitieren alle – vom Mittelständler bis zum Konzern. Die Stromsteuerentlastungen wollen wir weiter umsetzen, dazu brauchen wir Haushaltsspielräume. Die können wir vor allem durch Wachstum und mehr Wettbewerbsfähigkeit erreichen.
Der Standort Deutschland wird aber nicht nur aufgrund hoher Energiekosten immer unattraktiver. Probleme im Bildungssektor, der Fachkräftemangel, eine ungenügende digitale Infrastruktur oder die überbordende Bürokratie machen vielen zu schaffen.
Connemann: Ja, diese hausgemachten Probleme müssen wir lösen. Gegen den Arbeits- und Fachkräftemangel wollen wir mit der Aktivrente möglichst viele Babyboomer im Arbeitsmarkt halten. Parallel dazu möchten wir ebenfalls die Frauenerwerbsquote steigern. Ich glaube, wir können auch noch deutlich mehr Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen und sogar Schulabbrechende in den Arbeitsmarkt integrieren. Wir werden ausländischen Mitarbeitenden den Einstieg mit einer zentralen und digitalen „Work-and-Stay-Agentur“ erleichtern. Und wir wollen die Attraktivität von Ausbildung durch gezieltere Angebote zur Berufsorientierung erhöhen. Die Digitalisierung wird nun im neuen Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung gebündelt. Durch konsequente Maßnahmen können wir auch das Gros der Berichtspflichten angehen. Und mit dem „Once-Only-Prinzip“ sicherstellen, dass Betriebe ihre Daten nur noch einmal melden müssen. Wir brauchen einen echten Bürokratierückbau. Daran werden wir gemessen.
Dennoch erscheint vielen Menschen eine Unternehmertätigkeit immer weniger attraktiv, mit der Folge, dass Nachfolgelösungen immer schwieriger werden. Sehen Sie es als Aufgabe der Politik an, das Unternehmertum wieder attraktiver zu machen?
Connemann: Ja. Übernehmen ist das neue Gründen. Aber Unternehmensnachfolgen sind komplex. Neben der Suche nach der geeigneten Nachfolge gibt es steuerliche und rechtliche Fallstricke. Das muss leichter werden. Und da ist auch der Gesetzgeber gefordert. Dafür ist es unabdingbar, den Betrieben wieder zu vertrauen.
Interview:
Michael Gneuss, freier Journalist
Michael Gneuss, freier Journalist
7/2025