IHK NRW-Studie: Mittelstand beim Wasserstoffhochlauf nicht abhängen

Die Transformation des nordrhein-westfälischen Industrie- und Wirtschaftsstandortes in Richtung Klimaneutralität kann ohne eine rasche und gleichzeitig ausreichende und flächendeckende Versorgung mit grünem Wasserstoff nicht gelingen. Eine Studie im Auftrag von IHK NRW zeigt, dass der Ausbau der H2-Leitungsinfrastruktur schneller und flächendeckender angegangen werden muss.
Wasserstoff ist nicht nur eine technologische Option, sondern nach Einschätzung von IHK NRW eine zwingende Notwendigkeit für die nachhaltige Transformation des nordrhein-westfälischen Industrie- und Wirtschaftsstandortes. Ohne eine rasche und flächendeckende Einführung dieser Schlüsseltechnologie sind in vielen Branchen die gesteckten Klimaziele kaum zu erreichen.
Insbesondere dem industriellen Mittelstand, aber auch der Energiewirtschaft und weiteren Branchen, fehlt mit Blick auf die Wasserstoffpläne der Bundesregierung die Grundlage für langfristige Investitionsentscheidungen.
Gründe dafür zeigt eine von IHK NRW bei der Neumann und Esser Green GmbH beauftragte Kurzstudie „Engpassfaktor Wasserstoff: Anforderungen an die Wasserstoffversorgung für die Industrie in Nordrhein-Westfalen“. Darin wurde für sieben Unternehmen (Branchen: Ziegelei, Lebensmittel, Halbleiter Technologie, Chemie, Zement & Baustoffe, Metallverarbeitung und Papier) im ländlichen Raum untersucht, welche Prozesse voraussichtlich durch Wasserstofftechnologien ersetzt werden müssen und ob eine Versorgung technisch und wirtschaftlich machbar ist. Erkenntnis: Wirtschaftlich ist die Versorgung der Unternehmen mit Wasserstoff ohne die Anbindung an Pipelines z.B. über das Wasserstoffkernnetz, vielfach nicht möglich. Die Belieferung mittels Trailer und der Aufbau einer dezentralen Elektrolyse am Unternehmensstandort sind zu wirtschaftlichen Konditionen zumeist nicht realisierbar.
Ralf Stoffels, Präsident von IHK NRW, fordert zu schnellem Handeln auf: „Insbesondere für Prozesse im Hochtemperaturbereich ist Wasserstoff als CO2-freie Energiequelle häufig unverzichtbar. Die aktuellen Planungen rund um das Wasserstoff-Kernnetz reichen noch nicht aus. In vielen – vornehmlich ländlichen – Regionen NRWs, ohne Anbindung an das H2-Kernnetz, fehlen Planungen, wie der Bezug von Wasserstoff zu wirtschaftlichen Konditionen möglich wird. Es droht eine De-Industrialisierung in der Fläche.“ Deswegen, so Stoffels weiter, bräuchten wir in allen Regionen NRWs Planungen für ein regionales Verteilnetz.
Mit den nun vorliegenden Ergebnissen der Kurzstudie und den daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen, in Form eines Policy-Papers, will IHK NRW zu einem Hochlauf der Wasserstoff-Aktivität in Nordrhein-Westfalen beitragen und setzt sich für geeignete Übergangslösungen bis zur Einsatzfähigkeit des Wasserstoffkernnetzes ab dem Jahre 2032 ein:
  • Aufgrund der unklaren Rahmenbedingungen können Unternehmen derzeit keine (Investitions-)Entscheidungen treffen.
  • Die Kosten für den Wasserstoff sind in allen Bezugsquellen noch unbekannt und können lediglich abgeschätzt werden.
  • Der Aufbau des Kern- und Verteilnetzes, sowie die Logistik für mögliche Letzte-Meile-Transporte über Trailer sind frühestens 2032 abgeschlossen. Engagierte Unternehmen werden hierdurch deutlich ausgebremst. In allen Fällen ist mit Mehrkosten gegenüber dem Erdgasbezug zu rechnen.
  • Um einen Verbleib insbesondere der energieintensiven Unternehmen in den ländlichen Räumen Nordrhein-Westfalens langfristig zu gewährleisten, müssen diese Mehrkosten ausgeglichen werden. Klimaschutzverträge  sind ein Instrument, um diese Mehrkosten aufzufangen. Diese Förderung muss aber auch für den Mittelstand ohne zu starke bürokratische Hürden zugänglich gemacht werden.
  • Der Einsatz von Wasserstoff muss für alle Prozesse möglich gemacht werden. Es existieren zwar teilweise auch für Niedertemperaturprozesse strombetriebene Alternativen, in vielen Fällen sind diese aber noch in der Entwicklung bzw. im Pilotbetrieb. Eine Pauschalisierung zur Elektrifizierung bestimmter Prozesse zum jetzigen Zeitpunkt bremst Investitionen und fördert das Festhalten an bestehenden Anlagen.
  • Kosten und die Zeitpläne für den Ausbau der nationalen Wasserstoffinfrastruktur inkl. Verteilnetz müssen transparent gemacht werden. Netzentgelte, Kosten für Zwischenhändler, Übergabepunkte vom Kern- ins Verteilnetz, sowie Steuern und weitere Abgaben müssen bekannt sein. Unternehmen müssen jetzt in die Lage versetzt werden, Pläne für die Verringerung der CO2-Emissionen zu entwickeln und entsprechend notwendige Investitionen zu bewerten.
  • Der Aufbau dezentraler Wasserstoffcluster mit bedarfsgerechten Erzeugungskapazitäten muss gefördert und bürokratisch entlastet werden. Besonders in Regionen abseits des Kernnetzes muss es problemlos möglich sein, Wasserstofferzeugung, Speicherung, und Rückverstromung zum Ausgleich von Preisspitzen am Strommarkt als Inselnetz zu betreiben. Der Aufbau dieser Cluster und erst späterer Einbindung in das Wasserstoffnetz ermöglicht zudem ein schnelleres Handeln der Unternehmen. Hier sind insbesondere mittelstandsgerechte Planungs- und Genehmigungsverfahren zwingend notwendig.
  • Für einen Übergang könnte bereits jetzt Biomethan Erdgas ersetzen. Dieses kann über die vorhandenen Erdgasinfrastruktur bezogen werden. Im Gegensatz zur Elektrifizierung oder der Nutzung von Wasserstoff müssen auch die vorhandenen Prozesse nicht angepasst werden, sodass dies als Sofortmaßnahme möglich ist.
(Quelle IHK NRW)