Pressemeldung

Keine Einbahnstraße: Erfolgsspur der Grenzregionen

Tschechische Fach- und Arbeitskräfte sind heutzutage vom grenznahen deutschen Arbeitsmarkt nicht mehr wegzudenken. Gleichzeitig fällt es der Wirtschaft auf beiden Seiten der Grenze immer schwerer, Personal zu finden. Bei einer gemeinsamen Veranstaltung der IHK Regensburg für Oberpfalz / Kelheim und des Auswärtigen Amtes in der Stadthalle Cham diskutierten Akteure von deutscher und tschechischer Seite über Herausforderungen und Potenziale einer verstärkten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Bereich des Arbeitsmarktes.
„Die Grenzregionen sind die Nahtstellen, die Europa zusammenhalten“, begrüßte Anais Bordes, Referentin für grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt in Berlin, die rund 35 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops. Während der Corona-Pandemie sei deutlich geworden, wie stark Deutschland und Tschechien mittlerweile zusammengewachsen sind. „Trotz der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU sehen wir jedoch noch Hemmnisse im grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt“, plädierte Bordes für eine Senkung administrativer Hürden im Grenzraum.

Zusammenarbeit auf Augenhöhe

Franz Löffler, Bezirkstagspräsident der Oberpfalz und Landrat von Cham, beschrieb die Grenzöffnung von 1990 als „das größte Wirtschaftsförderungsprogramm aller Zeiten“, von dem sowohl die Ostbayern als auch Westböhmen auf tschechischer Seite profitierten. Die erfolgreiche Entwicklung des gemeinsamen Grenzraums sei keine Einbahnstraße, sondern lebe von Parität und einem Austausch auf Augenhöhe. Dem pflichtete IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Jürgen Helmes bei: „Mit weit über 12.000 Grenzpendlern aus Tschechien ist keine deutsche Region stärker mit unseren tschechischen Nachbarn verbunden als die Oberpfalz. Andererseits engagiert sich die ostbayerische Wirtschaft stark auf der anderen Seite der Grenze“. Denn rund 150 deutsche Unternehmen produzieren, forschen und entwickeln in der Nachbarregion Pilsen und haben dabei über 40.000 Arbeitsplätze geschaffen.

Robuster Arbeitsmarkt mit Lücken

Siegfried Bäumler, Leiter der Agentur für Arbeit Schwandorf, und Sven Schulze, Geschäftsführer des Jobcenters Chemnitz, sowie Pavla Janovská, Leiterin der Abteilung für Beschäftigung und EU des Bezirksarbeitsamtes in Pilsen, beleuchteten anschließend den Deutsch-Tschechischen Arbeitsmarkt aus dem Blickwinkel der Arbeitsagenturen. Dabei zeigte sich, dass der offene Arbeitsmarkt zu einem starken Bindeglied zwischen den beiden Ländern geworden ist: Rund 42.000 Fachkräfte aus Tschechien nutzen die Arbeitsmöglichkeiten in den bayerischen und sächsischen Grenzräumen.
Geringe Arbeitslosenquoten auf beiden Seiten zeigen, dass der robuste Arbeitsmarkt der Grenzregionen auch durch Krisen nicht ins Wanken gerate, so die Analyse der Arbeitsmarktexperten. Die größte Herausforderung auf beiden Seiten der Grenze sei jedoch der Arbeitskräftemangel: Nicht nur auf deutscher Seite werden Arbeits- und Fachkräfte händeringend gesucht. Auch jenseits der Grenze bemüht man sich etwa um die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland, um Lücken zu füllen.
Aus der Perspektive der Wirtschaftskammern zeigten Richard Brunner von der IHK Regensburg und Jiří Zahradník von der IHK Dresden die wirtschaftliche Dynamik der Grenzregionen auf. Der grenzüberschreitende Arbeitskräftemangel könne aus Sicht der Wirtschaft nur gemeinsam gelöst werden: mit besten Angeboten in Bildung und Qualifizierung, durch grenzüberschreitende Kooperation bei der Anwerbung von Fachkräften aus dem nationalen und internationalen Umfeld sowie durch eine begleitende Kampagne, die die Attraktivität und Willkommenskultur des gemeinsamen Wirtschaftsraums überregional kommuniziert.
Peter Hofmann vom DGB Bayern gab Einblicke in die größten Herausforderungen für grenzüberschreitend tätige Arbeitnehmer – von Unterschieden in der tschechischen und deutschen Ausbildung über die Anerkennung von Qualifikationen bis hin zu bürokratischen Regelungen im Krankheitsfall.

Gemeinsame Bildungsregion hat Potenzial

Mit welchen Strategien stellt man sich bereits dem Fachkräftemangel auf beiden Seiten der Grenze? Welche Impulse können Ausbildung und Qualifizierung für den Arbeitsmarkt setzen? Radka Bonacková von der Bayerischen Hochschulagentur, Stefanie Mikla von der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz und Ingrid Wohlrabova vom IHK/AHK-Regionalbüro Pilsen stellten erfolgreiche Kooperationsmodelle in der beruflichen und akademischen Ausbildung vor.
Die Berufsorientierungsmaßnahme „Handwerksheld*innen“ der HWK Niederbayern-Oberpfalz, gemeinsame Studiengänge von tschechischen und bayerischen Hochschulen sowie die in Tschechien einzigartige Meisterbildung zum „Industrial Professional“ sind wichtige Pilotprojekte – das Potenzial für grenzüberschreitende Bildungskooperationen sei jedoch längst noch nicht ausgeschöpft, waren sich die Workshopteilnehmer einig.
„Europa findet hier bei uns in den Grenzregionen statt. Nicht Brüssel, sondern wir vor Ort müssen das europäische Haus bauen“, so das Fazit von IHK-Hauptgeschäftsführer Helmes. „An die vielschichtigen Kooperationen, die wir bereits aufgebaut haben, wollen wir auch bei der Weiterentwicklung des grenzüberschreitenden Arbeitsmarktes anknüpfen und gemeinsame Stärken und Potenziale noch stärker nutzen.“
Der Arbeitsmarktworkshop ist Teil einer Workshop-Reihe zur deutsch-tschechischen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit des Auswärtigen Amtes. Weitere Themen sind Verkehr und Gesundheit. Den Abschluss der Reihe bildet das „Erste deutsch-tschechische Regionalforum“ am 30. November und 1. Dezember 2023 in Chemnitz. Dort werden die Ergebnisse aller drei Workshops vorgestellt.
(28.11.2023)