Mein kleiner Beitrag zum Kitt der Gesellschaft

Ein Lehrer, der nicht gerne gelernt hat? Gibt es. Aber Hans-Ulrich Reinke ist seinen Schülern ein Beispiel dafür, dass man es mit einem festen Willen und gelebter Solidarität weit bringen kann. Dieses Learning gibt er gerne weiter – im Klassenraum, in diversen Ehrenämtern und auch als Prüfer für Ausbildereignungsprüfungen bei der IHK Braunschweig.
Hans-Ulrich Reinke kommt aus einer Arbeiterfamilie. Sein Vater hat als Elektriker in der „Hütte“ im Dreischichtsystem gearbeitet, seine Mutter in Teilzeit bei der IG Metall. Für den gebürtigen Salzgitteraner war beruflicher Erfolg nicht selbstverständlich und die Angst vor dem Scheitern in der Schule immer präsent. Nichtsdestotrotz habe er in der Jugend nicht viel für die Schule getan: „Hausaufgaben habe ich in der Emil-Langen-Realschule immer abgeschrieben. In Mathe war ich immer gerade so ausreichend. Wie man Formeln umstellt oder Gleichungen löst, war mir bis zur Fachoberschule ein Rätsel“, so Reinke schmunzelnd.
In seiner Ausbildung zum Bauzeichner in einem Ingenieurbüro für Tief- und Straßenbau habe er dann erfahren, was es heißt, „am Ende der Nahrungskette zu stehen“ und nur „einfache Aufgaben erledigen zu dürfen“. Sein Ehrgeiz für eine Berufslaufbahn als Ingenieur war schnell geweckt und so hat Reinke erst mit 19 Jahren zum ersten Mal erfahren, dass „Lernen kein anstrengungsloser Vorgang ist.“ Dank der Nachhilfe von Freunden und einem wirtschaftlich stabilen Umfeld, das ihm genügend Zeit zum Lernen ließ, konnte er seine schulischen Lücken kompensieren und an der Fachhochschule in Holzminden ein Ingenieurstudium beginnen.

Plan B

Mit dem Berufseinstieg hat sich das Blatt für den studierten Bauingenieur schließlich wieder gewendet: viele arbeitslose Ingenieure und kaum Chancen für Berufseinsteiger. Reinke fand schnell eine Lösung und heuerte als Berufsschullehrer an – vakante Stellen an berufsbildenden Schulen und die vermeintliche Sicherheit des öffentlichen Dienstes ließen ihn seinen Plan B in die Realität umsetzen. So holte er an der Universität Hannover ein dreijähriges Lehramtsstudium im Berufsfeld Bautechnik mit Politikwissenschaften als Zweitfach nach. „Mit dem Studium der Politikwissenschaften und Berufspädagogik eröffneten sich ganz neue Horizonte und Denkweisen, die meine Persönlichkeitsentwicklung und meine berufliche Laufbahn nachhaltig beeinflussten“, erklärt der 64-Jährige, der heute froh ist, diesen Schritt gegangen zu sein.
Das Unterrichtsfach Politik war schließlich seine Eintrittskarte in den Lehrerberuf, den er seit 1989 an der Heinrich-Büssing-Schule ausübt. Neben dieser Funktion ist Reinke seit 47 Jahren Mitglied bei der Bildungsgewerkschaft (GEW) und eben jener ist es zu verdanken, dass der Berufsschullehrer schließlich auch Prüfer für Ausbildereignungsprüfungen bei der IHK Braunschweig wurde. Während er nie die Gelegenheit hatte, einem Prüfungsausschuss für die berufliche Erstausbildung beizutreten, genieße er es nun umso mehr, angehende Ausbilderinnen und Ausbilder zu begleiten. „Die Tätigkeit als AEVO-Prüfer ist für mich so anregend, weil ich den beruflichen Entwicklungsweg einiger ehemaliger Schülerinnen und Schüler beobachten kann“, so Reinke. Manche Absolventen würden sich sogar für anregende Impulse des Prüfungsausschusses bedanken, was ihm regelmäßig den bildenden Wert einer Prüfung vor Augen führe. Darüber hinaus rühre es ihn bei jeder bestandenen Prüfung, wenn die neuen Ausbilderinnen und Ausbilder von ihren beruflichen Plänen und Hoffnungen erzählen. Fließen dann aus Erleichterung auch noch Tränen, bekomme der empathische Berufsschullehrer manchmal selbst feuchte Augen und fügt hinzu: „Mitgefühl macht uns menschlich.“
Mitgefühl macht uns menschlich.

Hans-Ulrich Reinke

Solidarität statt Ellenbogenmentalität

Neben seiner Prüfertätigkeit übt Reinke weitere ehrenamtliche Verpflichtungen aus und kommt bei der Aufzählung nahezu ins Schwärmen. Sein Engagement zieht über die IHK- und Gewerkschaftsarbeit hinaus weite Kreise. So ist der Wahlbraunschweiger in der letzten und laufenden Legislaturperiode Vorsitzender des Schulpersonalrats an der Heinrich-Büssing-Schule und bereitet die Personalratswahlen 2024 im regionalen Landesamt für Schulen und Bildung als Wahlvorstand vor. Außerdem ist Hans-Ulrich Reinke Fachkraft für Arbeitssicherheit, koordinierte in der Landesschulbehörde für 13 Jahre ein Team von Fachkräften für Arbeitssicherheit und unterstützte die öffentlichen Schulen in Südostniedersachen dabei, die Sicherheit und die Gesundheit der Lehrkräfte zu erhalten und zu fördern.
Zu Beginn seiner beruflichen Karriere hat der Beamte Lehrkräftefortbildungen angeboten und durchgeführt und stand den berufsbildenden Schulen der Region als externer Moderator für Fragen der Organisationsentwicklung zur Seite. Bei der Frage nach seiner Motivation muss ­Reinke nicht lange überlegen: „Ich bin fest davon überzeugt, dass die Gestaltung der sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz, im Bildungsbereich und in Gewerkschaften unsere Gesellschaft zusammenhalten. Daher ist mein ehrenamtliches Engagement mein kleiner Beitrag zum Kitt der Gesellschaft.“ Er habe gelernt, dass man alleine wenig erreiche und dass Solidarität eine geeignete Strategie gegen jede Form von Benachteiligung sei.
Zuhause stößt der Familienvater auf viel Verständnis für seine Ehrenämter. Schließlich ist seine Ehefrau, ebenfalls Berufsschullehrerin, auch seit 32 Jahren IHK-Prüferin. Die gemeinsame Tochter steht schon auf eigenen Beinen. Wenn Hans-­Ulrich Reinke aber mal Zeit findet, dann ist er gerne mit dem Wohnmobil in Europa unterwegs oder verköstigt ganze Schulklassen, Kollegen und Freunde mit Pizza und Flammkuchen aus dem eigenen Holzbackofen im Garten.
ar