Pressemeldung

Das Gespenst der Deindustrialisierung geht um

Ist Deutschland angesichts der explodierenden Energiepreise noch ein wettbewerbsfähiger Standort für die heimische Industrie? Kann das Land sich ein Abwandern von Herstellern hochwertiger Rohstoffe leisten, was es noch mehr in globale Abhängigkeiten treiben würde? Die Mitglieder des IHK-Gremiums Schwandorf befassten sich auf dessen jüngster Sitzung in Wernberg-Köblitz mit weitreichenden Standortfragen.
„Die Energieversorgung hat sich zur größten Herausforderung unserer Unternehmen entwickelt. Noch nie war die Gefahr einer Deindustrialisierung so groß wie heute. Sie hätte verheerende Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft“, fasste Gremiumsvorsitzender Hubert Döpfer, Inhaber der Döpfer-Schulen, die Diskussion im Gremium zusammen.

Strom- und Gasmarkt wird volatil bleiben

Gremiumsmitglied Johannes Heckmann, Vorstandsvorsitzender der Schwandorfer Nabaltec AG, prognostizierte die Entwicklung bei den Energiepreisen. Der Strom- und Gasmarkt werde noch bis 2024 sehr volatil bleiben. Energie werde auch danach nie wieder so günstig sein, wie man es gewohnt war. „Mit Blick auf die internationale Konkurrenz ist die Benachteiligung in Deutschland produzierender Unternehmen angesichts der explodierenden Energiepreise heute schon Realität“, warnt Heckmann. Er sieht auch innerhalb der EU-Länder Interessenskonflikte aufkeimen, was die Energiepolitik anbelangt. „Deutschland wird bei alledem den Ausbau erneuerbarer Energien forcieren. Das Problem dabei ist, dass Erneuerbare Energien nicht für grundlastfähigen Strom geeignet sind.“
Gerade diesen bräuchten jedoch viele Betriebe. „Schlimmstenfalls könnten Industriebetriebe aus Deutschland abwandern und in Länder gehen, die ihnen für die nächsten zehn bis 20 Jahre verlässlichere Energiebedingungen bieten.“ Den heimischen Rohstoffproduzenten werde angesichts der horrenden Energiepreise aktuell nichts anderes übrigbleiben, als die Preise an ihre Kunden weiterzugeben. „Keiner kann es sich leisten, die Kosten aufzufangen“, so Heckmann. Das wiederum werde zu einer anhaltend hohen Inflation auch in den nächsten Jahren führen.

Wenn selbst Pappschachteln fehlen

Thomas Reiß, Leiter Energiehandel und Vertrieb bei den Stadtwerken Amberg, einem zentralen Versorger in der Region, erläuterte die derzeit schwierige Preisgestaltung aufgrund der Situation auf den Energiemärkten. „Unsere Kunden konnten die letzten Jahre meist Festpreisverträge von Laufzeiten bis zu 36 Monaten abschließen. Wir müssen bei den Großverbrauchern jetzt immer mehr auf Spotmarktverträge umstellen.“ Das nehme den Firmen Planungssicherheit. Und die wiederum sei Gift für wirtschaftlichen Weitblick.
„Die Motivation in Neuinvestitionen schwindet bei den Unternehmen“, stellte Gremiumsmitglied Christian Weigert von der Weigert Transport GmbH resigniert fest. „Es ist kaum auszudenken, in welch internationale Abhängigkeiten sich Deutschland noch begeben würde, wenn Rohstoffproduzenten und -Veredler angesichts der Energiemisere abwandern müssen“, stimmte Hans-Thomas Wittleben St. Nikolaus Apotheke in Schwarzenfeld nachdenklich. In seiner Apotheke konnte er den Kunden schon nicht einmal mehr Paracetamol anbieten – nicht, weil es an Tabletten fehlte, sondern weil der Arzneimittelhersteller keine Pappschachteln mehr geliefert bekam und die Ware so nicht ausliefern durfte.

In den Minen der Zukunft

Einen nachhaltigen Weg aus der Rohstoff-Misere zeigt die Roth International GmbH auf, die innovative Recyclingverfahren aufbaut. Unternehmer Michael Roth führte die Mitglieder des Gremiums vor der Sitzung durch seinen Betrieb, der sich vor allem auf die Wiederverwertung von Windkraftanlagen, Flugzeugen und Elektrobatterien im Automobilbereich fokussiert. Roth führt etwa Carbonfaser- und Glasfaserverstärkte Kunststoffe sowie Lithium-Ionen-Akkus aller Größen zurück in den sekundären Rohstoffmarkt. Er ist dabei eng mit den Herstellern und der Forschung verwoben und baut Know-how für eine zukunftsorientierte Kreislaufwirtschaft auf. „Sie betreiben modernen Bergbau“, meinte ein Gremiumsmitglied beeindruckt während der Führung.
(15.11.2022)