„Große Herausforderung“ 21.3.2024

IHK-Hauptgeschäftsführer Rentschler: "Energiewende erfordert massiven Netzausbau und enorme Investitionen."

Für IHK-Hauptgeschäftsführer Thilo Rentschler ist die Energiewende eine Operation am offenen Herzen: Wenn Bayern und Baden-Württemberg ihr Ziel erreichen wollen, bis zum Jahr 2040 klimaneutral zu sein, müssen nicht nur die Netze massiv ausgebaut werden, sondern sind auch gewaltige Investitionen nötig. Allein im Gebiet der Netze ODR, der Netztochter der EnBW ODR, die nach eigenen Angaben 185.000 Strom- und 18.000 Gaskunden  zwischen Hohenloher Ebene und dem Donauried, zwischen dem Welzheimer Wald und dem Ries zuverlässig und sicher mit Energie beliefert, beläuft sich der Bedarf in den Jahren zwischen 2031 und 2045 auf 3,8 Milliarden Euro. Das sind pro Jahr 250 Millionen, was fast eine Verzehnfachung der 30 Millionen Euro bedeutet, die das Versorgungsunternehmen zur Zeit jährlich investiert. Diese Zahlen hat der kaufmännische Vorstand Frank Reitmajer bei einer Veranstaltung im Bildungszentrum der IHK Ostwürttemberg in Aalen genannt.

Er machte zugleich deutlich, dass es eine große Herausforderung sein wird, nicht nur diese Summen zu mobilisieren, sondern auch die dafür notwendigen Firmen, Zulieferer und Fachkräfte zu finden. Dabei seien Ostwürttemberg und das Ries bereits eine Energiewenderegion, assistierte Matthias Steiner, der Chef der Netze ODR. Trotzdem sei dies erst der Anfang. Allerdings wäre es jetzt noch nicht möglich, jedes Jahr eine viertel Milliarde zu investieren, selbst wenn das Geld da wäre.
„Der Markt schafft die Mengen noch nicht. Das alles ist enorm herausfordernd!“

Das Interesse an der Gewinnung von Energie aus den Erneuerbaren hat sich den Referenten zufolge zwischen 2017 und 2023 um den Faktor 17 gesteigert. So hat sich die Einspeisemenge bei der Netze ODR von knapp 100 Megawatt pro Jahr in 2017 auf inzwischen 1,5 Gigawatt gesteigert. Auf 30 Prozent der Dächer seien inzwischen Photovoltaikanlagen installiert. Es gebe enorme Wachstumsraten beim Ausbau der Erneuerbaren. Um aber die Klimaneutralität zu schaffen, müssten die Netze, die jetzt weitgehend gesättigt seien, massiv ausgebaut, nahezu verdoppelt werden. Außerdem müssten die alten Netze ertüchtigt werden.

Die Herausforderung dabei: Die Einspeisung und der Bezug von Energie müssen jede Sekunde im Gleichgewicht sein. Aber: Im Winter sei man auf Importe angewiesen, während man es im Sommer es tagsüber in der Regel mit einem Überangebot zu tun habe. Diese so genannte Volatilität werde immer größer. Steiner stellte aber auch klar, dass er die Gefahr eines Blackouts für sehr gering hält. Die Versorgungssicherheit sei gegeben, aber es sei auch ein großer Energiehunger da.

Das alles schlage sich im Strompreis nieder. Auch die Netzentgelte werden massiv steigen, sagte Steiner voraus. Sie könnten sich bis 2045 verdreifachen. Bezahle man jetzt zwölf Cent pro Kilowattstunde, so werde dieser Preis auf 35 Cent steigen, so viel, wie man jetzt insgesamt für die Kilowattstunde Strom bezahle. Und dies treffe allein die Verbraucher, denn die Einspeiser würden nicht zur Kasse gebeten. Man müsse darüber nachdenken, ob diese Regelung beibehalten wird, sagte Reitmajer. Dieser dramatische Anstieg der Kosten werde für die Industrie ein großes Problem sein, zumal die Lasten der Energiewende ungleich verteilt seien.

Die Entgelte seien nicht in allen Regionen gleich, die mit viel Erneuerbaren wie Ostwürttemberg/Ries seien besonders betroffen. Das wolle die Bundesnetzagentur ändern, für die Ostalb und das Ries wäre das sehr gut, sagte Steiner.
„Denn unsere Region ist auf Platz 5 in Deutschland!“
Um die gewaltigen Investitionen zu schultern, brauche es attraktive Rahmenbedingungen und Anreize für private Investoren, war er sich mit Frank Reitmajer einig. Auch müsse der Ausbau der Übertragungsnetze von Nord nach Süd deutlich beschleunigt werden, es brauche bundesweit einheitliche Netzentgelte für die Industrie und den Abbau der „Genehmigungsbürokratie“, wie es die Referenten nannten. Und nicht zuletzt:
Energie müsse gespart werden, indem man sie möglichst effizient nutze.

Damit Baden-Württemberg bis 2040 klimaneutral wird, müssen die Kommunen mitziehen. Die Stadt Aalen will dieses Ziel bereits im Jahr 2035 erreichen. „Das ist übermorgen“, sagte Norbert Saup von den Stadtwerken Aalen. Er referierte zum Thema „Kommunale Energieleitplanung – Herausforderung und Chance für Stadtwerke“. Als Elemente eines kommunalen Wärmeplans nannte er eine Bestands- und eine Potenzialanalyse, ein Zielszenario und eine Wärmewendestrategie. Im Energieleitplan sei der Strom ebenso berücksichtigt wie der Verkehr, wobei zu bedenken sei, dass Aalen mit 50 Prozent einen hohen Industrieanteil habe.

Es sei fraglich, ob die Energiewende mit den heutigen Mitteln umzusetzen sei. Die Herausforderungen seien gewaltig und es brauche ein Finanzkonzept, denn das Geld könne man sich nicht einfach bei der Bank holen, und man brauche operative Umsetzungskapazitäten. Es bestehe dann aber auch die Chance, dass der Anteil der importierten Energie zurückgehe zugunsten der einheimischen, selbst produzierten. Damit würde auch das Geld in der Region bleiben.

IHK-Hauptgeschäftsführer Thilo Rentschler nannte die Energiewende eine Operation am offenen Herzen. Es gehe um eine sichere und bezahlbare Energie und um einen Systemwechsel, für den man Zeit und viele Überlegungen brauche. Hinzu komme, dass dies in Konkurrenz zu vielen anderen drängenden Themen stehe wie etwa dem der äußeren Sicherheit angesichts des Krieges in der Ukraine. Wegen ihm sei die Lage nicht normal und die Bundesrepublik befinde sich in einer wirtschaftlichen Rezession, die Volkswirtschaft sei stark belastet. Der Krieg habe zu einem Energiepreisschock geführt, den der Staat mit viel Geld abzufedern versuche.
Die Region warte jedoch nicht auf Lösungen, sie habe mit der Zukunftsoffensive beschlossen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. An die Politik appellierte er, diese Herkulesaufgabe, wie er es nannte, gemeinsam zu lösen, unabhängig von der jeweiligen Parteifarbe. Auch die Direktorin des Regionalverbandes Ostwürttemberg, Franka Zanek, unterstrich, dass die Energiewende ein Anliegen der ganzen Region sei. Die rege Diskussion moderierte Erhard Zwettler, bei der IHK stellvertretender Bereichsleiter Standortpolitik und Unternehmensförderung.