„Das Land von den Fesseln der Bürokratie befreien“

Herzlichen Glückwunsch, Herr Kirschenmann, Sie wurden jetzt als Präsident unserer IHKLW  wiedergewählt. Wie starten Sie in Ihre zweite Amtszeit?
Hoch motiviert. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen in der Vollversammlung, dem Präsidium und mit dem Hauptamt. Und auf einen kritisch-konstruktiven Dialog mit der Politik.
2019 haben Sie Ihre Präsidentschaft unter das Motto „Deutschland muss schneller werden“ gestellt. Ist das noch aktuell?
Leider ist das noch sehr aktuell. Wir müssen das Land von den Fesseln der Bürokratie befreien. Wir brauchen günstigere Energiepreise und einen schnelleren Ausbau der Erneuerbaren, deutlich mehr Tempo bei Planungs- und Genehmigungsverfahren und Erleichterungen bei der Zuwanderung von Fachkräften. Laut unserer aktuellen Konjunkturumfrage sehen fast zwei Drittel der Unternehmen die wirt­schaftlichen Rahmenbedingungen hierzulande als größtes Geschäftsrisiko. Wir beobachten eine erhebliche Verunsicherung und Unzufriedenheit in der regionalen Wirtschaft, die durch immer neue und kostensteigernde Vorgaben der Politik genährt werden. Dass inzwischen fast jeder zweite Industriebetrieb in Niedersachsen angibt, Teile seiner Produktionska­pa­zi­täten ins Ausland zu verlagern, ist ein deutliches Alarmsignal.
Der Wirtschaftsstandort Niedersachsen verliert an Attraktivität – genauso wie Deutschland insgesamt. Was schlagen Sie vor?
Wir brauchen einen Neustart in der Wirtschaftspolitik. Es kann doch nicht sein, dass wir beim Wirtschaftswachstum das Schlusslicht unter den Industrienationen sind. Die Attraktivität des Standorts hat gerade aufgrund der Energiepreise für viele Industrieunternehmen extrem abgenommen. Die DIHK hat berechnet, dass ein industrieller Mittelständler durch die Erhöhung der Netzentgelte und des Co2-Preises etwa 300.000 Euro mehr bezahlen muss, eine größere Spedition kommt schnell auf Mehrkosten in zweistelliger Millionenhöhe. All das bedeutet eine massive Belastung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Mitgliedsunternehmen. Hinzu kommen die oben genannten Bürokratielasten sowie die Defizite bei Infrastruktur und Digitalisierung. Aktuell leidet das Land unter der noch zu hohen Inflation, hohen Zinsen, schwachem Konsum, geringer Investition und der allgemeinen Verunsicherung bei Beschäftigten und Unternehmen. Nach der Auffassung führender Ökonomen sind wir nur noch bedingt wettbewerbsfähig. Diesen Herausforderungen müssen wir endlich schnell und entschlossen entgegensteuern.
Mehr Tempo wünschen Sie sich auch bei Genehmigungsverfahren. Können Sie ein Beispiel dafür geben, wo es hakt?
Nehmen wir konkret eine Bauge­neh­mi­gung für eine einfache Gewerbehalle. Das waren früher zwei Seiten, heute müssen mindestens 30 Seiten mit umfangreichsten Nebenbestimmungen beachtet werden. Das ist grotesk. Mit Detailsteuerung und sich widersprechenden Vorschriften überfordert der Staat nicht nur die Wirtschaft. Er überfordert auch zuletzt sich selbst. Es werden Regeln, Pflichten, Vorgaben geschaffen, die am Ende gar nicht effektiv kontrolliert werden können, weil die Leute fehlen.
Wie stellen Sie sich den Neustart in der Wirtschaftspolitik vor, was wünschen Sie sich?
Was wir brauchen sind bessere Rahmenbedingungen für die Unternehmen, Entlastung bei Steuern und Bürokratie, Fokus auf Wachstum und Beschäftigung und nicht ausschließlich auf Klimaneutralität. Wenn nicht jetzt schnell die richtigen Entscheidungen getroffen werden, droht die Abwanderung vieler Unternehmen ins Ausland. Das gilt es zu verhindern! Nicht zuletzt deshalb, weil wirtschaftliche Stabilität Sicherheit und Zufriedenheit bei den Menschen schafft, den sozialen Frieden und die Demokratie sichert.
Was stimmt Sie in der aktuellen Situation positiv?
Ich erlebe unsere mittelständisch geprägte Wirtschaft als ausgesprochen innovativ. Die Unternehmen stellen sich den aktuellen Herausforderungen mit ganzer Kraft. Punkten können wir nach wie vor auch mit der dualen Berufsausbildung, die gut ausgebildete Fachkräfte hervorbringt. Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir im weltweiten Vergleich in einem sehr hoch entwickelten Land leben, in dem Vieles gut funktioniert und in dem wir in Freiheit leben. Das zeigt sich auch darin, dass aktuell viele Menschen auf die Straße gehen, um für den Schutz der Demokratie zu demonstrieren, was mich persönlich und als Unternehmer sehr freut.
Sandra Bengsch
IHK Lüneburg-Wolfsburg
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