China im Wandel: Szenarien für die Wirtschaft
Wie sich Chinas vom Wachstumsmarkt zum systemischen Rivalen entwickelt: Mirjam Meissner, Managing Partner bei der Berliner China-Beratung Sinolytics über spricht über geopolitische Szenarien für Unternehmen – und wie sie sich strategisch wappnen können.
Miram Meisser ist Expertin für Marktregulierung, Cybersicherheit und Technologiepolitik in China.
Frau Meissner, wie hat sich die Wahrnehmung Chinas als Wirtschaftsstandort in den letzten Jahren verändert und welche geopolitischen Szenarien halten Sie mit Blick auf die nahe Zukunft für wahrscheinlich?
China galt vor wenigen Jahren noch als „Wachstumsmarkt mit politischen Eigenheiten“, heute wird es als systemischer Rivale mit staatlich gelenkten, strategischen Ambitionen wahrgenommen. China verfolgt eine konsequente, langfristig ausgerichtete Strategie: Technologische Eigenständigkeit, nationale Sicherheit und die Kontrolle über kritische Infrastruktur stehen im Zentrum der Industriepolitik. In vielen Bereichen hat China bereits erfolgreich ausländische Technologien ersetzt und eigene Champions aufgebaut, weitere werden folgen. Dies führt zu einer massiven globalen Fragmentierung, was durch US-Exportkontrollen und „China-clean“-Initiativen zusätzlich verstärkt wird. Ich halte das Fortschreiten dieser Fragmentierung bis hin zu einer weitgehenden Trennung der Welt in zwei Technologiewelten als das wahrscheinlichste geopolitische Szenario. Unternehmen werden sich in dieser Welt zu bipolaren Organisationen entwickeln, mit weitgehend separater Produktentwicklung, IT-Anwendungen und Dateninfrastruktur für die US-orientierten Länder einerseits und die China-orientierten Länder andererseits. Wer nicht in beide Technologie-Stacks investieren kann oder will, wird sich für eine Seite entscheiden müssen. Insbesondere für mittelständische Unternehmen stellt das ein erhebliches Risiko dar.
Technologische Eigenständigkeit, nationale Sicherheit und die Kontrolle über kritische Infrastruktur stehen im Zentrum der Industriepolitik.
Wie können Unternehmen den Balanceakt zwischen Marktchancen in China und geopolitischen Risiken meistern?
Der Schlüssel liegt in einem strategischen „China De-Risking“ in Kombination mit einer „China-für-China“ Strategie. Dazu zählt die Segmentierung des China-Geschäfts durch die Trennung von globalen und lokalen IT-Systemen, separaten Datenflüssen und lokaler Produktentwicklung ebenso wie die Diversifizierung der Lieferketten und ein tiefes Verständnis und kontinuierliches Monitoring der chinesischen Wettbewerber und der China-spezifischen politischen und regulatorischen Dynamiken. Kein Unternehmen sollte heute in China ohne Notfallpläne agieren. Ziel muss es sein, dass das China-Geschäft lokal so aufgestellt ist, dass es im Ernstfall auch ohne Unterstützung des Headquarters funktionsfähig bleibt.
Kein Unternehmen sollte heute in China ohne Notfallpläne agieren.
Welche Empfehlungen würden Sie speziell mittelständischen Unternehmen geben, die oft weniger Ressourcen für komplexe Risikomanagementstrategien haben?
Mittelständische Unternehmen stehen im Wettbewerb mit in hohem Maße vertikal integrierten chinesischen Playern. Um in diesem Wettbewerb bestehen zu können, ist es dringend nötig sich zusammenzuschließen: von gemeinsamen Einkaufsplattformen und Vertriebsstrukturen, über geteilte Compliance- und Monitoring-Tools, bis hin zu vertikalen Zusammenschlüssen entlang der Wertschöpfungskette. Die Fähigkeit, Ressourcen zu bündeln und gemeinsam zu skalieren ist kein „Nice-to-have“ mehr, sondern eine strategische Notwendigkeit. Interview: Christiane Hewner
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Michael Wilkens