„Recruiting funktioniert heute wie Sales“

Prof. Dr. Antje-Britta Mörstedt spricht bei der Jahreskonferenz der Allianz für Fachkräfte am 29. April in Lüneburg über Chancen und Möglichkeiten der Berufsorientierung.
Wie würden Sie die Generation beschreiben, die aktuell beim Thema Berufsorientierung im Mittelpunkt steht?
Keine Generation ist so divers wie diese. Es gibt weniger junge Leute als früher, und wir haben einen Fachkräftemangel. Daher schauen wir viel genauer hin und haben manchmal das Gefühl, von ihnen wolle niemand mehr arbeiten. Es gibt einen generellen gesellschaftlichen Trend, weniger zu arbeiten. Die Jungen haben ihre Eltern beim Burn-out beobachtet und sagen, das wollen sie nicht. Und wenn auf TikTok freitags ständig dicke Katzen ins Wochenende tanzen, montags alle jammern und gegen die Rente mit 70 schimpfen, was wundern wir uns dann? Wir selbst vermitteln ja gar nicht, wie toll es ist, Arbeit zu haben. Mit dem Begriff Work-Life-Balance können die Jungen nichts anfangen, weil sie sagen: Bei der Arbeit lebe ich doch auch.
Was also ist zu tun?
Wir müssen den jungen Leuten den Sinn und Nutzen einer beruflichen Erstausbildung vermitteln. Wir müssen ihnen klar machen, dass das keine irreversible Lebensentscheidung ist. Ich selbst bin gelernte Industriekauffrau, das hilft mir sehr, weil ich weiß, wie Arbeit geht. In dieser Welt ohne Struktur dürfen wir ihnen nicht einfach sagen: Mach, was dir Spaß bringt. Denn das können die meisten doch gar nicht wissen bei 450 verschiedenen Ausbildungen und 21.000 Studiengängen.
Die Jungen brauchen also mehr Informationen. Auf welchen Wegen können wir sie denn erreichen?
Die IHKs und die Arbeitsagentur müssen die Jungen auf TikTok ansprechen, eventuell auch auf Instagram, und zwar nicht so kleinteilig wie bisher, sondern als Bundesinitiativen. Die Eltern erreicht man auf Facebook. Die IHKs sollten zudem Infoabende für Eltern anbieten und ihnen erklären, welche Berufsausbildungen es gibt (Anm. d. Red.: Die IHKLW bietet solche Elternformate an). Es muss weiterhin Messen geben, sie sollten Eventcharakter haben. Die jungen Leute sollen dort selbst etwas tun, etwas ausprobieren können. Oder wie wäre eine Nacht der Bewerbungen? Wir müssen uns strecken und aufhören, an die Zeit zurückzudenken, als es mehr junge Menschen als Ausbildungsplätze gab.
Was sollten Unternehmen auf jeden Fall sein lassen?
Sie sollten aufhören, die Hürden so hoch zu legen. Wozu brauche ich ein Anschreiben, das eh ChatGPT formuliert hat? Dann doch lieber eine echte Nachricht über WhatsApp! Recruiting funktioniert heute wie Sales.
Wenn wir die Jungen dann für uns gewonnen haben: Wie halten wir sie?
Durch Führung auf Augenhöhe. Mit Wertschätzung, Transparenz, Vertrauen und Coaching im Sinne von Motivation. Wir führen heute keine Gruppe mehr, sondern Individuen. Aber, und das ist ganz wichtig: Wir dürfen bei all dem die Älteren nicht vergessen. In der Führung geht es heute immer darum, die Generationen zu verbinden. Wir dürfen den Fokus nicht nur auf die Zettis legen. Wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir die Babyboomer länger an uns binden – und alle Generationen dazwischen.   
Carolin George

„Fit für den Nachwuchs? – Chancen und Möglichkeiten der Berufsorientierung“: Unter diesem Titel laden die 14 Bündnispartner der Allianz für Fachkräfte Nordostniedersachsen am 29. April zur Jahreskonferenz in das Kurhaus Bad Bevensen ein. Ab 14 Uhr erwartet die Teilnehmenden ein Vortrag von Frau Prof. Dr. Mörstedt, außerdem stehen Fachforen rund um die Themen Berufsorientierung und Nachwuchsgewinnung auf dem Programm.

Weitere Details und Anmeldung: Jahreskonferenz der Fachkräfteallianz Nordostniedersachsen 2024


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