„KI wird nicht ernst genug genommen“

An Künstlicher Intelligenz geht kein Weg vorbei. Und wenn wir bei der Technologie nicht auf China angewiesen sein wollen, muss sich Europa dringend weiter für das Thema öffnen – und juristisch nachbessern, sagt KI-Experte und Unternehmer Carsten Kraus. Am 11. April spricht er beim IHKLW-GedankenGut-Netzwerkabend in Lüneburg.
Herr Kraus, es heißt, KI werde die Welt ähnlich revolutionär verändern wie es einst das Fließband und das Internet getan haben. In Bezug auf Internet und Smartphone wissen wir heute, dass sie eine disruptive Wirkung hatten, auf die wir nicht vorbereitet waren. Nehmen wir KI ernst genug?
Manche sagen sogar, KI wird in den nächsten 20 Jahren die Welt stärker verändern als alle anderen Technologien zusammen in den letzten 100 Jahren. Das halte ich für plausibel. Jetzt gerade haben wir den „Elektromotor-Moment“: KI-Technologien wie ChatGPT sind so einfach einzubauen wie ein Elektromotor. Bei dem muss auch kein Nutzer wissen, wie er genau funktioniert, aber er steckt im Fön, in der Waschmaschine, im Fensterheber – in allen möglichen Produkten, die wir im Alltag nutzen, ohne darüber nachzudenken. So ähnlich ist es mit „Large Language Models“ wie ChatGPT. Das sind sehr komplexe Gebilde, die aber einfach in eine Software integriert werden können. Sie sind noch nicht 100 Prozent zuverlässig, aber funktionieren ganz ordentlich. Und weil das so einfach geworden ist, wird KI in den nächsten Jahren noch viel breiter genutzt werden.
Sind wir ausreichend darauf vorbereitet?
Europa nimmt das Thema auf die falsche Weise ernst, indem versucht wird, KI zu verhindern. Das ist sehr gefährlich für die europäische Volkswirtschaft. Vor zehn Jahren wäre es sinnvoll gewesen, zu regulieren, denn damals war China noch nicht im Spiel. Doch jetzt hängt Europa anderen Regionen in der Welt hinterher und wir beschränken uns noch zusätzlich. Die anderen werden das nicht tun, im Gegenteil. China versucht mit aller Kraft, KI-Chips zu entwickeln, bis 2030 möchte das Land uneinholbar Weltmarktführer sein. In den USA haben Unternehmen, die einzeln so groß sind wie die belgische Volkswirtschaft, die gleichen Bestrebungen und pumpen sehr viel Geld in die Entwicklung. KI transportiert auch Werte, und wenn Europa nicht mitzieht, nutzen wir KI, die auf einem anderem Wertesystem als dem europäischen basiert. Das kann drastische Folgen auch für die Demokratie haben. Das können wir nicht wollen. Also nein, das Thema wird nicht ernst genug genommen.
Können Sie das konkretisieren – was müsste denn jetzt getan werden?
Mal ein Vergleich: China gibt nach eigenen Angaben 150 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren für die KI-Entwicklung aus. Allein die Stadt Beijing hat zwei Milliarden Euro in einen KI-Park gesteckt. Deutschland hat die Förderung zwar um zwei Drittel erhöht – auf fünf Milliarden Euro in fünf Jahren. Aber für KI und Wasserstoff zusammen. Man kann Wasserstoff fördern, aber wenn dadurch Mittel für die KI fehlen, setzt man aufs falsche Pferd. Wasserstoff ist lediglich eine Technologie, die möglicherweise Speichermöglichkeiten für den grünen Strom, den wir erzeugen wollen, bringen wird. Aber KI als Querschnittstechnologie zieht sich durch sämtliche Branchen und Produkte und wird schon bald eine sehr wichtige Grundlage für unser ganzes Wirtschaften darstellen. Es ist eine Katastrophe, wenn wir da nicht eine entsprechende Rolle in der Welt spielen. Die Verhältnisse sind völlig falsch.
Mal ab von den Fördermitteln – in welchen Branchen sehen Sie aktuell die größten Defizite?
Ich glaube, das zieht sich durch alle Branchen. Aktuell haben viele Unternehmen das Problem, dass die Investitionen, die sie tätigen wollen, durch den AI-Act, dem Gesetz der Europäischen Union zur Künstlichen Intelligenz, bürokratisiert und verkompliziert werden können…
Das EU-Parlament hat kürzlich dem AI-Act zugestimmt. KI-Systeme sollen künftig in verschiedene Risikogruppen eingeteilt werden – je höher die potenziellen Gefahren, desto höher sollen die Anforderungen sein.
Genau, ich habe circa 300 Arbeitsstunden hineingesteckt, das Gesetz – so, wie es jetzt kommen soll – zu verhindern oder zumindest abzumildern, habe mit Parlamentariern gesprochen und Forderungen eingebracht, um den Mittelstand zu schützen. Jetzt ist es aber so: Im Zweifel müssen Unternehmen ganz genau prüfen, ob sie eine Anwendung nutzen dürfen – beispielsweise, ob alles altersgerecht, gendergerecht, umweltverträglich, demokratisch korrekt ist. Alle Prüfungen müssen dokumentiert werden, was sehr aufwändig ist, denn das Gesetz ist in seiner Anwendung noch komplizierter als die DSGVO. Das Anliegen ist richtig, aber in der Praxis bedeutet es, dass die Unternehmen auf KI-Experten angewiesen sind und sich diese Prüfungen im Zweifel nicht leisten können, wenn sie nicht Google heißen. Ich halte es deswegen für sehr wichtig, dass möglichst viele Anwendungen, die eindeutig erlaubt sind, bekannt gemacht werden. Andernfalls trauen sich viele Mittelständler womöglich nicht an das Thema heran, weil Verstöße sehr teuer sind – und das ist fatal. Grundsätzlich sollten Gesetze so gemacht werden, dass jeder sie verstehen kann. KI ist ein so zentrales Thema, das alle Unternehmen in der EU betrifft, da muss auf jeden Fall nachgebessert werden.
Was raten Sie Unternehmer*innen, die das Thema KI angehen und für sich nutzen wollen?
KI hat eine unglaublich breite Spanne von möglichen Anwendungen. Sie kann in einer Maschine eingebaut sein und erkennen, wenn etwas falsch läuft, Öl nachgefüllt werden muss oder ähnliches. Was in der Vergangenheit oft teuer war, ist nun viel billiger. Es gibt KI, die vorhersagt, welcher Kunde demnächst abwandert oder was man dem Kunden zusätzlich anbieten sollte. Zum Teil gibt es das schon seit 20 Jahren, aber vielen Firmen nutzen es trotzdem noch nicht. Als Faustregel gilt: Alles, was nicht mit Menschen zu tun hat, sondern beispielsweise Maschinen optimieren soll, ist nicht im AI-Act geregelt, kann also bedenkenlos genutzt werden. Mein Ratschlag: Probiert, bevor das Gesetz in Kraft tritt, so viel wie möglich aus! So weiß man, wo es sich lohnt, später den Aufwand einer juristischen Prüfung zu betreiben. Und: Bezieht KI in jedes größere Meeting ein. Reserviert zehn Minuten, um zu überlegen, wie KI bei der Lösung des jeweiligen Problems helfen könnte. Mit der Zeit etabliert sich diese digitale Transformation im Denken. Anne Klesse

IHKLW-GedankenGut: „KI: Die neue Elektrizität für unsere Zukunft!“
11. April, Webnetz-Campus, Lüneburg
Einlass ab 18 Uhr, Beginn 18.45 Uhr
Künstliche Intelligenz spielt längst eine große Rolle in unserem Alltag – sie wird in Smartphones genutzt, in Dating-Apps und Autos. Doch welchen Einfluss hat KI auf Unternehmens-Prozesse und das wirtschaftliche Handeln? Warum ist ihr Einsatz in Unternehmen keine Option, sondern eine Notwendigkeit? Wie transformiert KI unsere Welt und welche Rolle wird der Mensch künftig spielen? Der Unternehmer und KI-Experte Carsten Kraus führt die Gäste durch die spannenden Entwicklungen von heute und morgen. Ein inspirierender und visionärer Einblick in die revolutionäre Welt der KI. Die Veranstaltung ist bereits ausgebucht. Sie können sich noch auf die Warteliste setzen lassen per Mail an IHKLW-Mitarbeiterin Britta Köhn, britta.koehn@ihklw.de