Mit Neuroleadership motivierend führen

Wie gehirngerechte Führung zu mehr Zufriedenheit von Mitarbeitenden führen kann: Kristin Fuchs, Expertin für Persönlichkeitsentwicklung und Motivation, über unterschiedliche Typen und wie sie am besten eingesetzt werden.

Frau Fuchs, Sie beschäftigen sich seit etlichen Jahren mit Motivation und Persönlichkeit. Obwohl jeder Mensch ein Individuum und zudem durch die eigene Sozialisation unterschiedlich geprägt ist, funktionieren wir mit denselben Grundmotiven. Können Sie das erklären?
Kirstin Fuchs sitzt im Schneidersitz auf einer grauen Betonmauer.
Kristin Fuchs ist Coach für berufliche Orientierung und Teamtrainerin in Lüneburg. Seit 2008 beschäftigt sie sich intensiv mit Persönlichkeitsentwicklung und Mitarbeitermotivation. © privat

Kristin Fuchs: Es geht darum, zu verstehen, was uns antreibt. Wir alle erwarten unbewusst oder bewusst Belohnung. Entweder in uns selbst oder von außen. Aber in jedem Fall ist alles, was wir tun, irgendwie mit Belohnung verbunden, sie treibt uns an. Doch inwiefern wir Belohnung empfinden, ist bei jeder Person unterschiedlich. Ich arbeite nach dem sogenannten Motivkompass von Dirk Eilert. Danach hat jeder Mensch vier Grundmotive bzw. Belohnungsmotive: Inspiration und Leichtigkeit, Stabilität und Ordnung, Durchsetzung und Einfluss, Harmonie und Geborgenheit. An diesem Modell hat mich unter anderem überzeugt, dass tatsächlich berücksichtigt wird, was im menschlichen Gehirn passiert.
Und dieses Modell lässt sich auch für die Führung von Mitarbeitenden nutzen?
Fuchs: Genau. Ich spreche da von Neuroleadership oder gehirngerechter Führung. Dabei werden die Grundmotive berücksichtigt und zum Verständnis der Unterschiedlichkeit von Motivation genutzt. Mir ist wichtig, dass es beim Thema Führung nicht allein um die Führung anderer geht – sondern sie fängt bei der Selbstführung an. Wenn ich verstehe, wie ich selbst ticke, was mich antreibt, was mich stresst, wann ich Belohnung empfinde, dann habe ich auch eher ein Verständnis dafür, wie das bei anderen ist. Immer spielen die vier Grundmotive eine Rolle.

Wer sich selbst gut einschätzen kann – also weiß, was ihn oder sie selbst motiviert oder demotiviert, kann auch Kolleg*innen oder Mitarbeitende besser verstehen und Teams zusammensetzen?
Fuchs: Das ist der Ansatz. In Einzelcoachings mit Führungskräften höre ich oft, wie erhellend und nachvollziehbar das Modell sei. Bei einer gehirngerechten Führung geht es nicht darum, Menschen in die gewünschte Richtung zu lenken. Sondern darum, zu verstehen, durch welche individuellen Grundmotivationen die Personen überwiegend angetrieben sind. Wir sind alle durch die vier Grundmotive geprägt, werden aber in unserer natürlichen Persönlichkeitsstruktur von zwei dieser vier Grundmotive dominiert, haben sozusagen alle unsere natürliche Komfortzone. Diese können wir zum Beispiel durch Persönlichkeitstests, aber auch durch gute Beobachtung herausfinden und sinnvoll nutzen.

Inwiefern?
Fuchs: Eine Person, deren Hauptmotivation Inspiration und Leichtigkeit ist, wird angetrieben durch das Motiv „Alles darf Spaß machen, alles darf neu sein“. Diese Person immer wieder auf neue Projekte zu setzen oder an andere Orte mit anderen Kulturen zu schicken, wird sie als Belohnung empfinden. Für jemanden, dessen Hauptmotiv Stabilität und Ordnung ist, wären ständig neue Jobs und neue Umgebungen tendenziell eher eine Bedrohung. Dieselbe Maßnahme kann also bei unterschiedlichen Menschen entweder motivierend oder demotivierend sein. Als Führungskraft muss ich immer verstehen, wen ich vor mir habe.

Wie wichtig ist es, die unterschiedlichen Persönlichkeitstypen innerhalb eines Teams transparent zu machen?
Fuchs: In Bezug auf das Modell wäre es natürlich ideal, Teams entsprechend der Persönlichkeitsstrukturen zusammen zu stellen und passend zu den definierten Aufgaben zu recruiten. Das ist in der Praxis oft nicht möglich. In der Regel wachsen die Führungskräfte in ihr Team rein, wenn sie befördert wurden, oder sie kommen von außen und haben es mit einem bestehenden Team zu tun. Fast immer stellt die Führungskraft irgendwann fest: Das Team funktioniert nicht, jemand sitzt auf der falschen Stelle. Dann gilt es zu gucken: Welche Persönlichkeitsstrukturen sind im Team, wie können Verständnis füreinander und Aufgabenverteilung verbessert werden? Ein Modell wie der Motivkompass kann Orientierung geben. Häufig muss gar nicht viel geändert werden, sondern es reicht die Erkenntnis, dass der eine Kollege morgens immer erst einmal etwas Smalltalk braucht oder die andere Kollegin unruhig wird, wenn eine Aufgabe nicht sofort erledigt wird. Man kann Brücken bauen. Man kann dann mit Psychoedukation weitermachen, Teamtrainings mit Selbsteinschätzung veranstalten und darin aufzeigen, warum bestimmte Aufgaben bei den Mitarbeitenden richtig oder falsch sind. Das Ganze lässt sich Theoretisch auch auf das gesamte Unternehmen übertragen. Realistisch klappt das aber leider so gut wie nie.

Bleibt denn jeder Mensch sein Leben lang durch dieselben zwei Grundmotive dominiert oder kann sich das verändern?
Fuchs: Das Gehirn verändert sich. Unter der sogenannten Neuroplastizität versteht man die Fähigkeit des Gehirns, seinen Aufbau und seine Funktionen so zu verändern, dass es optimal auf neue äußere Einflüsse und Anforderungen reagieren kann. Wir können also durchaus unser Verhalten ändern und neue Gewohnheiten etablieren. Es geht um positive Aktivierung, das Belohnungssystem im Gehirn kann positiv getriggert werden. Aus meiner Sicht ist es aber nicht möglich, die natürliche Persönlichkeitsstruktur zu verändern, die ist angeboren.
Das Interview führte Anne Klesse.
Netzwerktreffen zum Thema gesunde Führung
Das IHKLW-Netzwerk „Generationen meistern“ lädt am 30. Mai, ab 14 Uhr, zu einer digitalen Veranstaltung zum Thema „Führungsverhalten als Schlüssel zur Gesunderhaltung“. Das Netzwerktreffen ist Teil der Aktionstage "Gesundheit im Betrieb" der IHK Niedersachsen (IHKN).
Hintergrund der Veranstaltung ist, dass es neue Ansätze und Instrumente braucht, um der ansteigenden Arbeitsunfähigkeit wirkungsvoll entgegenzutreten. Eine wichtige Schlüssel-Rolle spielen dabei die Führungskräfte Es geht um individuelle, methodische Weiterentwicklung und Stärkung der Mitarbeitenden – lernen, ausprobieren, weiterlernen. Gesunde Führung und betriebliches Gesundheitsmanagement muss deshalb beim einzelnen Mitarbeitenden ansetzen. Referentin Kirstin Fuchs, Coach für berufliche Orientierung und Teamtrainerin aus Lüneburg, verbindet Management-Theorie und Wirtschaftspsychologie. Beim Netzwerktreffen wird sie auch auf den Einsatz der Neuropsychologie in der Personalentwicklung eingehen. 
Die Teilnahme an der Online-Veranstaltung ist kostenfrei. Melden Sie sich jetzt an: Führungsverhalten als Schlüssel zur Gesunderhaltung