Kulturwandel braucht Vorbilder

Um als Unternehmen erfolgreich Transformation zu gestalten, braucht es Werte und Vertrauen. Wie das gelingen kann, verrät Kulturwissenschaftlerin Sylvia W. Schweigler-Zitko.
Frau Schweigler-Zitko, haben beim Volkswagen-Kon­zern ein bestimmtes Füh­rungs­kräfteprogramm untersucht. Wo­rum ging es genau und was können andere Unternehmen von dem Fall lernen?
Das Role Model Program (RMP) bei Volkswagen wurde entwickelt, um zentrale Konzernwerte wie Vertrauen und Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu fördern. Ziel war es, bestehende Machtdistanzen abzubauen und Führung neu zu denken. Das Programm bietet praxisnahe Werkzeuge für Führungskräfte, um diese Prinzipien im Alltag zu verankern. Als Kulturwissenschaftlerin habe ich das Role-Model-Programm evaluiert und mit aktuellen Forschungserkenntnissen abgeglichen. Dabei zeigte sich: Ein Programm allein reicht nicht – es braucht glaubwürdige Vorbilder, kontinuierliche Reflexion und eine offene Diskussionskultur. Kulturwandel gelingt nur, wenn Werte nicht nur formuliert, sondern auch gelebt und überprüft werden.
Willensbekundungen in Unternehmen sind immer „nice to have“, aber nicht unbedingt praktikabel oder durch-setzbar. Wie war es bei dem genannten Programm?
Auch andersherum gibt es in der Wissenschaft Modelle, die in der Realität nicht gut anwendbar sind. Bei VW gibt es große Unterschiede zwischen den Bereichen der gewerblich Arbeitenden und denjenigen in der Wissensarbeit. An der Produktionsstraße war es kaum möglich, Kulturaktivitäten umzusetzen. Mitarbeitende an der Presse konnten beispielsweise nicht einfach ihren Arbeitsplatz für ein Teamfrühstück, bei dem über die Unternehmenskultur gesprochen werden sollte, verlassen. Solche Programme, die sich Büromitarbeitende aus meiner damaligen Abteilung mal ausgedacht haben, sind dann für einen Großteil der Belegschaft in so einem Konzern kaum umsetzbar. Und das müsste natürlich möglichst von Anfang an mitgedacht werden. Eine weitere Frage ist, inwiefern Maßnahmen überhaupt „verordnet“ werden können. Das Role-Model-Programm bei VW war bis zum Vorstand für alle Führungskräfte auf Managementebene verpflichtend. Aber Werte oder eine gewisse Grundhaltung lassen sich nicht verordnen, das hat sich in meiner Untersuchung gezeigt. In diese Richtung sollte man noch weiter forschen. Programme zur Werteorientierung können sinnvoll sein. Doch ohne breiten Konsens bleiben sie oberflächlich. Echte Veränderung braucht glaubwürdige Vorbilder in der Führung und ein Manager, der kaum präsent ist, wirkt nicht nahbarer, weil er mal eine teamförderliche Aktivität umsetzt aus dem RMP. Ein Kulturfrühstück ersetzt keine kontinuierliche Beziehungspflege. Werte entstehen im Alltag – nicht im Eventkalender.
Wie steht es denn insgesamt mit der Werte-Orientierung in Zeiten, in denen beispielsweise Diversity-Programme von heute auf morgen zurückgefahren werden?
Ich persönlich sehe solche Entwicklungen mit Sorge. Werte, denen wir uns verschrieben haben, verlieren ihre Kraft, wenn wir sie nicht leben. Klar, in unserer volatilen Umwelt verlangt das Tagesgeschäft nach schnellen Entscheidungen. Die Frage, wie wir im Team miteinander umgehen, wird häufig erst im zweiten oder dritten Schritt reflektiert und meistens erst, wenn bereits etwas Doofes vorgefallen ist. Im Alltag gibt es wenig Raum, sich der Frage zu widmen, nach welchen Prinzipien wir in der Organisation eigentlich handeln möchten. Auch in meiner Zeit bei VW habe ich mich ab und an gefragt: Wann nehmen wir uns wirklich Zeit für die Reflektion unseres Handelns? In herausfordernden Zeiten braucht es den Mut zur Selbstprüfung: Passt unser tägliches Handeln noch zu den Werten, die wir uns einst auf die Fahne geschrieben haben?
Warum nehmen sich Unternehmen nicht die Zeit, obwohl das bekannt ist?
Wir leben in einer zerbrechlichen, nicht mehr linearen Welt, in der alles sehr fragmentiert und in unglaublich schnellen Arbeitszyklen passiert. Ich denke, viele Unternehmen setzen sich hauptsächlich mit ihrem Kerngeschäft auseinander und stehen extrem unter Zugzwang. Die Frage, wie wir unser Miteinander erfolgsversprechend und nachhaltig gestalten, tritt in den Hintergrund. Das ist fatal. Klare Ziele, ein gemeinsamer Weg und wertebasierte Zusammenarbeit schaffen die Basis, um auch in volatilen Märkten zu bestehen.
Der Mensch wird beim Thema Trans­formation aktuell also oft nicht genügend mitgedacht?
Meiner Meinung nach wird der Mensch oft zu wenig mitgedacht. Bestehende Strukturen geben vermeintliche Sicherheit, doch sie ignorieren, dass Transformation nur gelingt, wenn Menschen mitgenommen werden. Unternehmenskultur ist kein statisches System – sie lebt von Beziehungen, Vertrauen und der Bereitschaft, sich immer wieder neu aufeinander einzulassen. Gerade in Zeiten des Wandels braucht es mehr Dialog, nicht weniger.
Wie lässt sich ein Kulturwandel im Unter-nehmen als Transformationsthema gezielter angehen?
Ein gezielter Kulturwandel beginnt mit einer klaren Haltung: Wofür stehen wir und was soll sich verändern? Dieses Ziel muss nicht nur definiert, sondern gemeinsam getragen werden – durch eine Koalition aus glaubwürdigen Botschafter*innen innerhalb der Organisation. Der Wandel braucht eine überzeugende Vision, eine umsetzbare Strategie und vor allem eine Kommunikation, die alle erreicht und einbindet. Teilerfolge sollten sichtbar gemacht und gefeiert werden, um Momentum zu erzeugen. Kultur lässt sich nicht verordnen – sie entsteht im täglichen Miteinander und muss immer wieder neu ausgehandelt werden. Deshalb ist Kulturwandel kein Projekt mit Enddatum, sondern ein fortlaufender Prozess, der Raum für Entwicklung und Irritation zulassen muss. Anne Klesse
IHKLW-GedankenGut
Werte schaffen Wandel – Vertrauen als Erfolgsfaktor
Um Transformation erfolgreich zu gestalten, braucht es gemeinsame Werte und Vertrauen. Die Kulturwissenschaftlerin und Wirtschaftspädagogin Sylvia Schweigler-Zitko hat ein Führungskräfteprogramm bei Volkswagen untersucht, das werteorientiertes Verhalten fördern soll. Ziel ist es, Vertrauen auf und zwischen allen Hierarchieebenen zu schaffen und einen Kulturwandel im Sinne der Konzerngrundsätze zu realisieren. Beim GedankenGut-Netzwerkabend am 20. November auf dem ADAC-Gelände in Embsen teilt sie ihre Erkenntnisse mit Ihnen und zeigt, wie wertebasiertes Handeln erfolgreich in Unternehmen implementiert werden kann. Einlass ist ab 18 Uhr, das Bühnenprogramm startet um 18.45 Uhr. Der Eintritt ist frei. Jetzt anmelden: www.ihklw.de/gedankengutinembsen