Deals mit Diktaturen 

Traditioneller Jahresvortrag der GWWG mit Prof. Dr. Frank Bösch 

Die bundesdeutsche Kooperation mit Diktaturen steht aktuell in der Kritik. Diese komplexe Thematik aus historischer Perspektive zu betrachten, dazu lud die Gesellschaft für Westfälische Wirtschaftsgeschichte (GWWG) am 12. März 2024 anlässlich ihres traditionellen Jahresvortrags ein. Rund 200 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Kultur folgten dem Vortrag des renommierten Zeithistorikers Prof. Dr. Frank Bösch, der auf Basis umfassender Archivrecherchen aufzeigte, wie die engen Beziehungen zu Diktaturen seit der Ära Adenauer systematisch aufgebaut wurden. Bösch ist seit 2011 Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) und lehrt an der Universität Potsdam. Gerade erschien sein neues Buch „Deals mit Diktaturen. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik“ (C.H. Beck), das sogleich eine große öffentliche Aufmerksamkeit erreichte.
„Nach dem Nationalsozialismus hatten viele Eliten lange ein Verständnis für antikommunistische Diktaturen. Die Förderung des Exportes und somit wirtschaftliche Interessen standen ganz im Vordergrund“, betonte Frank Bösch in seiner Analyse. Die Regierungsakten zeigen, dass Menschenrechte sehr lange auch intern nicht angesprochen wurden, da dies „deutsche Interessen“ gefährden würde. Vielmehr weist Bösch zahlreiche Zugeständnisse an Diktatoren nach. Dem Schah von Iran sicherte die Bundesregierung unter Konrad Adenauer 1955 nach einem Empfang in Deutschland etwa ein Vorgehen gegen kritische Journalisten und iranische Oppositionelle zu. Griechenlands Diktatur konnte eine Einschränkung der kritischen Berichte der „Deutschen Welle“ erreichen oder Libyens Diktator Gaddafi erwirkte die Freilassung von Terroristen.
Zugleich zeigte Bösch, wie seit den 1960er Jahren öffentliche Proteste gegen Diktaturen die Regierungspolitik beeinflussten und auch moralische Aspekte Einzug in die deutsche Außenpolitik erhielten. Dafür sorgten neben den Gewerkschaften auch die Medien mit investigativen Reportagen oder Kundgebungen von migrantischen Gruppen. Durch den öffentlichen Druck kam es punktuell zu Sanktionen und Geheimverhandlungen, die auch zur Freilassung von Inhaftierten führten. So gab die Bundesregierung zugesagte Kapitalhilfen für Südkorea und für Chile erst frei, als die dortigen Regime ausgewählte Oppositionelle aus der Haft entließen. Insgesamt zeigte der spannende Blick auf die „andere“ Geschichte der Bundesrepublik, wie nicht nur aktuelle Probleme entstanden, sondern auch Wege zu einer kritischen Kooperation möglich wurden. 
In einer anschließenden Talkrunde mit Dr. Kathrin Baas, Geschäftsführerin der GWWG, ging es um die Zugangsmöglichkeiten zu besonderen Archiven (BND und Amnesty International) und um die ambivalente Position von Politikern wie Bundeskanzler Helmut Schmidt, der 1977 aus strategischen Gründen mit einem diktatorischen Herrscher wie Mobutu aus Zaire pressewirksam auf einem Foto posieren musste. Gefragt nach der aktuellen Tendenz zur Stabilisierung von autokratischen Regimen zeigte sich Frank Bösch verhalten optimistisch: In der deutschen Politik habe sich viel verändert. Allein die Sanktionen gegen Russland zeigen, dass deutliche Grenzen gesetzt werden. Letztlich erweise sich die wirtschaftliche Stärke Deutschlands als Faustpfand für Menschenrechte.
Bei einem anschließenden Stehempfang im Foyer der IHK tauschten sich die Gäste aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Verwaltung bei Wein und Bier aus. Der Jahresvortrag der GWWG findet jährlich statt und ist mittlerweile zu einem kulturellen Treffpunkt der Stadtgesellschaft geworden.
13. März 2024