Starke Stimme: Voller Einsatz für unsere Unternehmen in NRW
Wir haben Klartext gesprochen. Und wir haben das gemacht, wofür eine IHK da ist: Wir haben unserer Wirtschaft gegenüber der Politik eine starke Stimme gegeben. Auf Grundlage unserer demokratischen Gremienbeschlüsse. Genau deshalb haben wir als Einzige den Reviervertrag 2.0 nicht unterschrieben. Obwohl der Druck groß war, und obwohl es deshalb Stress gab. Doch beides muss man aushalten, wenn es um die Zukunft des Industriestandorts NRW geht.
Text: Uwe Vetterlein und Nicole Grünewald
Transformation: ja. Energieunsicherheit: nein.
Eins ist klar: Wir als IHK Köln stehen natürlich für die Transformation unserer Wirtschaft, und wir stehen hier an der Seite unserer Unternehmen, die wir auf dem Weg zur Klimaneutralität mit Rat und Tat unterstützen. Doch eins ist genauso klar: Wenn wir aus allen sicheren Energieträgern aussteigen – ohne einen Plan zu haben, wie wir in die erneuerbaren Energien einsteigen – und dabei die Energiesicherheit aufs Spiel setzen, dann wird NRW kein Industrieland mehr bleiben, und es droht großer Wohlstandsverlust. Als Konsequenz wird uns kein einziges anderes Land auf dem Pfad folgen.
Also geht es uns um eine gelungene Transformation bei gleichzeitigem Erhalt einer erfolgreichen Wirtschaft in unserem Land. Klingt logisch? Ist es auch.
Genau deshalb haben wir den Reviervertrag 2.0 nicht unterschrieben. Denn in dieser Vereinbarung zwischen Land und Region zum Strukturwandel steht direkt auf der ersten Seite, dass alle Unterzeichnenden den vorgezogenen Kohleausstieg 2030 „ausdrücklich unterstützen“. Also: Kohleausstieg 2030 um jeden Preis.
Da haben wir nicht mitgemacht. Denn wir hatten bereits viele Monate zuvor immer wieder betont, dass wir einen Kohleausstieg 2030 nur dann unterstützen, wenn es eine Strategie für die Energieversorgungssicherheit für unsere Unternehmen gibt. Diese Strategie fehlte zum Zeitpunkt der Unterschrift im Mai 2023 – und die Strategie fehlt bis heute.
Sie ahnen: Das Thema ist sehr komplex. Aber es ist wichtig. Denn die Zukunft unseres Wirtschaftsstandorts hängt davon ab. Deshalb möchten wir Sie mitnehmen auf unserem Entscheidungsweg. Bei dem sich zeigt, wie wichtig es ist, dass IHKs öffentlich-rechtlich verfasst sind – und damit unabhängig von politischer Beeinflussung.
Unser Weg für Energiesicherheit von 2021 bis heute
Ausstieg aus der Atomenergie? Beschlossene Sache. Datum: 2022. Ausstieg aus der Kohle? Auch beschlossene Sache. Datum: 2038. Akribisch erarbeitet von der Kohlekommission im „Kohlekompromiss“. Für Deutschland hieß das: Zwei sichere Energiequellen weniger. Aber es gab ja genug günstiges russisches Gas über die Pipelines North Stream I und demnächst North Stream II. Im Vorfeld der Landtagswahlen wird von den Grünen ein früheres Datum für den Kohleausstieg thematisiert: 2030.
Vollversammlungssitzung am 30. November 2021: Viele Mitglieder sind in Sorge um den Strukturwandel im Rheinischen Revier und um die sichere Energieversorgung. Aus guten Gründen: Der Ausbau von Windkraft und Solarenergie stockt, und vom versprochenen Strukturwandel ist noch nichts zu sehen. Diese Sorge soll öffentlich gemacht werden, über ein Positionspapier mit klaren Forderungen – so lautet der Beschluss des Tages. (nicht barrierefrei, PDF-Datei · 6213 KB)
Wenn das höchste Gremium der IHK Köln etwas beschließt, wird das sofort umgesetzt. Um eine Grundlage für die Forderungen zu haben, wird eine Studie zur Versorgungssicherheit beim Kohleausstieg 2030 bei der SME Management GmbH in Auftrag gegeben. Da das Rheinische Revier die Bezirke von drei IHKs umfasst, beteiligen sich die beiden anderen „Revier-IHKs“, die IHK Aachen und die IHK Mittlerer Niederrhein, ebenfalls an der Studie.
Deshalb beschließt die Vollversammlung die Resolution „Strukturwandel im Rheinischen Revier – Jetzt Energieversorgung sichern und Industriestandort der Zukunft gestalten”. Der Name ist Programm. Die IHK Köln steht für den Ausbau der Erneuerbaren so schnell wie möglich – stellt aber die klare Bedingung, dass die Energieversorgungssicherheit zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sein muss. Dazu soll die Landesregierung eine Strategie vorlegen. Zusätzlich sollen im Rheinischen Revier Industrieflächen geschaffen werden, um neue Unternehmen ansiedeln zu können. Denn durch den Kohleausstieg fallen 15.000 Arbeitsplätze weg! Diese sind zu ersetzen.
Achtung: Am 20. Februar 2022 überfällt Russland die Ukraine, drei Tage später werden Sanktionen gegen Russland verhängt. Schnell ist klar, dass dies Auswirkungen auf die russischen Gaslieferungen haben kann – die für die Transformation jedoch fest eingepreist waren.
Das Thema Energieversorgungssicherheit gewinnt jeden Tag an Bedeutung. Deshalb geben wir gemeinsam mit den beiden anderen Revier-IHKs am 12. April 2022 eine Pressekonferenz bei uns im Haus, bei der wir die Ergebnisse der SME-Studie der Öffentlichkeit vorstellen. Über unsere Kernaussagen wird breit berichtet: „Der vorgezogene Kohleausstieg 2030 ist unrealistisch, die Energiewende braucht mehr Tempo, unsere Unternehmen brauchen eine Strategie!“
Um auf Nummer sicher zu gehen, dass die Forderungen auch wirklich bei den verantwortlichen Stellen in der Politik ankommen, verfassen die Revier-IHKs ein gemeinsames Schreiben mit den Kernaussagen, das an die NRW-Landesregierung, alle NRW-Parteivorsitzenden und den Bundeswirtschaftsminister geschickt wird. Spätestens seit diesem Zeitpunkt liegt unsere klare Haltung also den relevanten Playern in der Politik schriftlich vor – und ist damit allseits bekannt.
Auch bei der Landespolitik ist die Sorge um die Energiesicherheit angekommen. Die Probleme werden akut, Russland hat bereits seine Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien gestoppt, die Gasspeicher sind leer. Ministerpräsident Hendrik Wüst lädt daher am 24. April 2022 zu einem Wirtschaftsgipfel zum Thema „Sicherheit für unser Industrieland Nordrhein-Westfalen“.
Ziel ist eine gemeinsame Erklärung von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften. Problem: In der Erklärung steht ursprünglich als Ziel „Kohleausstieg 2030“. Doch nach einer Diskussion in der Runde, ob das Ziel wirklich glaubwürdig ist, wird „Kohleausstieg 2030“ durch „schnellstmöglich“ ersetzt. Wörtlich heißt es nun: „Wir müssen unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern schnellstmöglich beenden und – vor allem – den Ausbau Erneuerbarer Energien forcieren.“ So können alle – auch die IHK Köln – die Erklärung unterzeichnen.
Nach der Landtagswahl und den Koalitionsverhandlungen stellen CDU und Grüne am 23. Juni 2022 ihren Koalitionsvertrag „Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen“ vor, in dem man sich auf die Umsetzung des Strukturwandels und den Kohleausstieg bis 2030 geeinigt hat: „Wir wollen den Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen bis 2030 umsetzen. Die rechtlichen und finanziellen Grundlagen zum Kohleausstieg auf Bundesebene müssen entsprechend angepasst werden.“
Seit September kommt kein günstiges Pipeline-Gas aus Russland mehr nach Deutschland. Die Energie ist knapp, die Preise explodieren, der Winter steht vor der Tür. Alle Reserven werden gebraucht. RWE fordert die Laufzeitverlängerung der Kraftwerksblöcke Neurath D und E, die eigentlich Ende 2022 per Gesetz vom Netz müssten. Die IHKs setzen sich für die Verlängerung ein.
Dann passiert ohne Vorwarnung Folgendes: Am 3. Oktober 2022 kündigen RWE, Land und Bund den 2020 von allen gesellschaftlichen Gruppen vereinbarten Kohlekompromiss mit Ausstiegsdatum 2038 auf und unterzeichnen die „Eckpunktevereinbarung für den Kohleausstieg 2030“. Ohne Beteiligung weiterer Stakeholder – und ohne strategische Grundlage.
Der Deal ist: Die zwei Kraftwerksblöcke werden anderthalb Jahre weiterbetrieben. Dafür wird der Kohleausstieg um acht (!) Jahre vorgezogen. Das Datum für den Ausstieg ist nun fix und wird Gesetz. Die von uns seit März geforderte Strategie für den zeitgleichen Ausbau der Erneuerbaren oder der Gaskraftwerke gibt es nach wie vor nicht. Im Gegenteil: Der Bau von Gaskraftwerken wird von RWE mit Subventionen für die Stillstandszeiten verknüpft.
Um den Strukturwandel im Rheinischen Revier voranzutreiben, den Kohleausstieg zu koordinieren und alternative Wirtschaftszweige anzusiedeln, wurde 2014 vom Land NRW die Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR) gegründet. Die IHK Köln ist bei der ZRR im Aufsichtsrat. In dessen Sitzung vom 21. Oktober 2022 ist der beschlossene Kohleausstieg 2030 Top-Thema. Denn damit ist auch der ursprüngliche Reviervertrag vom Tisch, in dem sich Bund, Länder, Kommunen, Kammern und Gewerkschaften am 7.Dezember 2019 auf eine gemeinsame Vorgehensweise zur Transformation der Region bis 2038 geeinigt hatten. In der folgenden Sitzung am 2. Dezember 2022 beschließt der Aufsichtsrat daher, einen neuen Reviervertrag zu verfassen.
Die Wirtschaft, maßgeblich vertreten durch die Revier-IHKs, formuliert für den „Reviervertrag 2.0“ klare Anforderungen an den Ausbau der Erneuerbaren und den Bau von Gaskraftwerken als Voraussetzung für einen Kohleausstieg 2030.
Da uns das Thema sehr umtreibt, hatten wir dem Verein IHK NRW bereits in einer Mitgliederversammlung am 12. Mai 2022 die SME-Studie vorgestellt und klargemacht, dass durch einen Kohleausstieg 2030 die Versorgungssicherheit aller Unternehmen in NRW in Gefahr sei. Am 3. November 2022 beschließt der Verein IHK NRW, eine zweite Studie für ganz NRW in Auftrag zu geben, da die SME-Studie auf das Rheinische Revier fokussiert war.
Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Direktor des EWI-Instituts
Diese neue Studie soll untersuchen, was in NRW an alternativer Energie zugebaut werden muss, um die Energie aus der Kohle bis 2030 ersetzen zu können. Für die Erstellung der Studie wird das Energiewissenschaftliche Institut an der Universität Köln (EWI) ausgewählt, das auch schon häufiger für die Landesregierung gearbeitet hat.
Die ZRR macht auf Grundlage der Zulieferungen aus Bund, Ländern, Kommunen, Kammern und Gewerkschaften einen Entwurf für den Reviervertrag 2.0, der am 27. Januar 2023 dem Aufsichtsrat vorgelegt wird. Gut ist: In diesem Entwurf werden verbindliche Ausbauziele und die Forderung nach einem verlässlichen Ausbaufahrplan genannt.
Interessant: Eine Formulierung, dass die Region den Kohleausstieg 2030 ausdrücklich unterstütze, ist nicht enthalten.
Eine eigene Arbeitsgruppe wird eingesetzt. Diese erhält vier Wochen später, am 21. Februar 2023, eine von der Landesregierung überarbeitete Fassung. In diesem Entwurf wurden alle konkreten Ausbauziele und Garantien für die Versorgungssicherheit gestrichen!
Wie decken wir unseren steigenden Strombedarf, wenn wir 2030 aus der Kohle aussteigen? Diese und andere Fragen diskutieren Host Konstantin Klostermann und Dr. Uwe Vetterlein, Hauptgeschäftsführer der IHK Köln, mit Holger Gassner, Geschäftsführer der Landesgruppe NRW des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).
Im Rahmen des Austauschs zwischen den NRW-Ministerien und der IHK Köln sind wir am 27. Februar 2023 bei Mona Neubaur, NRW-Ministerin für Wirtschaft, Energie, Klimaschutz und Energie, eingeladen. Wir sprechen mit ihr auch über die aus unserer Sicht „unrund“ laufende Entwicklung beim Reviervertrag 2.0. Und wir machen noch einmal deutlich, dass für uns als Interessenvertretung der Wirtschaft die Energieversorgungssicherheit und die Schaffung von Arbeitsplätzen im Rheinischen Revier absoluten Vorrang haben.
Am 7. März 2023 zieht die Landesregierung ihren letzten Entwurf des Reviervertrags 2.0 zurück. Sechs Tage später, am 13. März 2023, erhält der ZRR-Aufsichtsrat eine neue Fassung. Doch die konkreten Ausbauziele und die Garantien für die Versorgungssicherheit fehlen weiterhin – und auf der ersten Seite steht nun der Satz: „Dies (den vorgezogenen Kohleausstieg 2030) unterstützt die Region ausdrücklich.“
Die IHK Köln thematisiert gegenüber den anderen IHKs, dass sie den Reviervertrag 2.0 so wohl nicht unterzeichnen kann. An der nun folgenden Sitzung des Aufsichtsrats der ZRR am 17. März 2023 konnte der Vertreter der IHK Köln aus Krankheitsgründen nicht teilnehmen. Dem Protokoll ist später zu entnehmen, dass der Aufsichtsrat dem noch leicht anzupassenden Text als „kleinstem gemeinsamen Nenner“ zugestimmt hat. Offene Punkte sollen im Redaktionsteam diskutiert werden, diese dürften jedoch „nicht mehr den Grundkonsens sprengen“. Die endgültige Version soll dann mit der Landesregierung final abgestimmt werden.
Am 5. April 2023 treffen sich die Hauptgeschäftsführer der drei Revier-IHKs mit Ministerin Mona Neubaur in Neuss. Im gemeinsamen Gespräch machen die IHKs noch einmal klar, dass es bei einem vorgezogenen Kohleausstieg 2030 in jedem Fall auch einen verbindlichen, beschleunigten Einstiegsplan für die erneuerbaren Energien und gesicherte Leistung (= Gaskraftwerke) geben muss – und ein regelmäßiges Monitoring. Eine instabile und lückenhafte Versorgung müsse ausgeschlossen werden. Nach dem Treffen werden die Ergebnisse zusammengefasst und am 11. April 2023 in einem gemeinsamen Schreiben an die Ministerin geschickt.
Die vorläufigen Ergebnisse der EWI-Studie (nicht barrierefrei, PDF-Datei · 1591 KB) liegen vor, in der die Versorgungssicherheit für NRW bei einem vorgezogenen Kohleausstieg 2030 analysiert wird. Umgerechnet müssen bis 2030, also innerhalb von nur noch sieben Jahren, 1.500 Windräder, Photovoltaikanlagen in der Größenordnung von 15.000 Fußballfeldern und acht sehr große Gaskraftwerke allein in NRW gebaut werden, um die Kohle zu ersetzen. Die Studie zeigt also ganz deutlich, dass bei einem Kohleausstieg die Versorgungssicherheit für unsere Unternehmen nicht mehr gewährleistet ist.
Die endgültige Version des Reviervertrags 2.0 wird von der ZRR am 25. April 2023 an die IHK Köln versendet. Wir müssen feststellen, dass die Formulierung „Dies (den Kohleausstieg 2030) unterstützt die Region ausdrücklich“ nach wie vor auf der ersten Seite steht. Damit ist der Reviervertrag nicht kompatibel mit unserer Beschlusslage. Denn in unserer Resolution „Strukturwandel im Rheinischen Revier – Jetzt Energieversorgung sichern und Industriestandort der Zukunft gestalten“ vom 28. März 2022 steht, dass die Energieversorgungssicherheit zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sein muss – und dass die Landesregierung dazu eine Strategie vorlegen muss.
Außerdem liegen mittlerweile zwei Studien vor, die unabhängig voneinander zeigen, dass durch den Kohleausstieg 2030 die Energieversorgungssicherheit in Gefahr gerät. Und eine Strategie der Landesregierung fehlt weiterhin. Deshalb können wir keinen Vertrag unterzeichnen, in dem steht, dass wir den vorgezogenen Kohleausstieg „ausdrücklich unterstützen“. Das kommunizieren wir am 26. April 2023 auch deutlich gegenüber den anderen Revier-IHKs. Als Lösungsansatz schlagen wir einen ähnlichen Kompromiss wie beim Wirtschaftsgipfel 2022 vor, also zu schreiben: „Die Region unterstützt einen frühestmöglichen Kohleausstieg“. Denn natürlich unterstützen wir die Transformation der Wirtschaft – in einem realistischen Zeitraum und bei gleichzeitiger Energieversorgungssicherheit.
In einem Telefonat mit der Staatssekretärin im NRW-Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie, Silke Krebs, am 9. Mai 2023 kann keine Einigung erzielt werden, denn Textänderungen werden von ihr kategorisch ausgeschlossen. Unsere Aussage ist deutlich: So werden wir den Reviervertrag 2.0 nicht unterzeichnen.
In einer Mitgliederversammlung des Vereins IHK NRW werden die Ergebnisse der EWI-Studie vorgestellt. Es ist nun allen klar: Ein vorgezogener Kohleausstieg 2030 würde zu Versorgungslücken führen und unsere Wirtschaft damit hart treffen. Denn innerhalb von nur sieben Jahren ist der erforderliche Zubau dieser großen Menge an Erneuerbaren und Gaskraftwerken nicht realistisch.
Wir tauschen uns mit beiden Revier-IHKs am Rande der Sitzung über den Reviervertrag 2.0 aus. Denn gerade nach der Präsentation der EWI-Studie und der eindeutigen Ergebnisse sind wir davon ausgegangen, dass keine IHK den Vertrag unterzeichnet. Umso erstaunter sind wir, dass beide Hauptgeschäftsführer uns mitteilen, dass sie den Reviervertrag 2.0 dennoch mitunterzeichnen würden. Obwohl auf der ersten Seite steht, dass der Kohleausstieg 2030 von den Unterzeichnenden ausdrücklich unterstützt wird.
Am 26. Mai 2023 ruft Ministerin Mona Neubaur an und verlangt nachdrücklich, dass auch die IHK Köln den Reviervertrag 2.0 unterschreiben solle. Sie weist uns darauf hin, dass die beiden anderen Revier-IHKs unterzeichnen werden.
Doch wir bleiben bei unserer Haltung, dass wir einem Ausstieg 2030 nur ausdrücklich zustimmen können, wenn eine klare Strategie für den Einstieg in die Erneuerbaren und Versorgungssicherheit vorliegt.
Die Ministerin kündigt an, dem Präsidium der IHK Köln die gewünschte Strategie vorzustellen. Doch nicht vor der Unterschrift, sondern erst im Sommer. Eine Unterschrift für den Kohleausstieg 2030, ohne die Strategie vorab zu kennen, ist für uns jedoch keine Option.
Alternativ bieten wir der Ministerin an, den Vertrag dann zu unterzeichnen, wenn analog zum Wirtschaftsgipfel 2022 die Angabe „2030“ durch „schnellstmöglich“ ersetzt würde. Doch Textänderungen lehnt die Ministerin ab. In einer Mail legen wir ihr am 29. Mai 2023 unsere Gründe für die Nicht-Unterzeichnung noch einmal ausführlich dar und laden sie ein, unserer Vollversammlung die Strategie zum nächstmöglichen Zeitpunkt gerne vorzustellen.
Als die IHK Köln als Einzige am 30. Mai 2023 den Reviervertrag 2.0 nicht unterzeichnet, sind wir sehr überrascht, wie groß der Zuspruch von Seiten unserer Mitgliedsunternehmen ist. Das liegt sicher auch daran, dass viele regionale und überregionale Medien das Thema interessant finden und uns die Möglichkeit geben, unsere Haltung zu begründen.
Natürlich erläutern wir auf Nachfrage auch, wie der Ausbau der Erneuerbaren laut EWI-Studie in NRW aussehen muss, um die Kohlekraftwerke bis 2030 zu ersetzen: 1.500 Windräder, Photovoltaikanlagen in der Größenordnung von 15.000 Fußballfeldern und für die Zeit, wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint, acht sehr große Gaskraftwerke. Innerhalb von nur sieben Jahren. Um das Ausmaß anschaulich zu verdeutlichen und unsere Haltung transparent zu machen, geht am gleichen Tag noch ein Erklärvideo zu der Thematik online.
Das Erklärvideo zum Reviervertrag 2.0
Natürlich haben wir uns gefragt, warum wir den Reviervertrag 2.0 als Einzige nicht unterschrieben haben. Denn Zweifel daran gab es bei vielen. Die plausibelste Antwort auf diese Frage ist: Weil wir als IHK Köln unabhängig sind. Das unterscheidet eine IHK auch von den Kommunen. Denn eine IHK wird durch ihre Mitgliedsunternehmen finanziert und kann so die Interessen der Wirtschaft auch gegenüber der Politik klar und deutlich vertreten – ohne zum Beispiel Gefahr zu laufen, dass die Politik uns aufgrund unserer abweichenden Haltung Gelder streicht.
Dr. Nicole Grünewald (Geschäftsführende Gesellschafterin The Vision Company Werbeagentur, Präsidentin der IHK Köln) und Dr. Uwe Vetterlein (Hauptgeschäftsführer der IHK Köln) diskutieren mit Moderator Konstantin Klostermann.
In der Sitzung unserer Vollversammlung am 13. Juni 2023 wird der klare Kurs der IHK Köln noch einmal eindrucksvoll untermauert. Eine neue, aktualisierte Resolution zum Thema „NRW muss Industrieland bleiben“ wird vom höchsten Gremium unserer IHK einstimmig verabschiedet: Wir unterstützen keinen Ausstieg aus der Kohle ohne gesicherten Einstieg in die Erneuerbaren – und die in der EWI-Studie ermittelten Kapazitäten müssen schnellstmöglich gebaut werden!
Die kommenden Wochen werden stürmisch. So gibt es Gegenwind, vor allem von denjenigen, die den Reviervertrag 2.0 unterschrieben haben. Gleichzeitig erfahren wir eine sehr große Zustimmung von Seiten der energieintensiven Industrie, die mit ihren Forderungen bei der Politik immer weniger durchdringt. „Die IHK Köln redet als einzige Klartext – zum Glück!“ und „Die IHK Köln nimmt unsere Sorgen ernst und stellt sich für uns in den Wind!“ sind Aussagen, die uns zeigen, dass unser Weg der richtige ist – und die Beschlüsse unserer Vollversammlung die Meinung unserer Wirtschaft widerspiegeln.
Mit so viel Support unserer Mitgliedsunternehmen ließ sich auch der absurde Vorwurf gut aushalten, dass wir „durch unseren Klartext den Erfolg des grundlegenden Strukturwandels im Rheinland und in NRW gefährden“ würden, da dieser nur gelingen könne, wenn alle einer Meinung seien. So lautete eine Pressemeldung des Vereins IHK NRW.
Jetzt mal ehrlich: Es kann doch nicht sein, dass man nicht mehr die Wahrheit ansprechen, konstruktiv Kritik üben und die Beschlüsse seiner Gremien umsetzen darf, nur weil eine Mehrheit im Raum das nicht so sieht! Wohl alle kennen das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ von Hans Christian Andersen. Bei uns gilt: Wenn ein Kaiser nackt ist, dann sagen wir das auch. Gerade jetzt, in Zeiten des Wandels und der notwendigen Transformation, ist es wichtig, die Menschen auf dem Weg mitzunehmen und ihnen klar zu sagen, wie es aussieht. Wir als IHK Köln tun genau das. Parteipolitisch neutral, faktenbasiert und unabhängig.
Die IHK Köln hat den Reviervertrag 2.0 nicht unterschrieben. Denn es ist nicht klar, wie bei einem vorgezogenen Kohleausstieg schon im Jahr 2030 innerhalb von nur sechseinhalb Jahren die Energiesicherheit gewährleistet werden soll und 15.000 neue Arbeitsplätze in der Region geschaffen werden können.
Die eindeutige Haltung der IHK Köln, die sich auf zwei wissenschaftliche Studien stützte, kam überall sehr gut an – außer bei den anderen IHKs im Rheinland. Die Unstimmigkeiten führten schließlich dazu, dass die IHK Köln nicht mehr im Verein IHK NRW ist und auf „Direkt-Vertrieb“ ihrer Interessen umgestiegen ist.
Wie es dazu kam – und wie es weitergeht, das erklären Dr. Nicole Grünewald, Präsidentin der IHK Köln, und Dr. Uwe Vetterlein, Hauptgeschäftsführer der IHK Köln, in dieser Folge.
Die Problematik, die sich beim Bau der Gaskraftwerke stellt, ist, dass diese langfristig nur dann gebraucht werden, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, um so die von Seiten der Politik mittlerweile immer wieder versprochene Energieversorgungssicherheit zu garantieren. Für ein paar Tage oder Wochen im Jahr wird sich aber niemand finden, der dafür Gaskraftwerke baut und betreibt. Hier muss also ein eigener Markt mit hohen Subventionen geschaffen werden.
Am 5. Februar 2024 stellt das Bundeswirtschaftsministerium die dafür seit langem erwartete „Kraftwerksstrategie“ vor. Das Ergebnis ist ernüchternd: Zunächst sollen nur 10 sehr große (= 20 mittelgroße) Gaskraftwerke bundesweit unterstützt werden. Davon müssten allein acht sehr große in NRW gebaut werden – und damit müsste man genau jetzt anfangen, wenn man bis 2030 fertig werden will. Da es dafür nun keine Grundlage gibt und uns die Zeit wegläuft, ist der Kohleausstieg 2030 nicht mehr zu erreichen.
Über dem Eingang der IHK Köln hängt mittlerweile eine „Windrad-Schuldenuhr“. Sie offenbart, dass von den fehlenden großen 1.500 Windrädern bis 2030 in NRW im vergangenen Jahr 2023 nur 87 Stück gebaut wurden. Das heißt, hier fehlen noch 1.413. Von den acht sehr großen benötigten Gaskraftwerken ist gerade eins in Planung.
Wir stehen vor entscheidenden Monaten für die Zukunft unseres Landes.
Deshalb haben wir uns entschieden, die Interessen unserer 150.000 Mitgliedsunternehmen als größte IHK in NRW bei unserer Landespolitik künftig direkt zu vertreten. Wir haben in unserer IHK bereits jetzt ein starkes Team aus 30 Mitarbeitenden, das sich um die Interessenvertretung unserer Mitgliedsunternehmen gegenüber der Politik kümmert. Sie werden ihre Expertise künftig auch den Landtagsabgeordneten und Landesministerien direkt zur Verfügung stellen. Und wir werden unser Team dafür noch weiter verstärken. Denn wir haben den Anspruch und das Ziel, dass NRW auch künftig noch Industrieland bleibt und dass unsere Unternehmen hier wettbewerbsfähig bleiben und mit sicherer und bezahlbarer Energie, genügend Fachkräften und möglichst wenig Bürokratie auch in Zukunft erfolgreich wirtschaften können!