Nachhaltig erfolgreich

Die Firma Schwalbe verdient Geld mit Fahrradreifen, ist Marktführer und räumt Nachhaltigkeitspreise ab – wie passt das zusammen? Ein Ortsbesuch.
Ökologisch denken und ökonomisch erfolgreich sein – das funktioniert auch an Orten, wo man es nicht auf den ersten Blick vermutet!
Rund 25 Millionen Fahrradreifen pro Jahr stellt die Firma Schwalbe als Reifenmarke der Ralf Bohle GmbH jährlich in Indonesien und Vietnam her, von Profirennrad über Mountainbike bis hin zum Lastenrad. Das Unternehmen aus Reichshof (Oberbergischer Kreis) ist Europas Marktführer für Fahrradreifen und Schläuche. Für all diese Reifen ist Kautschuk aus Südostasien der wichtigste Rohstoff , denn ohne Kautschuk gibt es kein Gummi.
Kautschuk wird aus dem Milchsaft des Kautschukbaums gewonnen. Damit der als Latex bekannte Milchsaft aus dem Baum fließt, ritzen Kautschukbauern die Rinde an und fangen die Flüssigkeit auf. Diese Bauern stehen am Anfang der Lieferkette und haben selten etwas vom wirtschaftlichen Erfolg der Rohstoff-Veredelung.

Menschen am Anfang der Lieferkette unterstützen

Bei Schwalbe ist das anders. „Wir wollen einen positiven Mehrwert für die Menschen schaff en, die uns am Anfang der Lieferkette unterstützen – im Regenwald.“, erklärt Felix Jahn die Nachhaltigkeitsstrategie. Er ist der Leiter der CSR-Abteilung bei Schwalbe. CSR steht für Corporate Social Responsibility und bedeutet, dass Unternehmen nicht nur wirtschaftlich erfolgreich sein wollen, sondern auch soziale, ökologische und ethische Ziele verfolgen. Schwalbe ist das mit seinem Einsatz für fairen Handel mit Naturkautschuk gelungen: Das Unternehmen hat in der Kategorie „Gute Geschäftspraktiken“ den CSR-Preis der Bundesregierung gewonnen, es ist nicht die einzige Auszeichnung für das Unternehmen.

Marktführer und Nachhaltigkeitspreise

Die Position als Marktführer in Europa verteidigen und gleichzeitig Nachhaltigkeitspreise abräumen – wie geht das zusammen? Obwohl Naturkautschuk ein so wichtiger Rohstoff für die Gummiherstellung ist, ist der Weltmarktpreis sehr niedrig. Außerdem sind viele Schritte von der Gewinnung im Regenwald bis zum Einkauf bei den Gummiherstellern intransparent. Es ist nicht klar, wie viel Geld tatsächlich bei den Kautschuk-Bäuerinnen und -Bauern ankommt.

Fair Rubber schafft transparente Schritte

Damit wollte sich Schwalbe nicht mehr zufriedengeben und startete als erster Reifenhersteller weltweit eine Zusammenarbeit mit dem Verein Fair Rubber, der wichtigsten Fair Trade-Organisation für Naturkautschuk. „Zwischen uns und dem Kautschuk-Bauern waren je nach Region zwischen drei und sechs Player. Dank Fair Rubber sind die Schritte nun transparent und wir haben einen Weg geschaffen, um an die Menschen am Anfang der Lieferkette zu gelangen“, erzählt Jahn. Ziel ist es, die Arbeits- und Lebensbedingungen von Kautschukproduzenten zu verbessern.

Zwischen 50 und 100 Prozent zusätzlicher Lohn

Und das funktioniert so: Teilnehmende Unternehmen zahlen neben dem Mitgliedsbeitrag auch eine Fair-Trade-Prämie pro abgenommenem Kilogramm Kautschuk. Diese Prämie fließt dann an die Lieferanten-Partner, die über die Verwendung des Geldes selbst entscheiden können.
Jahn: „Jeden Cent, den wir zahlen, erhalten die Bauern. Genau gesagt sind es 50 Cent pro Kilogramm. Das klingt erst mal nicht so viel, macht aber am Monatsende zwischen 50 und 100 Prozent zusätzlichen Lohn aus. Angefangen haben wir mit 225 Bauern auf Java, jetzt sind es fast 4.000 Bauern.“ Etwa ein Drittel des Gesamtbedarfs wird bei Schwalbe mittlerweile über den Fair-Rubber-Kautschuk abgedeckt. Langfristig sollen die Schwalbe-Reifen zu 100 Prozent aus fairem Kautschuk bestehen.
Weil es irgendwann auch nicht mehr nur um Schlauch- und Reifenrecycling ging, sondern auch um Themen wie Menschenrechte in der Lieferkette und Compliance, wurde 2021 die zentrale CSR-Abteilung gegründet. Heute arbeiten hier sechs Menschen, darunter ein Chemiker, ein Materialwissenschaftler und ein Umweltingenieur.

Marathon-Reifen als bekanntestes Produkt

Das bekannteste Schwalbe-Produkt ist der Marathon-Reifen, der Anfang der 1980er-Jahre vom DDR-Zeitzeugen und Weltenbummler Wolfgang Reiche getestet wurde. Reiche reiste mit einem einfachen Fahrrad durch und um die Welt, eine echte Belastungsprobe für die Reifen aus Oberberg. Von überall her schickte er Berichte und Materialproben zurück und schrieb auf, wie sich das Gummi während der Reise veränderte. In Reichshof tüftelten die Ingenieure fortlaufend an Verbesserungen herum. Dadurch, dass der Reifen so lange halten musste, war er automatisch nachhaltig, auch wenn das damals nicht im Vordergrund stand.

Neue Entwicklungen im Labor

Lars Funke ist Labortechniker bei Schwalbe und testet und prüft die Reifen, bevor sie in den Verkauf gehen. Er sagt: „Man könnte denken, ein Reifen ist einfach ein Reifen, aber sie entwickeln sich ständig weiter.“
Eines seiner Arbeitsgeräte ist der sogenannte Snake-Bite-Tester, der so ähnlich funktioniert wie eine Guillotine: Von oben fällt immer wieder eine Art Beil auf den Reifen, um die Durchschlagfähigkeit zu überprüfen. Auch die anderen Geräte im Labor dienen dazu, alle Reifen so zu optimieren, dass sie möglichst lange auf der Straße halten.
Rainer van Loon
Energie und Umwelt
Robert Leonards
Wirtschaft und Politik