Der Milliarden-Trick der Bundesregierung

Das größte Schuldenpaket in der Geschichte der Bundesrepublik („Sondervermögen“) sollte der große Wurf zur Infrastruktur-Sanierung werden. Die Realität zeigt: Es werden keine Straßenlöcher, sondern Haushaltslöcher gestopft.
Text: Willi Haentjes, Christopher Köhne, Long Nguyen
Die Antwort der Bundesregierung auf die drängendsten Probleme unserer Zeit lautet: Schulden! Und im Zweifel: noch mehr Schulden!
Das kommt insofern überraschend, als der Wahlkämpfer Friedrich Merz (CDU) Deutschland einen Sparkurs versprochen und die Schulden bremse für unantastbar erklärt hatte. Der Wahlsieger Merz war da schon lockerer unterwegs und hat aus der Opposition heraus einen Pakt geschmiedet, der das größte Schuldenpaket in der Geschichte der Bundesrepublik („Sondervermögen“) auf den Weg gebracht hat – die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit hätte er im frisch gewählten Parlament nicht erhalten. Der Bundeskanzler Merz wiederum bringt in diesen Tagen einen Haushalt auf den Weg, der den nächsten Schuldenwortbruch in sich trägt: nämlich im Umgang mit dem „Sondervermögen“.
Das Versprechen der Bundesregierung lautete: Mit dem 500-Milliarden-Euro-Schuldenpaket wird die marode Infrastruktur saniert. Dieses Steuergeld fließt in den nächsten zwölf Jahren in die Brücken, Häfen, Straßen und Schienen dieses Landes, um den Standort Deutschland wieder zukunftsfähig zu machen.
Die Realität sieht anders aus. Leider.
Das „Sondervermögen“ entwickelt sich zur Mogelpackung. Denn: Die Investitionen, die im Haushaltsentwurf aus dem Sondervermögen finanziert werden, werden NICHT ausschließlich zusätzlich getätigt, sondern ERSETZEN oft lediglich die Vorhaben, die ohnehin schon durch den regulären Haushalt finanziert worden wären.
Um ein Bild zu bemühen: Stellen Sie sich den Haushalt als Torte vor. Eigentlich sollte auf die Torte noch ein Extrastück gepackt werden, die Investitionen aus dem Sondervermögen. Bei der Haushaltstorte von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) fehlt dieses Extrastück on top: Stattdessen wird von der Haushaltstorte einfach an der Stelle ein Stück heraus geschnitten, wo die Investitionen geplant waren – und durch das Sondervermögen wieder aufgefüllt. Effekt: Es gibt kaum einen Krümel mehr als vorher und damit auch kaum einen Cent mehr für die Infrastruktur.
Dabei wird schon die Frage, was eigentlich eine Investition in die Infrastruktur sein soll, in der politischen Debatte immer beliebiger. Expertinnen und Experten hatten vor dem Szenario gewarnt, dass plötzlich alles zur Infrastruktur erklärt wird, was eine Finanzierungslücke vorzuweisen hat. Deswegen wurde vereinbart, im Hinblick auf das „Sondervermögen“ immer den Grundsatz der „Zusätzlichkeit“ zu verankern. Heißt: Das Geld darf nur zusätzlich zu regulären Haushaltsmitteln eingesetzt werden. So sollte sichergestellt werden, dass das Geld wirklich für Investitionen eingesetzt wird – und nicht einfach Mittel dahin umgeschichtet werden, wo der Bedarf schon immer groß war.
Dieser Grundsatz wurde schon beim ersten großen Belastungstest über Bord geworfen. Bei der Ministerpräsidentenkonferenz („Bund-Länder-Konferenz“) im Juni wurde schriftlich festgehalten: Die Länder bekommen 100 Milliarden aus dem Schuldentopf, das Geld darf auch für „Sport und Kultur“ eingesetzt werden, die „Zusätzlichkeit“ entfällt. Um es mit den Worten von Finanzminister Klingbeil zu sagen: „Eine Sporthalle, die gebaut wird, ist auch eine Investition, die die Wirtschaft ankurbelt.“ Das mag sehr lokal beschränkt für den Moment gelten, aber nicht dauerhaft Wachstum ermöglichen können …

Lückenfüller in Zeiten klammer Haushaltskassen

Im aktuellen Haushaltsentwurf für das Jahr 2025, der im September verabschiedet werden soll, ist diese Verschiebe-Taktik auch zu beobachten, wie unsere Recherchen zeigen.
Ein konkretes Beispiel: Auf Seite 1.796 werden im Haushaltsentwurf unter dem Punkt „Bundesschienenwege“ die „Baukostenzuschüsse für einen Infrastrukturbeitrag zur Erhaltung der Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes“ mit exakt Null Euro beziffert. 2024 betrug die Summe 7,4 Mrd. Euro, 2023 waren es 5,3 Mrd. Euro. Zur Erläuterung der Nullsummen-Investition heißt es: „Weniger wegen Verlagerung in das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität.“ Aus dem Sondervermögen kommen wiederum 7,6 Mrd. Euro für diesen Posten. Im Vergleich zum vergangenen Jahr sind das also nur 0,2 Mrd. Euro mehr!
Dort steht also schwarz auf weiß: Das Sondervermögen ist keine Extra-Investition in die deutsche Infrastruktur, sondern ein Lückenfüller in Zeiten klammer Kassen. Das Sondervermögen wird nicht komplementär, sondern subsidiär eingesetzt.
Zu diesem Ergebnis kommt auch der renommierte Wissenschaftler Professor Dr. Friedrich Heinemann vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), der im Auftrag des Bundes der Steuerzahler ein Gutachten zur gesetzlichen Ausgestaltung des Sondervermögens veröffentlicht hat. Kernaussage des Gutachtens: Weder ist die „Zusätzlichkeit der Investitionen“ ausreichend abgesichert, noch bestehen verbindliche Kriterien für eine wachstumsorientierte Verwendung der Mittel.
Eine andere Stelle im Bundeshaushalt belegt das Prinzip: Bei den Bundesfernstraßen werden laut Entwurf auf Seite 1.768 aus dem Kernhaushalt 1,9 Mrd. Euro weniger als 2024 investiert – aus dem Sondervermögen kommen 2,5 Mrd. Euro für Brücken-Sanierungen hinzu. Das sind dann also nur 0,6 Mrd. Euro zusätzlich.
„Man verspricht uns, dass die Schlaglöcher gestopft werden, stattdessen werden Haushaltslöcher gestopft“, sagte IHK-Präsidentin Nicole Grünewald im TV-Interview mit dem Nachrichtensender Phoenix. Auch die BILD-Zeitung berichtete über unsere Haushalts-Recherche unter der Überschrift: „Wirtschaft wirft Regierung Milliarden-Trickserei vor“.
Das Thema ist für beide Regierungsparteien höchst brisant: Die CDU hat im Wahlkampf – wie oben beschrieben – versprochen, keine neuen Schulden aufzunehmen. Die SPD fordert seit Jahren mehr Investitionen in die Infrastruktur – um jetzt mit Vizekanzler und Finanzminister Klingbeil die Investitionsquote im Bundeshaushalt runterzuschrauben: 2024 lag der Wert bei 12 Prozent, 2025 soll die Quote bei 10 Prozent liegen. Wer glaubt da noch an Extra-Investitionen für die Infrastruktur?

„Schuldenfinanzierter Schattenhaushalt“

Die Forderung von IHK-Präsidentin Grünewald bei Phoenix: „Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie Wort hält und dass das Geld auch da ankommt, wo es benötigt wird – und das ist definitiv in der Infrastruktur.“
© phoenix
Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, bezeichnet das Sondervermögen als „XXL-Verschiebebahnhof“ und warnt: „Was als Investitionsoffensive verkauft wird, ist in Wahrheit ein schuldenfinanzierter Schattenhaushalt. Wer auf diesem Weg Wachstum verspricht, hat aber auf Sand gebaut. Wir sehen keine klaren Regeln für Effizienz und Priorität, sondern nur eine riskante Entgrenzung der Staatsausgaben.“

Infrastruktur als limitierender Faktor

Dabei ist die Notwendigkeit, endlich wieder wachstumsorientiert zu handeln, unübersehbar: Die deutsche Volkswirtschaft schlittert durch das 3. Rezessionsjahr in Folge, über Branchen und Regionen hinweg sind Jobs in Gefahr. Die marode Infrastruktur ist für viele im Land ein limitierender Faktor. In einer Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) heißt es: „Deutschland lebt seit Jahrzehnten von der Substanz. Einstürzende Brücken, marode Schulen, langsame Bürokratie und fehlende Digitalisierung sind die offensichtlichen Symptome mangelnder Investitionen in die staatliche Infrastruktur.“
„Die gesamte Logistik- und Speditionsbranche kämpft jeden Tag mit der Infrastruktur."

– Frank Oelschläger, Logistik-Profi und Vorsitzender des IHK-Ausschusses für Mobilität

Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Logistik-Profi Frank Oelschläger, Vorsitzender unseres Ausschusses für Mobilität, erklärt in unserem Video-Podcast „Stimme der Wirtschaft“, was eine Straßensperrung, Stau oder Dauer-Baustelle im Unternehmensalltag bedeuten: „Die Situation verursacht flächendeckende Verspätungen, unzufriedene Kunden und Ausfälle bei uns Unternehmen. Wir als Dienstleister müssen grundsätzlich mehr Kapazitäten vorhalten, damit wir am Ende liefern können, was Handel, Industrie und Endverbraucher erwarten. Die gesamte Logistik- und Speditionsbranche kämpft jeden Tag mit der Infrastruktur. Das funktioniert nicht auf Dauer.“
Bedeutet im Klartext: Wenn es schon ein schuldenfinanziertes Infrastruktur-Paket gibt, dann muss das Steuergeld so schnell und so effizient wie möglich da ankommen, wo es benötigt wird. Daran gibt es durch Haushaltstricks der Bundesregierung beim „Sondervermögen“ große Zweifel …
Chefredakteur | Kommunikation
Christopher Köhne
Verkehrspolitik, Logistik, Mobilität
Long Nguyen
Verkehrspolitik, Logistik, Mobilität