24. Oktober 2023

IHK-Konjunkturbericht Herbst 2023: Unternehmen senken ihre Daumen noch tiefer

Die Stimmung in der Wirtschaft der IHK-Region Ulm hat sich in den letzten Monaten merklich eingetrübt. Insbesondere in der Industrie ist die Zufriedenheit der Unternehmen mit der Entwicklung ihrer Geschäfte massiv eingebrochen. Die Hoffnung auf eine Belebung der regionalen Wirtschaft hat sich im Laufe des Jahres 2023 somit nicht erfüllt. Und eine Besserung ist vorerst nicht in Sicht. Angesichts anhaltender Risiken und des Ausbleibens klarer politischer Vorgaben bleibt die Verunsicherung groß. Die regionale Wirtschaft blickt daher skeptisch nach vorn.
„In der aktuellen Situation treffen konjunkturelle Trends wie die schwächelnde Weltwirtschaft, gewaltsam ausgetragene geopolitische Konflikte in der Ukraine und Israel sowie Strukturprobleme in Form von Fachkräftemangel, nicht konkurrenzfähiger Energiepreise und einer immer mehr überbordenden Bürokratie aufeinander. Alles zusammen beschleunigt den Abwärtstrend der hiesigen Wirtschaft,“ kommentiert IHK-Präsident Dr. Jan Stefan Roell die Ergebnisse der aktuellen Konjunkturumfrage: „Eine spürbare Rezession lässt sich kaum noch vermeiden.“
Während zu Beginn des Jahres noch jedes zweite Unternehmen den Daumen hob, bezeichnet aktuell nur noch ein gutes Drittel seine aktuelle Lage als gut. Der Anteil der Betriebe, deren Geschäfte schlecht laufen, hat sich auf über 23 Prozent nahezu verdoppelt. Gut vier von zehn Unternehmen melden eine befriedigende Lage.
Die hohe Inflation zehrt trotz gestiegener Löhne an der Kaufkraft der Verbraucher. Zusammen mit den zur Inflationseindämmung mehrfach angehobenen Leitzinsen bremst dies den Konsum. Folglich spüren über drei Viertel der Einzelhändler eine gestiegene Kaufzurückhaltung ihrer Kundschaft. Die Lageurteile drehen ins Minus. Stark gestiegene Bau- und Finanzierungskosten haben vor allem den privaten Wohnungsbau einbrechen lassen. Die schwächelnde Weltkonjunktur macht der Industrie zusätzlich zu schaffen. Die Zahl der Industriebetriebe, denen es gut geht, hat sich gegenüber dem Frühjahr auf 24 Prozent nahezu halbiert. Der Anteil der Unternehmen in schlechter Lage ist von 13 auf 33 Prozent geklettert. Unter dieser Entwicklung leidet auch der Großhandel. Lediglich Teile der Dienstleister konnten sich bislang recht erfolgreich gegen den konjunkturellen Abwärtstrend behaupten. Dies gilt vor allem für die unternehmensnahen Serviceunternehmen und mit gewissen Einschränkungen auch für das Kreditgewerbe.
Anhaltende Skepsis
Anzeichen für eine baldige Trendumkehr erkennt die regionale Wirtschaft derzeit nicht. Weder aus dem In- noch aus dem Ausland kommen derzeit nennenswerte Impulse. Neben den genannten Faktoren dämpft vor allem die nachlassende Bereitschaft im Inland zu investieren die Nachfrage. So kann nur noch jedes zehnte Industrieunternehmen steigende Inlandsaufträge verbuchen (Frühjahr 18 Prozent). 49 Prozent melden dagegen eine schrumpfende Nachfrage (Frühjahr 41 Prozent). Und auch mit frischem Aufwind aus dem Ausland rechnen nur wenige Betriebe. Die Exporterwartungen in der Industrie haben sich gegenüber dem Frühjahr deutlich eingetrübt. In Bezug auf die Eurozone herrscht leichte Skepsis, gegenüber dem restlichen Europa ist sie sogar noch ausgeprägter. Die im Frühjahr gehegte Hoffnung auf eine Belebung der Nachfrage aus Asien, ist jetzt für die meisten Betriebe kein Thema mehr. Lediglich die Absatzmöglichkeiten in Nordamerika werden weiterhin von etwas mehr Industrieunternehmen positiv als negativ gesehen.
Risiken bleiben bestehen
Die verbreitete Skepsis beruht zudem auf den unverändert hohen Risiken, denen sich die meisten Unternehmen ausgesetzt sehen. Der Fachkräftemangel verliert angesichts der ungünstigen Perspektiven auf hohem Niveau zwar etwas an Bedeutung, bleibt jedoch das am häufigsten genannte Geschäftsrisiko und damit ein Wachstumshemmnis. Weiter steigende Arbeitskosten belasten zudem viele Unternehmen. Der Anteil der Dienstleister, die die Arbeitskosten als Risiko betrachten, ist mit 57 Prozent auf ein Allzeithoch gestiegen. In der Industrie sehen sogar fast zwei Drittel der Betriebe in den Arbeitskosten ein Risiko (der zweihöchste je gemessene Wert).
Die Bedeutung der Energiekosten als Geschäftsrisiko nimmt auf hohem Niveau weiter ab. Sie bleiben in Deutschland im internationalen Vergleich jedoch immer noch viel zu hoch und gefährden die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen. Auch die Inlandsnachfrage bereitet wieder mehr Unternehmen Sorgen. Diese werden für ein Viertel der Unternehmen durch die zunehmenden geopolitischen Spannungen noch verstärkt.
Finanzsituation vorerst stabil
Trotz abflauender Konjunktur bewerten wie zuvor fast zwei Drittel der Unternehmen ihre aktuelle Finanzlage als unproblematisch. Jedoch ist der Anteil der Betriebe, die das Thema Finanzierung als Geschäftsrisiko nennen, von 14 Prozent im Frühjahr auf aktuell 20 Prozent gestiegen. In der Industrie sowie im Großhandel befindet er sich mit 23 bzw. 28 Prozent auf einem Allzeithoch. Im Schnitt aller Branchen melden derzeit 19 Prozent der Unternehmen Eigenkapitalrückgänge, 13 Prozent Liquiditätsengpässe und elf Prozent einen erschwerten Zugang zu Fremdkapital.
Fehlende Planungssicherheit bremst Investitionen
Fast vier von zehn Unternehmen bewerten die Wirtschaftspolitik als Risiko für ihre Geschäfte, im Frühjahr taten dies 28 Prozent. Der Indikator klettert damit deutlich über den langjährigen Durchschnitt und auf den höchsten Stand seit sieben Jahren. „Angesichts der unumgänglichen Transformationsprozesse benötigen die Unternehmen klare politische Aussagen und eine verlässliche Standortperspektive“, so Dr. Roell: „Stattdessen führt das Hin und Her in Berlin zur Verunsicherung der Betriebe.“
Dank stabiler Finanzen stehen viele Unternehmen in den Startlöchern, um ihre Transformation über Investitionen in die Effizienz, Digitalisierung und Dekarbonisierung ihrer Produktionsprozesse voranzubringen. Ohne die Gewissheit, dass die dafür notwendige Infrastruktur sowie „grüne“ Energieträger in ausreichendem Maße und zu international konkurrenzfähigen Preisen zur Verfügung stehen werden, können Sie jedoch nicht loslegen. Hinzu kommt, dass bürokratische Hürden und langwierige Genehmigungsverfahren immer mehr Betriebe an der Zukunftsfähigkeit ihrer hiesigen Standorte zweifeln lassen. In der Folge befindet sich die Bereitschaft, in Deutschland zu investieren, im Rückwärtsgang. Der Indikator für Inlandsinvestitionen, der die Differenz zwischen steigenden und fallenden Investitionsbudgets misst, ist von 18 Punkten im Frühjahr auf aktuell 2 Punkte gesunken. Er fällt damit unter sein langjähriges Mittel und das inländische Investitionsgeschehen fällt somit als Impulsgeber für die Konjunktur aus.
Das zeigt auch der Blick auf die Investitionsmotive. Notwendige Ersatzinvestitionen wollen die Unternehmen in zunehmendem Maße für Innovationen und Rationalisierung nutzen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Die Zahl der Betriebe, die auf die Digitalisierung sowie Investitionen in den Umweltschutz bzw. die Energieeffizienz setzen, ist dagegen zurückgegangen. In die Erweiterung der Kapazitäten wollen nur noch knapp 16 Prozent der Betriebe investieren, noch geringer war dieser Anteil nur während der Coronakrise im Herbst 2020 sowie während der globalen Finanzmarktkrise (2009/2010).
„Wir ersticken im Formalismus, hemmen damit Investitionen und gefährden immer mehr unseren Wirtschaftsstandort. Wir fordern daher: Schluss mit den losen Versprechungen. Bürokratieabbau jetzt! Es reicht!“, appelliert der IHK-Präsident an die Politik.
Arbeitsmarkt robust
Der konjunkturelle Abwärtstrend schlägt sich zunehmend auch auf dem Arbeitsmarkt in der IHK-Region Ulm nieder. Die Arbeitslosenquote lag im September 2023 zwar immer noch bei 3,0 Prozent und damit auf hervorragendem Niveau - ein Jahr zuvor lag sie aber noch bei 2,6 Prozent. 
Ein Viertel der Unternehmen plant, Personal abzubauen, nur jeder zehnte Betrieb schafft zusätzliche Stellen. Die Arbeitslosigkeit dürfte trotzdem nur wenig zunehmen. Denn fast zwei Drittel der Unternehmen wollen ihre Arbeitskräfte halten, da ihnen bewusst ist, das adäquates Fachpersonal kaum zu kriegen ist. 56 Prozent der Betriebe haben derzeit offene Stellen, die sie nicht besetzen können. Vor allem suchen Sie vergeblich nach Fachkräften mit Berufsausbildung.
Fazit: Spürbare Rezession kaum noch vermeidbar
Die Stimmung in der regionalen Wirtschaft bleibt insgesamt gedrückt und verschlechtert sich noch einmal. Der Anteil der Betriebe, die Rückschläge befürchten, ist gegenüber dem Frühjahr von 25 auf 30 Prozent gestiegen. Etwas mehr als die Hälfte aller Unternehmen rechnet mit gleichbleibenden Geschäften. Die regionale Wirtschaft geht tendenziell von einer Fortsetzung der Abwärtstendenz aus. In Kombination mit der kräftig zurückgegangenen Lagebewertung deutet die anhaltend skeptische Stimmung darauf hin, dass mit einer spürbaren rezessiven Entwicklung für die nächsten Monate zu rechnen ist.

Der IHK-Konjunkturklimaindex spiegelt das Ergebnis der Konjunkturumfrage der IHK Ulm in einem Wert wider. Er ist ein Frühindikator für die konjunkturelle Entwicklung. Entscheidend für die Interpretation der konjunkturellen Entwicklung im Zeitablauf ist die Veränderung des Index. Nimmt er zu, wird sich die Konjunktur tendenziell positiv entwickeln, nimmt er ab, verschlechtert sich hingegen tendenziell die wirtschaftliche Entwicklung.
 IHK-Saldenindikatoren werden als Saldo der positiven und negativen Antworten zu den jeweiligen Fragen ermittelt und können demnach zwischen
-100 und +100 Prozentpunkten liegen. Ein Indikator von Null zeigt an, dass sich die positiven und negativen Antworten genau die Waage halten.
Der Konjunkturbericht der IHK Ulm erscheint tertialsweise. Der aktuelle Bericht basiert auf der Umfrage zum 2. Tertial 2022. Von über 38.000 Mitgliedern der IHK Ulm wurde ein repräsentativer Ausschnitt von 365 Unternehmen befragt, von denen sich 139 (38,1 Prozent) an der Umfrage beteiligten.
Anmerkung:
Die IHKs in Baden-Württemberg haben zum Jahr 2007 den Modus für ihre Konjunkturumfragen umgestellt. Statt vier Umfragen werden nun nur noch drei Umfragen jährlich durchgeführt.