Frankreichgeschäft nach den Wahlen

Interview mit Patrick Brandmaier, Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Französischen Industrie- und Handelskammer, zum Ausgang der Präsidentschaftswahl vom 24. April 2022.
Frankreich ist drittwichtigster Absatzmarkt für baden-württembergische Unternehmen . Im vergangenen Jahr erzielten sie erstmals Exportumsätze von 17,2 Milliarden Euro mit Kunden in Frankreich. So viel wie nie zuvor und deutlich mehr als im bisherigen Spitzenjahr 2019. Damals waren es 16 Milliarden Euro. Wir sprachen anlässlich der Präsidentschaftswahl in Frankreich mit AHK-Geschäftsführer Patrick Brandmaier über die Geschäftsaussichten für baden-württembergische Unternehmen.

IHK: Bei der Stichwahl am 24. April 2022 wurde Emmanuel Macron, Vertreter der Partei „La République en marche!“, für fünf weitere Jahre als Staatspräsident Frankreichs gewählt. Auf welche Rahmenbedingungen sollten sich deutsche Unternehmen bei ihrem Frankreich-Geschäft nun einstellen?
Patrick Brandmaier: Die Antwort ist klar: auf Kontinuität mit einer positiven Dynamik. Die letzten fünf Jahre waren für deutsche Unternehmen in Frankreich gute Jahre. 2021 hatten wir mit 164 Milliarden Euro ein sehr hohes Handelsvolumen zwischen beiden Ländern, ein kräftiges Plus von 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Rahmenbedingungen für deutsche und generell für ausländische Unternehmen, die in Frankreich investieren, haben sich deutlich verbessert. Dazu haben zwei konkrete Maßnahmen beigetragen: Die Körperschaftssteuer wurde im Vergleich zu 2017 von 33 auf 25 Prozent gesenkt. Auch die Produktionssteuern wurden merklich reduziert. Diese positive Dynamik der letzten fünf Jahre hat dazu beigetragen, dass Deutschland sich im vergangenen Jahr mit rund 300 Projekten und 8.000 geschaffenen Arbeitsplätzen zum größten Direktinvestor Frankreichs entwickelt hat. Jeder vierte in Frankreich von Direktinvestoren geschaffene Arbeitsplatz stammt von einem deutschen Unternehmen. Dies zeigt, dass sich die von Macron angestrebte Reindustrialisierung einstellt, wie man an der Zahl der deutschen Unternehmen ablesen kann, die in Frankreich tätig sind und auch weiterhin investieren und sich vergrößern.

IHK: Welche Branchen profitieren von der Fortsetzung der Politik durch Emmanuel Macron?
Patrick Brandmaier: Profitieren werden alle Branchen rund um klassische Anlagegüter. Im Zusammenhang mit der Energiewende werden auch Unternehmen profitieren, die Lösungen in den Bereichen Energietechnik und neuen regenerierbaren Energien anbieten. Hier will Frankreich in der neuen Legislaturperiode einen großen Schritt nach vorne machen. Frankreich hat letzte Woche die erste Offshore-Windmühle eingeweiht. Im Bereich der Offshore-Windenergie hat Frankreich in den kommenden Jahren ein enormes Potenzial. Dadurch werden sich gerade in diesem Industriebereich für Unternehmen aus Baden-Württemberg interessante Wachstumschancen ergeben. Wir sehen allerdings auch gute Wachstumschancen in anderen Sektoren: Medizintechnik und Pharma, Bau und Gebäudetechnik, Luft- und Raumfahrt, Chemie, Automatisierung und Elektronik. Für all diese Bereiche sehen wir eine rege Investitionstätigkeit und eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung in Frankreich.

IHK: Frankreichs Aufbauprogramm „France Relance“ umfasst 100 Milliarden Euro, um die Wirtschaft erfolgreich aus der Pandemie zu führen: 30 Milliarden Euro für Nachhaltigkeit und ökologische Transformation, 34 Milliarden Euro zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und 36 Milliarden Euro zur Stärkung des Zusammenhalts. Welchen Beitrag können deutsche Unternehmen leisten und wie können Sie sich an Förderprogrammen beteiligen?
Patrick Brandmaier: Derzeit sind deutsche Unternehmen bereits an allen drei Säulen beteiligt. Bei den neuen Technologien gibt es bereits Marktchancen, die von deutschen Unternehmen genutzt werden. Außerdem bestehen bereits Industrie- und Technologieinitiativen zwischen Deutschland und Frankreich wie etwa bei der Entwicklung der Batteriezelle für Elektroautos, im Bereich der künstlichen Intelligenz oder beim Wasserstoff. Hier entwickeln sich Kooperationen in unterschiedlichen Technologiebereichen, von denen deutsche Unternehmen sicherlich profitieren können.
Zum Thema Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit: Bestandteil dieses 30 Milliarden-Pakets ist unter anderem die Senkung der Produktionssteuern. Dies erhöht die Attraktivität Frankreichs als Investitionsstandort. Deutschland war 2021 mit den meisten Investitionsprojekten größter Direktinvestor in Frankreich. Die Maßnahmen, die die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs als Industriestandort Frankreichs verbessern, werden auch künftig Chancen für deutsche Unternehmen und Investoren in Frankreich bieten.
Zu Frankreichs Maßnahmen zur Stärkung des Zusammenhalts zählt die Förderung der beruflichen Ausbildung. Beispielsweise können für duale Ausbildungsgänge staatliche Zuschüsse in Anspruch genommen werden. Auch hier gilt, dass deutsche Firmen, die in Frankreich angesiedelt sind und hier Standorte haben, von diesem Förderpaket profitieren.
Zusammenfassend kann man sagen, dass deutsche Firmen von dem Milliardenpaket in allen Bereichen derzeit und auch in der Zukunft profitieren können.

IHK: Französische Unternehmen beklagen hohe Abgaben und schwerfällige Rahmenbedingungen. Eine Senkung der Unternehmensbesteuerung, geringere Sozialabgaben für Mitarbeiter oder auch eine Abkehr von der 35-Stunden-Woche könnten den Standort Frankreich für deutsche Unternehmer aufwerten. Wird die neue Regierung die Spielregeln für Investoren attraktiver gestalten?
Patrick Brandmaier: Frankreich hat die Rahmenbedingungen bereits angepasst. Neben der Senkung der Körperschaftssteuer, der Senkung der Lohnnebenkosten und der Senkung der Produktionssteuern ist festzuhalten, dass die Arbeitslosigkeit von über zehn Prozent im Jahr 2017 mit jetzt sieben Prozent im Jahr 2022 fast schon ein Allzeittief erreicht hat. Das zeugt von dieser positiven wirtschaftlichen Dynamik.
Diese positiven Entwicklungen lassen sich zu einem Gutteil auf die Reformen zurückführen, die unter der Präsidentschaft Macrons vorgenommen wurden. Es besteht seitens der Regierung der Wille, die neu gewonnene Attraktivität Frankreichs, die auch im Programm „ Choose France“ zum Ausdruck gebracht wird, weiter zu steigern. Ein prominenter Hebel dazu ist die auch im Wahlkampf vielfach diskutierte Rentenreform. Derzeit gibt es in Frankreich viele unterschiedliche Rentensysteme, je nach Berufsgruppen und Sektoren. Macron denkt an ein Rentenmindesteintrittsalter von 65 Jahren und möchte das System der verschiedenen Rentenversicherungssysteme vereinheitlichen. Das würde in Summe die Lohnnebenkosten und die Investitionskosten für Unternehmen positiv gestalten und weiter zur Attraktivität Frankreichs beitragen.
Bezüglich der 35-Stundenwoche hat Macron im Wahlkampf nichts gesagt. Wir gehen davon aus, dass die 35-Stunden-Woche weiterhin gesetzt bleibt und dass man eher andere Reformprojekte anpacken wird, um im internationalen Vergleich wettbewerbsfähige Strukturen zu schaffen und zu erhalten.

IHK: Wie erklären Sie den Export-Erfolg baden-württembergischer Unternehmen Richtung Frankreich?
Patrick Brandmaier: Die Exporte Baden-Württembergs erreichten im vergangenen Jahr mit 17,2 Milliarden Euro ein Allzeithoch. Zu dieser erfreulichen Entwicklung haben gleich mehrere Faktoren beigetragen:
  • Frankreich hat nach Jahren der wirtschaftlichen Stagnation einen großen Nachholbedarf, vor allem im Anlagengüterbereich. Dies kommt auch baden-württembergischen Firmen zugute, die etwa im Maschinenbau sehr stark sind. Hier geht es darum, Investitionen nachzuholen, um ein anhaltendes Wirtschaftswachstum zu erzielen. Es geht auch darum, geprägt durch die Modernisierungsbemühungen der französischen Wirtschaft - Stichwort Industrie 4.0 - positive Impulse zu setzen. Das hilft baden-württembergischen Unternehmen bei ihren Exporten.
  • Frankreich erfährt eine neue Wirtschaftsdynamik. Wir schauen auf ein sehr erfolgreiches Jahr 2021 in den deutsch-französischen Handelsbeziehungen zurück. Deutsche Unternehmen haben ihre Exporte nach Frankreich um neun Prozent gesteigert. Die französischen Exporte nach Deutschland haben sich um 13 Prozent erhöht.
  • Eine positive Dynamik sehen wir beispielsweise für Installationstätigkeiten bei grenznahen Dienstleistungen. Der Dienstleistungsverkehr trägt trotz bestehender Hürden im Zusammenhang mit der Mitarbeiterentsendung dazu bei, dass baden-württembergische Unternehmen steigenden Absatz im Frankreichgeschäft verzeichnen können.
  • Ein aktueller Aspekt sind geopolitischen Entwicklungen weltweit. Wir sehen starke Einbrüche beispielsweise in China. Asien und China waren in den letzten 10 bis 15 Jahren die großen Entwicklungsmärkte für baden-württembergische Unternehmen. Wenn das Chinageschäft schlechter geht, stellen sich Unternehmen die Frage, wie sie wegfallendes Geschäft kompensieren können. Dabei rückt Frankreich als Nachbarland in unmittelbarer Nähe wieder stärker in den Fokus. Geringe Logistik- und Transportkosten schlagen bei steigenden Energiepreisen positiv zu Buche.
  • Ein weiterer Vorteil ist die politische Stabilität Frankreichs. Jeder Investor ist daran interessiert, auf stabile und vorhersehbare Rahmenbedingungen zu stoßen. Diese sind innerhalb Europas und insbesondere in Frankreich sicherlich stärker gegeben als beispielsweise im Russland- oder im Chinageschäft.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Bernhard Schuster, Projektleiter im Geschäftsbereich International der IHK Rhein-Neckar.

AHK Frankreich im Profil
Die Deutsch-Französische Industrie- und Handelskammer (AHK) ist seit über 60 Jahren mit 900 Mitgliedsunternehmen (60% aus Deutschland, 40% aus Frankreich und rund 1.200 betreuten Kunden) das größte deutsch-französische Wirtschaftsnetzwerk.