KI im Mittelstand

Treiber der Digitalisierung

Künstliche Intelligenz (KI) sei die Dampfmaschine der Digitalisierung, heißt es in einem Strategiepapier der Landesregierung. 2019 stellte Schleswig-Holstein seine KI-Strategie der Öffentlichkeit vor und verglich darin die heutige Entwicklung mit der industriellen Revolution. Doch wo genau liegen die Chancen und was braucht es dazu?
In Kontakt mit KI kam Professor Dr. Tillmann Loch, Chefarzt der Urologischen Klinik der Evangelisch- Lutherischen Diakonissenanstalt zu Flensburg, Ende der 1980er-Jahre bei Forschungsaufenthalten in Ann Arbor, Michigan und später an der Stanford Universität. “Wir beschäftigten uns dort mit der Frage, wie sich maschinelles Lernen in der Krebsfrüherkennung nutzbar machen lässt.” Der Mediziner entwickelte die artifizielle neuronale Netzwerkanalyse (ANNA), ein Verfahren zur Diagnose von Tumorerkrankungen der Prostata. „Das menschliche Auge erkennt auf einem Ultraschallbild etwa acht bis zwölf Graustufen, das Bild enthält jedoch bis zu 128 Abstufungen.“ Die digitale Bildanalyse könne befallene Bereiche besser erkennen. Den endgültigen Befund liefere erst die Gewebeprobe, doch sei man dank ANNA in der Lage, den Ort der Entnahme viel genauer zu bestimmen.
“Normalerweise entnimmt man sehr viele Gewebeproben zufällig, als Ergänzung zum Abtasten. Sicher ausschließen lässt sich dadurch der Befall jedoch nicht.” Dank ANNA sei man zu 97 Prozent sicher. “Die Bildpunkte der Ultraschallaufnahmen wurden mit Auswertungen von später operativ entferntem Prostatagewebe verglichen und verrechnet.” Das System habe die Informationen gelernt und könne nun Formationen wiedererkennen. In einer Studie mit einer Nachbeobachtungszeit von über zwölf Jahren hat der Arzt die Möglichkeiten des Verfahrens analysiert und getestet. Über 3.000 Diagnosen konnten mit der Hilfe von ANNA bereits gestellt werden. “Wir konnten so schon vielen Menschen das Leben retten.” Das ANNA-Verfahren sei einmalig und weltweit im Einsatz, sagt Loch. Perspektivisch könnte es auch für die Diagnostik und Therapie anderer Organsysteme weiterentwickelt werden.
Konsumverhalten
Um verlässliche Daten geht es auch bei der meteolytix GmbH. “Überall, wo Dinge in ähnlicher Form häufig wiederholt werden, kann uns künstliche Intelligenz helfen”, sagt Geschäftsführer Nils Passau. Für Bäckereien analysiert das Unternehmen Daten über verkaufte Backwaren und reichert diese mit bis zu 400 Einflussfaktoren und Erfahrungswerten an. “Die KI lernt aus diesen Daten und bildet auf Basis der erkannten Muster Vorhersagen für das künftige Konsumverhalten”, erklärt Passau. Das ermögliche den Bäckereien, den Personalbedarf für erwartete Stoßzeiten oder die benötigte Menge an Backwaren und anderen Ressourcen vorherzusehen. “Auch automatische Bestellvorgänge können aus diesen Vorhersagen abgeleitet werden.” Wenn etwa während Hitzeperioden weniger Brot konsumiert werde - was die Datenanalyse hervorgebracht habe -, könne das im Einkauf automatisiert berücksichtigt werden, so Passau.
“Liegen Daten für einen Zeitraum von mindestens 18 Monaten vor, können wir eine Prognosequalität von 95 Prozent erreichen.” Durch den Einsatz von KI haben die betreuten Bäckereien ihren Umsatz um drei Prozent gesteigert. Viel wichtiger sei jedoch ein anderer Aspekt: 20 Prozent weniger Backwaren müssten dank der intelligenten Steuerung weggeworfen werden, berichtet Passau. Jedes Geschäft könne durch solche Prognosen gewinnen. Wichtig dafür seien jedoch klare Rahmenparameter und eine saubere Datenpflege. Ein Beispiel sei die Personaleinsatzplanung im Krankenhaus. “Hier geht es um die Relation zwischen Wetter und Erkrankung. Anders gesagt: Blitzeis und Oberschenkelhalsbruch”, so Passau. Vorhersagen könnten auch hier zum Einsatz kommen, sofern die Rahmenbedingungen dem nicht im Wege stünden.
Faktor Mensch
Wenn es um Übersetzungen gehe, sei Technologie kaum noch wegzudenken, sagt Ulrich Barnewitz, Geschäftsführer der Wieners+ Wieners GmbH mit Hauptsitz in Ahrensburg. Das Unternehmen ist Mitglied der Apostroph Group und bietet Übersetzungen, Adaptionen, Korrektorate und Lektorate mit einem Netzwerk von mehr als 2.000 muttersprachlichen Fachübersetzern. “Der Einsatz von KI macht es teilweise überhaupt erst möglich, dass wir den stetig wachsenden Bedarf an qualitativ hochwertigen Übersetzungen weiterhin decken können.” Dennoch: Gute Übersetzer seien auch in Zukunft sehr gefragt, sofern sie sich auf die technologischen Veränderungen einstellten. “Wir nutzen modernste Technologien. Von einem routinierten Einsatz von KI sind wir allerdings noch weit entfernt”, sagt Barnewitz. Die Sprache sei einfach zu komplex. “Es gibt aber Anwendungsfelder und Sprachkombinationen, die sich schon heute sehr gut für maschinenbasierte Übersetzungen mit anschließender Nachbearbeitung durch den Menschen eignen.” In anderen Fällen verursache KI zunächst mehr Aufwand als die klassische Herangehensweise. Ein Grund: Die Daten zur Programmierung neuer Systeme stammen oft aus dem Internet. “Wenn man bedenkt, dass etwa 60 Prozent der Websites auf Englisch verfasst sind, kann man daraus folgern, das auch auf lange Sicht der Faktor Mensch für die Perfektionierung der Übersetzung erforderlich sein wird.”
Bei sachlichen, informativen und einfachen Inhalten beobachte Wieners+Wieners zunehmend positive Effekte durch KI-Einsatz. “Aber überall dort, wo es um emotionalen und botschaftsorientierten Inhalt geht, ist der menschliche Übersetzer in den meisten Fällen deutlich produktiver, da er Nuancen und Zweideutigkeiten erkennt und auf individuelle und kulturelle Eigenheiten der Zielgruppe eingehen kann.” Grundsätzlich ist für Barnewitz klar: Bei KI kommt es auf die Qualität und die Menge der Daten an. Der Urologe Tillmann Loch plädiert bei aller Euphorie für einen nüchternen Ansatz. “KI ist kein Allheilmittel, sondern bleibt ein nützliches Werkzeug.”
René Koch

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